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Gesellschaft & Geschichten

Wann heiratest du endlich?

Die Fragen aller Fragen aus der Perspektive eines Mannes

Die Durststrecke der Sehnsucht aufgrund des Corona-Lockdowns hat endlich ein Ende. Nicht mal eine Stunde nach den offiziellen Lockerungen der Corona-Maßnahmen hat es gedauert, dass unser Come-Together via WhatsApp geplant und organisiert war. Wir konnten es sichtlich kaum abwarten, in gewohnter Runde zusammenzukommen.

Der Tisch reichlich gedeckt, der Çay heiß und so rot wie Kaninchenblut in taillierten Teegläsern, die heißersehnten Gespräche in gewohnter Atmosphäre und der immer kleiner werdende 1,5 Meter Corona- Mindestabstand. Ein ganz normaler Vor-Corona Samstag im Leben der sieben Ü30-Single-Freunde in Köln. Wäre da nicht die Frage aller Fragen…

Ne zaman evleneceksin? (wann wirst du endlich heiraten?)
Alle in dieser Runde sind sich einig. Die Antwort lautet definitiv „Nasip Kısmet!“

Ne zaman evleneceksin? (Wann wirst du endlich heiraten?)
Alle in dieser Runde sind sich einig. Die Antwort lautet definitiv „Nasip Kısmet!“ – soll heißen: wenn es in meinem Schicksal für mein Leben so geschrieben steht, so wird und so soll es auch geschehen.
Oft wird diese Floskel in solchen Situationen verwendet und signalisiert eine Art Resignation und Überdruss dem Fragenden gegenüber. Der Fragende empfindet daraufhin Mitleid und versucht dich im äußersten Fall so schnell wie möglich zu verkuppeln.
Wir hingegen finden diesen Zustand des Ü30-Singlelebens ganz und gar nicht bemitleidenswert. Ganz im Gegenteil, wir lieben unser Leben und genießen diesen Zustand in vollen Zügen.

Männlich, Ü30 und Single zu sein ist als Mann erst einmal nicht ganz so dramatisch wie für eine Frau. Allerdings auch nicht ganz so locker wie einige vermuten.

Doch warum ist dies für unsere Eltern und für die türkeistämmige-Community so unverständlich?

In dem Artikel Du eingelegtes Essiggemüse! – Single-Frau zum Konservieren? erklärt Esra Yükyapan aus der Perspektive der Frauen den Wahnsinn über die Frage aller Fragen. In diesem Zusammenhang stellt sich unweigerlich die Frage, ob Männer diesem Druck genauso ausgesetzt sind wie Frauen. Männlich, Ü30 und Single zu sein ist als Mann erst einmal nicht ganz so dramatisch wie für eine Frau. Allerdings auch nicht ganz so locker wie einige vermuten.

Die Tatsache, dass ich der glücklichste Single-Mensch auf der Erde bin, befriedigt meine Eltern in keiner Weise. Der Grund: meine UNVOLLSTÄNDIGKEIT!

Es wundert mich jedes Mal, wie viele Menschen sich darüber ernsthafte Gedanken machen, wer unter der Haube ist und wer nicht. Ob auf Hochzeiten, Familienfesten oder einfach auf offener Straße, es wird definitiv zum Thema. Meine Eltern haben in meinen Endzwanzigern noch die Hoffnung gehabt, eine Hochzeit mit 800 geladenen und 200 ungeladenen Gästen feiern zu dürfen. Jetzt, mit Ende dreißig, darf es dann auch mal eine kleine, intimere Hochzeit werden. Hauptsache unter der Haube und egal mit wem. Die Tatsache, dass ich der glücklichste Single-Mensch auf der Erde bin, befriedigt meine Eltern in keiner Weise. Der Grund: meine UNVOLLSTÄNDIGKEIT!

