Keine Hochzeit ist einfach zu organisieren – Es sollen bestenfalls die Wünsche der Braut und des Bräutigams erfüllt und auch noch dem Anspruch gewachsen sein, der schönste Tag ihres Lebens zu werden. Bei einer Hochzeit nach türkischem Vorbild kommen noch mehr Traditionen und mehr Gäste hinzu. (Und manchmal auch der Anspruch der schönste Tag der Eltern zu werden) Hier erklären wir einige der Traditionen anhand eines fiktiven Pärchens: Nennen wir sie Stefan und Leyla, ein schwer verliebtes junges Pärchen aus Köln.
Stefan ist in Köln geboren und aufgewachsen – „ne kölsche Jung“ durch und durch. Leyla’s Eltern sind vor knapp 40 Jahren von Selcuk, einem verträumten Dörfchen in der Nähe von Izmir nach Köln gezogen und leben seit eh und je zwischen deutscher und türkischer Kultur im multikulti Viertel Veedel Nippes. Leyla, das kölsche Mädsche mit den türkischen Wurzeln, hat vor drei Jahren Stefans Herz erobert. An Karneval, verkleidet als heiße Krankenschwester. Jetzt wollen die beiden bald heiraten. Vor zwei Wochen hat Stefan seine Leyla gefragt: „Benimle bir yastıkta kocarmısın?“ („Willst du mit mir auf einem Kopfkissen gemeinsam alt werden?“) Das haben ihm seine Jungs beigebracht. Leyla gluckste vor Glück, als sie „Evet“ schrie und vor Freude in Tränen ausbrach.
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Nun, ein paar Tage nach dem Antrag, sitzt sie ihm gegenüber, lächelt verschmitzt und ermahnt ihn:
„Wenn wir nächstes Jahr im Sommer heiraten wollen, dann müssen wir jetzt echt Gas geben, es gibt noch so viel zu tun!“ Stefan weiß (noch) nicht wieso, aber in dem Moment, als Leyla ihren Notizblock aus ihrer Tasche fischt, läuft ihm ein kleiner Schauer über den Rücken. „Ich habe mal alle To-Dos bis zu unserer Hochzeit aufgeschrieben.“ sagt sie und beginnt eifrig in ihren Notizen herumzublättern.
Worauf hatte er sich da eingelassen? Leyla legt ohne Punkt und Komma los und jetzt geht es nicht nur um Ihre Wünsche, sondern auch noch um die ihrer ganzen Sippschaft…
Kız isteme („Um ein Mädchen bitten“)
Auch wenn der zukünftige Bräutigam bereits um die Hand der Braut angehalten und sie eingewilligt hat, gibt es einen Brauch, den man kaum überspringen darf: Die Eltern des Bräutigams und diverse weitere Verwandte sammeln sich bei der Familie der Braut und der Familienälteste (meist der Vater des Bräutigams) hält im Namen von Allah und dem Propheten Mohammed um die Hand der Tochter an. Lustig wird es dann, wenn die Braut ihrem Zukünftigen einen türkischen Mokka serviert, den sie mit Salz „gesüßt“ serviert. Muckst der Bräutigam nicht herum und trinkt den Mokka ohne sich dessen widerlichen Geschmack anmerken zu lassen, so gilt dies als größter Liebesbeweis. (Wie dieser Besuch aussieht, erklärt Şeyda im Artikel „Salz im Mokka“.)
Söz kesme – Das Versprechen
Sobald die „Kız isteme“-Zeremonie über die Bühne gegangen ist, wird eine kleine Feier im engsten Kreis der Familie veranstaltet, bei der die Verlobungsringe ausgetauscht werden. Man nennt das „Söz kesme“, zu Deutsch „Das Versprechen“. Die Ringe sind mit einem roten Band miteinander verknüpft. Nachdem sie an die jeweiligen Finger gesteckt worden sind, zerschneidet ein Familienoberhaupt das rote Band. Somit wird die Verlobung „offiziell“ durch die Familie anerkannt und die beiden „für immer“ verbunden.
