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Gesellschaft & Geschichten

Sexarbeit und Empowerment – „Geht das, Schwesta Ewa?“

Gedanken zur Schwesta Ewa-Doku

„Wie oft habe ich darüber nachgedacht, einfach abzuhauen. Und soll ich dir was sagen? Wäre ich lieber abgehauen“. Während Schwesta Ewa diesen Satz sagt, hebt sie warnend ihren Zeigefinger in Richtung des Kamerateams. Sie sitzt in dieser riesigen, beleuchteten Halle auf einem braunen Ledersofa und trägt auffällige, rosa Kleidung. Diese Szene wird die Zuschauer:innen der Schwesta Ewa-Doku immer wieder an ihr jetziges Leben erinnern, sie werden von all diesen Geschichten und Ausflügen in Ewas Vergangenheit in das Hier und Jetzt zurückgeholt. Sechs Folgen lang erzählt Schwesta Ewa in der gleichnamigen Dokumentationsreihe „Schwesta Ewa – Rapperin. Häftling. Mutter“ von ihrem Leben, von ihren verschiedenen Rollenbildern. Die Rolle als Rapperin, Inhaftierte, Mutter, Freundin und insbesondere das der Sexarbeiterin.

Schonungslos berichtet sie von ihren Erfahrungen: von Misshandlungen auf der Arbeit, Gewaltexzessen unter Kolleg:innen, ihrer Drogenabhängigkeit und Schwangerschaft. Besonders prägend sind allerdings die Folgen, die ihre Tätigkeit im Rotlichtmilieu thematisieren.

 

Wie ist Schwesta Ewa aber zur Sexarbeit gekommen?

Bereits die ersten fünf Lebensjahre der polenstämmigen Frau sind gezeichnet von Flucht, Gewalt, Wohnungslosigkeit und finanzieller Not. Deshalb macht sie sich früh selbstständig.

Als sie mit 16 Jahren anfängt, in einer Bar zu arbeiten, ist ihr vor allem das Einkommen der Sexarbeiter:innen aufgefallen. Das hat sie motiviert, selbst in der Sexarbeit einzusteigen, um aus den marginalisierten Lebensumständen auszubrechen, unabhängig des Berufsbilds.

So werden die potentiellen Ziele im Leben von prekarisierten Menschen folgendermaßen dargestellt: Mensch wird Zuhälter/Prostituierte, Dealer:in oder Räuber:in. Sowohl das Potential als auch die Perspektiven seien maßgeblich abhängig von den Verhältnissen, in denen eine Person aufwächst.

In Ewas Fall bedeutete das Diebstähle mit Freund:innen, Betrug und zuletzt die Sexarbeit. Diese verschwieg sie lange in ihrer Bezugsgruppe, weil sie sich schämte. Später ging sie selbstbewusst und vorzugsweise öffentlich damit um. Manchmal wird ihre Zeit in der Sexarbeit gar romantisiert: denn Ewa schwärmt von den Partys mit ihren Freund:innen und vor allem dem Haufen Geld, dass sie damals verdient hat. Dass sie in ihrer Tätigkeit als Sexarbeiterin einen Weg gefunden hat, ihren Richtlinien treu zu bleiben und mit einem geschäftlichen (und vermutlich überlebenswichtigen) Scharfsinn ihren Verdienst zu potenzieren, beweist sie damit, indem sie später statt Sexarbeiterin eine Zuhälterin wurde. Ab 2011 wurde Ewa die Anlaufstelle für Sexarbeiterinnen, die von der Straße kamen und für sie arbeiten wollten. Dieses lukrative Geschäft für die ehemalige Sexarbeiterin basierte somit auf der Ausbeutung der anderen (teils verzweifelten) Sexarbeiterinnen. Denn mit Sexarbeit wird viel Geld verdient.  Alleine in Deutschland wird der Jahresumsatz der Sexarbeit auf 15 Millionen geschätzt. Schließlich laufen wenige Jahre später Ermittlungen gegen Schwesta Ewa wegen Menschenhandel, Zuhälterei, Zwangsprostitution, Steuerhinterziehung und Körperverletzung.