Meine Unvollständigkeit zeigt sich für meine Eltern in vielen Bereichen meines Lebens:

Das unvollständige Essverhalten:
Meine Mutter: „Du kannst doch nicht nur 250g Hackfleisch kaufen, wer soll denn damit satt werden?“. Doch Mutter, ich alleine bekomme mich damit satt und kann sogar morgen etwas mit auf die Arbeit nehmen.
Mein Vater: „Hättest du eine Frau, könntest du mehr kaufen und dadurch auch Geld sparen. Außerdem weiß sie dann auch was und wie viel du benötigst in deinem Haushalt.“ Meine Eltern sind sich beide darin einig, dass mein ziemlich leerer Kühlschrank nur mit Hilfe einer Frau vervollständigt werden kann. In diesem Kontext lässt sich mein Vater nicht nehmen, diesen Zustand auch noch zu romantisieren indem er behauptet: „Zu zweit schmeckt alles immer besser!“.

Die unvollständige Wohnung:
Die Tatsache, dass ich seit 20 Jahren meinen eigenen Haushalt führe, interessiert meine Eltern recht wenig. Meiner Meinung nach besitze ich alle lebensnotwendigen Utensilien und mein Platzmanagment ist durchaus ausgeklügelt und effizient. Doch jedes Mal, wenn meine Eltern unaufgefordert und ohne vorher Bescheid zugeben bei mir auftauchen, sind sie der Auffassung, dass mir Tausende von Haushaltsutensilien fehlen. So ist es nicht verwunderlich, dass ich nach deren Abreise einen Schnellkochtopf für eine 5-köpfige Familie, ein Multiküchengerät und eine Kreishandsäge für handwerkliche Arbeiten besitze. Diese werden dann sorgfältig in meinem Keller deponiert und als Çeyiz (dt. Mitgift für die Ehe) gehandhabt.

Die unvollständige, kinderlose Wohnung:
Es ist für meine Eltern immer viel zu leise in meiner Wohnung. Thema: Kinder. Dass Paare sich auch gegen Kinder entscheiden oder Singles gerne kinderlos bleiben wollen, ist eine unvorstellbare Situation für meine Eltern. Darum ist die Sachlage klar. Mein Haushalt zählt erst zu einem richtigen Haushalt, wenn auch Kinder in diesem herumtollen und für Lautstärke sorgen. Dementsprechend ist die Zimmerzahl entweder nicht ausreichend oder die Entscheidung, das dritte Zimmer zu einem Arbeitszimmer einzurichten, falsch.

Der türkeistämmige Mann als Mängelwesen ist im familiären Kontext in der Community fest verankert und sogar so gewollt.

Der türkeistämmige Mann als Mängelwesen ist im familiären Kontext in der Community fest verankert und sogar so gewollt. Sie werden bereits als Kinder hilfebedürftig erzogen. Beispielsweise räumt die Mutter hinter dem Jungen auf, während den Mädchen von frühauf gezeigt wird, wie man Ordnung hält. Wie man kocht, die Wasch- und Spülmaschine bedient und bügelt, bleibt Mann oftmals vorenthalten. Starre und genderrollenbehaftete Vorstellungen werden vermittelt und so die Unvollständigkeit im Leben eines Erwachsenen Mannes manifestiert. Der „nicht emanzipierte“ türkeistämmige Mann bestätigt diese anerzogene Unvollständigkeit, indem er sich hilfsbedürftig und verloren fühlt und diese nur durch eine Heirat mit einer Frau kompensiert.

Das Modell der Ehe, der ewigen Zweisamkeit und gegenseitigen Fürsorge, spricht meinen Eltern sehr zu und ist dennoch sehr schwarz und weiß gedacht.

Das Leben eines türkeistämmigen Single-Manns ist also durchweg unvollständig in den Augen Eltern. Diese Auffassung hat auch seine romantischen und fürsorglichen Attribute. Das Modell der Ehe, der ewigen Zweisamkeit und gegenseitigen Fürsorge, spricht meinen Eltern sehr zu und ist dennoch sehr schwarz und weiß gedacht. Meine Eltern denken somit in klassischen Rollenbildern. Sie sind der festen Überzeugung, dass Männer alleine aufgeschmissen sind. Sie können nur durch eine Frau vervollständigt und komplettiert werden.

Solange aber dieser Zustand des „Komplettwerdens“ bei mir noch nicht eingetreten ist, nutze ich diese vermeintliche Unvollständigkeit aus und bleibe Mamas kleiner hilfsbedürftiger Junge. Auch mit fast 40 Jahren.

Illustration: Murat Taşcı

Text: Erdal Erez

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