Die Verlobung
Nun folgt die Verlobungsfeier. Meistens wird ein Saal angemietet, in dem getanzt, gegessen und Musik gespielt wird. Hier trägt die künftige Braut in der Regel ein pompöses farbiges Kleid. Es darf rot, gelb, pink, blau oder gar kunterbunt sein, nur eben nicht weiß. Und schwarz wird auch nicht so gern gesehen, da es Trauer und Unmut indizieren könnte.
Die Henna-Nacht
Rückt nun der Termin der Hochzeit näher, so muss die Henna-Nacht organisiert werden. Meistens findet diese im Hause der künftigen Braut statt. Weibliche Familienangehörige und Freundinnen werden eingeladen, die zusammen essen, tanzen und singen. Für diesen Event gibt es für die Braut eine traditionelle Tracht, die aus Samt und gestickten Pflanzenmotiven geschneidert worden ist. Das Kleid nennt sich „Bindallı“ (tausend Pflanzenzweige). Die Braut bekommt bei dieser Zeremonie ein rotes Kopftuch mit Pailletten, um ihre Tränen zu verbergen, weil sie ja nun das Elternhaus verlässt.Es wird so lange getanzt und gesungen, bis die Braut anfängt zu weinen. Damit die zukünftige Braut auch tatsächlich weint, wird sie auf einen Stuhl gesetzt und alle anderen Gäste umkreisen sie und singen dabei sentimentale Lieder. Ihre Tränen sollen beweisen, dass sie traurig ist, das Elternhaus zu verlassen. Man munkelt, dass es sich bei den meisten Bräuten doch eher um Tränen der Freude handelt.
Die eigentliche Zeremonie des Henna-Auftragens beginnt erst, wenn zu später Stunde des Abends der Bräutigam dazukommt. Die Lichter werden ausgeschaltet, Kerzen angezündet, ein romantisches Lied erklingt, und das Paar darf umzingelt von Gästen in der Mitte des Raumes Platz nehmen. Nun kommt der bedeutende Moment: Das Henna wird auf einem Silbertablett umgeben von Kerzen gebracht. Auf die Handflächen der Braut wird Henna durch eine ältere Respektsperson aufgetragen. Damit die Braut die Handfläche zum Bemalen überhaupt frei gibt, legt die Schwiegermutter (oder eine andere Familienangehörige des Bräutigams) ein Goldstück in die Hand der Braut. In einigen Regionen der Türkei bekommt auch der Bräutigam Henna in seine Handflächen. Nach etwa zwei Stunden wird die Henna abgewaschen. Dem Glauben zufolge ist Henna ein Gewächs aus dem Paradies und soll dem Ehepaar Glück bringen.
Kurz vor der Hochzeit
Einige Tage oder Stunden vor der Hochzeitsfeier findet die standesamtliche und/oder die islamische Trauung statt. Bei der islamischen Trauung geht es darum, vor Allah das „Ja-Wort“ in einer Moschee, in Anwesenheit eines Imams zu bekunden. Die islamische Trauung hat keine amtliche Funktion, aber eine große symbolische Bedeutung für muslimische Familien.
Brautstyling
Der große Tag ist da und ganz früh am Morgen werden die Braut und ihre engsten Verwandten und Freundinnen zum Coiffeur chauffiert. Dort läuft schon Tanzmusik, einige tanzwütige Ladies probieren ihre Moves für die Hochzeit aus, während die Braut von Kopf bis Fuß für die Hochzeit (und die Hochzeitsnacht) herausgeputzt wird. Es fängt an mit der Maniküre und endet bei der pompösen Brautfrisur, in der mindestens zwei Flaschen Styling-Spray stecken.
