Nach wie vor sind Frauen* auf der ganzen Welt gesellschaftlichen, politischen und sozioökonomischen Benachteiligungen ausgesetzt. In der Corona-Pandemie wurden altbekannte Probleme wieder sichtbarer – angefangen von der Kinderbetreuung und dem Führen eines Haushalts (Care-Arbeit) bis hin zum Gender Pay Gap.
In den vergangenen Jahren haben sich u.a. parteipolitische Arbeitsgruppen gebildet, die Schritt für Schritt eine systematische Benachteiligung der Frauen* durch mehr gesellschaftspolitische Förderung abschaffen wollen. Sogar Ämter, Behörden und Wissenschaftsinstitute wurden mit Förderprojekten zur quantitativen Erfassung der sozioökonomischen Missständen von Frauen* im privaten und öffentlichen Bereich beauftragt und zeigten deutlich auf, an welchen Stellen es bei der Gleichstellung hapert. Diese Berichte liegen der derzeitigen Regierung vor, und doch hat sich all die Jahre kaum eine herausragende Frauen*lobby in der Politik entwickelt, die eine Umsetzung von Frauen*rechten konsequent einfordert. Warum bemühen sich ausgerechnet außerhalb der Politik viele Verbände und ehrenamtliche Projekte um mehr Gerechtigkeit und Gleichstellung für Frauen*, die von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vorangetrieben werden? Der Schrei nach einer gesetzlich verordneten Frauen*quote kann den großen Riss zwischen systematisch benachteiligten Frauen* und dem Vertrauen in den Rechtsstaat nicht allein rückgängig machen.
Was hemmt die Politik und den Rechtsstaat im Kampf um Frauen*rechte?
Wende ich meinen Blick den Entscheidungsträger*innen in den oberen Reihen der Politik zu, beschämt es mich zu sehen, dass diese trotz nachweislichen Erkenntnissen aus aktuellen Studien zur systematischen Benachteiligungen von Frauen* kaum ein Schritt in Richtung Schutz und Förderung von Frauen*rechten in allen drei Bereichen (gesellschaftlich, politisch und sozioökonomisch) getan haben. 2021 ist der Gender Pay Gap nach wie vor sehr hoch: 19%. Deutschland liegt im EU-Vergleich damit ganz weit hinten.
Auch die Frage, warum der Paragraph 219a zur Werbung von Schwangerschaftsabbrüchen noch immer nicht abgeschafft wurde, lässt tief blicken. Es haben sich tatsächlich nur fünf Minister*innen dabei auf einen Kompromiss einigen können (die Einrichtung einer Adressenliste von Ärzt*innen und Kliniken bei der Bundesärztekammer, an die sich Frauen* in ihrer Notlage wenden können), das aber nichts an der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen ändert. So dürfen Ärzt*innen nach wie vor nicht legal und öffentlich über sichere Abtreibungsmöglichkeiten informieren.
Zudem tragen immer noch mehrheitlich Frauen* die Care-Arbeitslast, bei der Kinderbetreuung, Erziehung und Pflege von Angehörigen größtenteils unentgeltlich verrichtet wird. Der Gender Care Gap liegt laut dem Gleichstellungsbericht des Bundesfamilienministeriums aktuell bei 52,4%, das heißt Frauen* verrichten durchschnittlich eineinhalbmal so viel unbezahlte Sorgearbeit wie Männer*. Bei 34-Jährigen sind es sogar über 110,6% mehr Zeit. Besonders im bezahlten Care-Arbeitssektor sind mehr Frauen* mit Migrationshintergrund beschäftigt, die schlechten Bedingungen ausgesetzt sind und weniger arbeitsrechtlichen Schutz genießen.