 

Sexarbeit vs. Zwangsprostitution

Die Sexarbeiter:innen sagen später vor Gericht ausnahmslos zugunsten Schwesta Ewas aus. Auch die Angeklagte betont, dass die angestellten Frauen freiwillig zumindest für sie gearbeitet hätten, womit es nicht als Zwangsprostitution bezeichnet wird. Die Begrifflichkeiten werden ungefähr so differenziert: Sexarbeit ist ein legalisierter und freiwillig gewählter Beruf. Zwangsprostitution hingegen wird zur Strafe gestellt, wenn die betroffene Person vor dem Hintergrund einer Zwangslage oder Hilflosigkeit dazu angehalten wird, die Prostitution aufzunehmen oder fortzusetzen. Nicht zuletzt beschreibt Menschenhandel die Ausbeutungsabsicht der Täter:innen, den Opfern bzw. Betroffenen gar keinen bis wenig finanziellen Vorteil zu verschaffen.

Ewa sei vielmehr bemüht gewesen, sichere Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, indem sie ihre Mitarbeiter:innen zu den Bookings fuhr, Kontakte herstellte, Schutzmaßnahmen traf und jederzeit versuchte, die Gewalterfahrungen der Sexarbeiter:innen zu reduzieren. Sie akquirierte lediglich Frauen, die in ihrem Ermessen „stark genug waren, um Prostituierte zu sein“.

An dieser Stelle entlarvt sich etwas Spannendes. Der Rahmen für die Umstände, in denen die Betroffenen agieren oder sich bewegen, werden stets aufrechterhalten und reproduziert. Das bedeutet, Ewa wendet sich nicht von der Sexarbeit ab, sondern befüttert das Berufsfeld zusätzlich. Sie tauscht die Positionen und bekleidet sich an dieser Stelle mit einer Macht, die sie von der profanen Ausübung der Sexarbeit distanziert. Psychologisch könnte das als eine Strategie verstanden werden, in der sie sich mit der Fremdabwertung der Sexarbeiter:innen selbst aufwertet. So etwas lässt sich teilweise in bestimmten gesellschaftlichen Strukturen häufig beobachten, gemäß der Idee „nach oben streben, nach unten treten“. Der eigene soziale Aufstieg fußt auf der Diskriminierung anderer Menschen. Dabei soll Schwesta Ewa in keinster Weise eine bewusst herabwürdigende Handlungsweise zugesprochen werden, dennoch findet ihr Geschäft weiterhin in der Welt der brutalen Gewalt auf dem Sexmarkt in Deutschland statt. Die Sexarbeit, wie sie und andere Sexarbeiter:innen sie betrieben, ist eine Konsequenz aus bereits erlebter Gewalt.

Sehr anschaulich werden folglich die Gewalterfahrungen innerhalb der Familie rekonstruiert: die Exzesse ihrer Mutter, wie sie auf ihre Tochter einschlägt, wie Ewa lernte, zu dissoziieren, zuletzt wie sie die Gewalt normalisierte und es als einen allgegenwärtigen Bestandteil ihres Lebens akzeptierte. Der Kreislauf der Gewalt.

Lediglich mit der Musik machte sich plötzlich eine Tür auf, die Ewa den Ausstieg aus der Sexarbeit ermöglichte und sie ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Infolgedessen das vollkommene Ausgeliefert Sein in einer zutiefst reaktionären, männerdominierten und in weiten Teilen sehr unreflektierten Szene, der sie auf freche und zum Teil ziemlich prollige Machart den Spiegel vorhielt. Sie stellte dabei nicht im Geringsten den Versuch an, ihr vorheriges berufliches Dasein als Sexarbeiterin im Bahnhofsviertel zu verheimlichen. An ihrer Person wurde sichtbar, wie sich gesellschaftliche Ressentiments über Sexarbeit und das weibliche Geschlecht im Allgemeinen entluden.