Die Abholung
Vom Coiffeur wird die Braut dann wieder nach Hause gebracht, um ihr Hochzeitskleid anzuziehen und die letzten Vorbereitungen für die Feier zu erledigen. Es sind die letzten Stunden in ihrem Elternhaus. Oft werden noch Tränen vergossen bei der offiziellen Verabschiedung von den Eltern. Währenddessen (und damit der Bräutigam sich nicht langweilt) sammeln sich Musiker vor ihrer Haustür mit Trommeln und Trompeten und Halay-Tänzen, um das Paar schließlich zum Hochzeitswagen zu begleiten.
Das „Jawort“ auf der Hochzeitsfeier
Auch wenn sich das Paar vorab bereits vor dem Standesamt das „Jawort“ gegeben hat, startet die Feier vor dem „Traualtar“ im Hochzeitssaal. Die gesamte Trauung wird nun nochmals wiederholt. Je lauter die Braut und/oder der Bräutigam ihr „Ja“ herausschreien, desto stärker gilt dies als Liebesbeweis. Nachdem der Bräutigam die Braut küssen darf (meistens passiert dies ganz scheu auf die Wangen und nicht auf den Mund) tritt einer der frisch Getrauten auf den Fuß des anderen. Es heißt, wer schneller auf den Fuss des Partners tritt, wird in der Ehe die Hosen anhaben. Oftmals sind es die Bräute, die auf Zurufe aus dem Publikum mit ihrem vollen Gewicht dafür sorgen, dass der Bräutigam nicht nur durch zu enge neue Schuhe den Rest des Abends merkwürdig läuft.
Das Gold-Anhängen
Die Geschenke an das Brautpaar müssen glitzern und flattern. Sie müssen ins Auge stechen. Gold und Geld sind hier in erster Linie traditionelle Geschenke, die das junge Ehepaar bekommen. Damit soll ihnen der Start in ein gemeinsames Leben finanziell ermöglicht werden. Es gibt heute immer noch das Ritual, dass das Brautpaar sich in die Mitte des Saals begibt und die Gäste sich in eine Schlange stellen, um ihr Geld oder Gold an das Brautpaar zu hängen. Und irgendwann stehen die beiden da wie zwei glitzernde Weihnachtsbäume. Manchmal wird das Geschenk sogar noch per Mikrofon ausgerufen, à la: „Der Cousin des Bräutigams väterlicherseits aus Istanbul schenkt dem Paar 200.- Euro“ Vielleicht hat man deshalb irgendwann angefangen das Geld und Gold in Umschlägen abzugeben.
Der Brautschuh
Mit einem Stift werden die Namen der ledigen Freundinnen auf die Sohlen der Brautschuhe geschrieben. Die Dame, deren Name am Ende des Abends verwischt ist, ist die nächste Glückliche.
Tanzen bis zum Umfallen
Das Wunderbare an türkischen Hochzeiten ist die Musikauswahl. Oft startet man recht traditionell mit Musik aus den Regionen des Paares, es geht weiter mit türkischer Popmusik und Halay-Tänzen und findet dann auch mal den Höhepunkt bei harten Techno- und Houseklängen. Eigentlich tanzt fast jeder zu fast jeder Musik, und die Tanzfläche ist stets gefüllt.
„So, was meinst du, kriegen wir das alles hin?“
lächelt Leyla ihren Stefan an. „Kriegen wir das alles hin? Oder planen wir lieber eine kleine Feier und hauen mit dem gesparten Geld ab auf die Malediven?“ fragt Leyla.
Stefan hat es sich überlegt: „Leyla, das klingt verlockend aber lass es uns wagen und eine große türkische Party ausrichten. Ich hab nur eine Bedingung: ‚Bläck Föös‘ und ‚Die Höhner‘ (Karnevalslieder, A.d.R.) kommen auch auf die Playlist!“
Text: Esra Yigit und Nur Şeyda Kapsiz
Fotos: Füsün Cibir