Auch häusliche Gewalt und Femizide haben in Deutschland zugenommen. Laut dem Bundesfamilienministerium wurden im Jahr 2019 knapp 115.000 Frauen* Opfer von Partnerschaftsgewalt. Erschreckend sind die Zahlen der Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes, wonach 98,1% der Opfer von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen in Partnerschaften Frauen* sind. Bei Mord und Totschlag in Paarbeziehungen sind es 76,4%. Wenn eine Frau* von ihrem (Ex-)Partner niedergestochen wird, stuft die Rechtsprechung diese abscheuliche Tat eher als Totschlag ein, die eine geringere Haftstrafe zur Folge hat. In der Öffentlichkeit spricht man es oft nicht von Mord, sondern von einem Eifersuchts- oder Liebesdrama. Es findet eine Romantisierung der Straftaten statt, womit Frauen*rechte augenscheinlich von der Politik und dem Rechtsstaat nicht ausreichend geschützt werden. Es erweckt den Eindruck, dass etliche Richter*innen in ihrer Verurteilung den Tätern gegenüber nachsichtiger sind. Ähnliches haben viele Frauen* auch bei sexueller Belästigung wie dem Catcalling oder dem Zusenden von Dickpics erlebt – bei Anzeigen laufen die meisten Ermittlungsverfahren ins Leere, da die Anklagen größtenteils wegen vermeintlicher Geringfügigkeit eingestellt werden.
Frauen*rechte und Feminismus in Deutschland – Quo vadis?
Obwohl Deutschland im Jahr 2018 die Istanbul-Konvention zur weltweiten Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Femiziden unterzeichnet hat, wurden bis dato keine signifikanten Fortschritte erzielt. Während in Ländern wie Polen oder der Türkei tausende Menschen auf die Straße gingen und gegen Femizide protestierten, kam es in Deutschland zu keiner breiten Mobilisierung. Warum? Denkt man beim Thema Femizide in Deutschland an Gewaltverbrechen gegenüber Frauen*, die ausschließlich in Südamerika und in der Türkei geschehen? Vom Deutschen Juristinnenbund werden Stimmen lauter, die eine radikalere Umsetzung der Beschlüsse der Istanbuler Konvention fordern. Demnach stellt sich unweigerlich die Frage, ob Deutschland mehr Richterinnen*, Politikerinnen* und explizit mehr Frauen* in Führungspositionen braucht, damit ihr bisher nur marginale Einfluss auf die Gesetzgebung vergrößert werden kann.
Außerhalb von politischen Institutionen sind zivilgesellschaftliche Bestrebungen nach mehr Empowerment von Frauen* sichtbar. Zwar nimmt ihr Wirken schon Gestalt an, doch konsequentere Umsetzungen auf der politischen und juristischen Ebene bleiben an der metaphorischen gläsernen Decke stocken – ab einem gewissen Grad geht es nicht mehr weiter.
Wie bei einem Staffellauf geben Aktivist*innen ihre Stäbe an die nächsten mächtigeren und einflussreicheren Akteure in der Politik und Justiz weiter. Diese sollten ihre Aufgabe der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung sowie die Verantwortung gegenüber benachteiligten Frauen* daher ernst nehmen, damit wir endlich den Teufelskreis einer systematisch geschlechterorientierten Diskriminierung brechen können. Weltweit haben Frauen*bewegungen als Grassroots-Initiativen viel erreicht. Im Hinblick auf die aktuellen Zahlen u.a. zu Care-Arbeit, Gender Pay Gap, häusliche Gewalt und Femizide fällt die Zwischenbilanz leider aber immer noch kümmerlich aus.Dabei hat die Frauenrechtsbewegung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wichtige Meilensteine für soziale Reformanstrengungen gelegt. Angefangen vom Frauenwahlrecht im Jahr 1918 bis hin zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz 2006, nach dem u.a. geschlechterbezogene Benachteiligungen verhindert werden sollen, und der Verschärfung des Sexualstrafrechts 2016 („Nein heißt Nein!“).
Die politischen Forderungen nach Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen* sind jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch im Jahr 2021 eine solidarische Verantwortung abverlangen. Lasst uns diesen gesellschaftspolitischen Gerechtigkeits- und Gleichstellungskampf gemeinsam bestreiten!
Illustration: Yasmin Anılgan
Lektorat: Hannah Kropla