 

Warum sollte eine Sexarbeiterin nicht rappen können? Ihre Geschichten waren immerhin interessanter als die der männlich gelesenen Rapper, die ihre Phantasievorstellungen eines kriminellen Daseins inszenieren und damit unendlich viel Geld machen. Als ehemalige Sexarbeiterin offen mit der Vergangenheit umzugehen und damit Musik zu machen, so etwas gab es vorher nicht. Auch nicht in den USA. Ewa war stets authentisch, weil sie die eigenen Erlebnisse, die sie in ihrer Musik und in Interviews beschrieb, immer kompromisslos verkörpert hat. Die Realness einer:s Künstler:in zeichnet sich ja dadurch aus, dass er:sie sich in keiner Situation verstellt und keine Kunstfigur ist. Dass das wohl auf fast niemanden mehr zutrifft als auf Schwesta Ewa, lässt sich wohl kaum bestreiten. Sie hat in jeder Situation das Gefühl vermittelt, dass sie bereit ist, ihre Geschichte und ihren Charakter lückenlos und vollständig offen zu legen.

 

Rap als Empowerment

Wenn Rap unter anderem als Sprachrohr der Unterdrückten, der Minderheiten und auch der Gesellschaftskritik dienen und damit gesellschaftlich ernst genommen werden will, gehört es auch den Sexarbeiter:innen und damit auch Schwesta Ewa, die sich bewusst für die Inszenierung als ehemalige Sexarbeiterin entscheidet. Es ist eine Form des Empowerments und der Re-appropriation. So operiert zum Beispiel auch Shirin David, die sich mit der selbstgewählten Bezeichnung einer „Bitch“ in die öffentliche Musikszene, medialen Aufmerksamkeit und ihren unbestechlichen Erfolg katapultierte. Die Selbsternennung mit gesellschaftlich-normativ abgewerteten Begrifflichkeiten und dem selbstbewussten, unerschütterlichen Umgang damit kann an dieser Stelle ein Akt der Selbstbefreiung aus jenen Unterdrückungsmechanismen sein.

 

Und Sexarbeit als Empowerment?

Sexarbeiter:innen, die sich organisieren, die aus einer Freiwilligkeit heraus agieren, haben die Zeit, die Muse und das Privileg, Sexarbeit als Empowerment zu verstehen.

An Schwesta Ewas Position wird allerdings deutlich, dass marginalisierte und prekarisierte Menschen teilweise dieses Privileg nicht haben, die Sexarbeit aus einer ökonomischen Notsituation oder aus einer Reproduktion von Gewalterfahrungen betreiben. Dann lassen sich oft die ohnehin sehr tiefgreifenden sozialen Ungleichheiten wiederfinden. Ist es in diesem Fall noch Empowerment? Ich glaube, dass Empowerment für Schwesta Ewa dann an einer anderen Stelle stattfindet. Sie war ihre eigene Chefin, war bewaffnet mit einer Gaspistole, Schlagringen, Pfefferspray, aber auch Strategien, an denen sie sich bedient hat. Ewa hat den Freiern Fallen gestellt, den Alarmknopf betätigt oder ihre Mitmenschen abgezogen. Männer waren für sie alle Freier, damit hat sie sich ein Schutzkonzept angeeignet, das klar zu verstehen gibt: wenn Ewa für die Meisten immer eine Sexarbeiterin bleibt, bleiben alle Männer für sie immer Freier. Daran hält sie fest, genauso an der offensiven, öffentlichen Darstellung ihrer selbst als Sexarbeiterin, die sich aus marginalisierten und sozial schwachen Verhältnissen emanzipierte und in die Musikbranche einstieg.

 

Die Journalistin und Psychologin Helen Fares begegnete Schwesta Ewa einst auf dem Frauenfeld-Festival und sagte zu ihr: „Du hast meinen vollen Respekt. Ich habe am Anfang gezweifelt, ich dachte am Anfang das sei ein Schritt zurück für den Feminismus. Aber es ist genau das Gegenteil davon. Du bist eine selbstbestimmte Frau. Du machst genau, was du willst. Und dafür kämpfen wir im Feminismus. Und du bist eine dieser Kämpferinnen.“

 

Text: Gonca Saglam

 

 

 

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