In zwei vorherigen Teilen dieser Serie haben wir euch jeweils drei Heldinnen der türkischen Geschichte und Gegenwart vorgestellt. Frauen, die in Kunst, Wissenschaft, Politik und sozialen Bereichen Revolutionäres geschafft haben, jedoch trotzdem kaum Aufmerksamkeit bekommen. Damit soll Schluss sein:
Schnallt euch an, denn hier kommen drei Heldinnen der türkischen Gegenwart.
Zehra Doğan – Die Künstlerin, die wegen eines Wasserfarbenbildes im Gefängnis sitzt
Mit nur 29 Jahren ist sie mit Abstand die jüngste Heldin, die wir euch bisher hier vorgestellt haben. Aber das macht sie nicht weniger faszinierend. In einer Rede erzählt Zehra Doğan von ihrer Kindheit in Diyarbakır. Sie sei in einem Obdach für vertriebene Kurd*innen geboren, das nach und nach zum Ghetto verkommen war. Jeden Tag warnte ihre Mutter sie davor, das Haus zu verlassen:
„Sie werden dich töten! In diesem Land werden sogar Journalisten getötet.“
Doch Doğan war und ist mutig. Sie ging doch raus, schrieb und malte, leistete Widerstand.
Nach ihrem Kunststudium an der Dicle Universität in Diyarbakır gründete Zehra Doğan mit fünf anderen Feministinnen JINHA – eine ausschließlich von Frauen geführte kurdische Nachrichtenagentur.
Doğan berichtete unter anderem aus Cizre und Nusaybin, zwei Städten, in denen eine Ausgangssperre verhängt wurde, aus Rojava und anderen umkämpften Gebieten. In einer Reportage schrieb sie über jesidische Frauen und Kinder, die vom IS als Geiseln genommen, vergewaltigt und versklavt worden waren. Im Jahr 2015 erhielt sie für diese Berichterstattung den Metin Göktepe Preis.
Politische Kunst
Doch auch die bildende Kunst vernachlässigte Zehra Doğan nie. In ihrer Malerei waren die Hauptthemen stets die kurdische Kultur, Frauen und die politischen Verhältnisse in der Türkei. Ein Bild, das sie auf den sozialen Medien veröffentliche, erregte besondere Aufmerksamkeit und führte schließlich zu ihrer Inhaftierung aufgrund von „terroristischer Propaganda“ im Juli 2016.
Zehra Doğan hat ein Foto, das die Zerstörung einer Stadt durch die türkische Armee im Kampf gegen die PKK zeigt, abgemalt. Im selben Jahr wurde auch das JINHA-Büro von der Polizei gewaltsam geöffnet und das Schloss ausgetauscht, die Medienagentur wurde verboten.
Fünf Monate lang saß Doğan ein, aber während dieser Zeit hatte sie Zugang zu künstlerischem Material und erstellte eine Bilderreihe mit dem Namen „141“. Genau 141 Tage lang saß sie nämlich in Untersuchungshaft. Die Bilder erzählen von Schmerz, von Trauer, fast immer in den Gesichtern von Frauen ablesbar. Zehra Doğan sagt nach ihrer vorläufigen Freilassung in einem Interview mit BBC Türkce:
„Am Ende kommt die Person, die sie [die türkischen Sicherheitskräfte] bedroht, beschuldigt und eingesperrt haben nur noch stärker und entschlossener heraus.“
Im Juni 2017 wurde Doğan erneut festgenommen, seitdem sitzt sie im Hochsicherheitstrakt im Frauengefängnis ihrer Heimatstadt, Diyarbakır. Sollte sie nicht früher entlassen werden, bleiben Zehra Doğan noch ein Jahr und einige Monate in Haft.
Unter anderen ruft Amnesty International zu ihrer Freilassung auf, der Künstler Ai Weiwei schrieb Doğan einen Solidaritätsbrief und der Streetart-Künstler Banksy widmete ihr ein Wandgemälde in New York, darauf zeigt eine Strichliste, wie viele Tage die Künstlerin und Journalistin schon im Gefängnis sitzt.
Zehra Doğan ist wohl die einzige Person weltweit, die wegen eines Wasserfarben-Bildes in Haft sitzt. Berichten von Freunden und Bekannten zufolge malt sie auch im Hochsicherheitstrakt weiter, mit Essensresten und Menstruationsblut.
Mehr Info unter: https://zehradogan.net/
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Demet Demir – Ikone der türkischen Transbewegung
Demet Demir wurde 1961 in Yalova geboren und bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet. Beim Militärputsch von 1980 wurde sie aufgrund ihrer Transsexualität und ihrer Tätigkeit als Sexarbeiterin verhaftet. Dabei hatte Demet Demir kaum eine andere Wahl, wie sie in einem Video der Reihe „Trans Onurlu ve Türkiyeli“ (Trans-Stolz und Türkisch) erklärt.
„Sexarbeit ist das einzige Feld, indem man als Transperson in der Türkei arbeiten kann. Heute, und auch das nur in sehr geringer Zahl, gibt es Leute, die auch andere Jobs ausüben. Aber damals hatten wir diese Chance nicht. Sobald du etwas femininer aussahst, […] und Frauenkleidung getragen hast, blieb dir nichts anderes übrig als Sexarbeit auszuführen.“
Sie erzählt, die meisten Transsexuellen hätten damals, selbst wenn sie schon eine geschlechtsangleichende Operation hinter sich hatten, keinen Ausweis bekommen. Mitte der Achtziger wurden dann viele Transsexuelle aus den großen Städten deportiert. Demet selbst wurde von Militärs in einen Bus gesteckt, konnte jedoch entkommen. Viele Trans- und Homosexuelle wurden nachts im Winter nackt in den Wäldern um Istanbul herum ausgesetzt, auf dem Weg zurück in die Stadt wurden viele von ihnen vergewaltigt. Demir wurde mehrmals in Gewahrsam genommen, teils für einen Zeitraum von zehn Tagen. 1982 musste Demet Demir für acht Monate ins Gefängnis, sie erlitt dort Folter und Schikanen.
Freiraum und Widerstand
Ab 1984 mieteten sich einige transsexuelle Sexarbeiter*innen Wohnungen im Stadtteil Cihangir in Istanbul. Sie arbeiteten dort und bauten sich einen Freiraum auf. „Es war eine großartige Szene“, so Demir. Natürlich konnte das nicht lange halten. Die Polizei attackierte das Viertel im Großaufgebot, bis nichts mehr übrig war vom Freiraum Cihangir.
„Wir waren uns dessen damals nicht im politischen Sinne bewusst, aber in Cihangir war unser erster richtiger Protest. Es war 1988, wir waren fünfunddreißig Transsexuelle. Wir demonstrierten in die Hände klatschend.“
Im selben Jahr trat Demir auch der Menschenrechtsorganisation HRO bei, doch selbst dort stieß sie auf Ablehnung, weil sie Transfrau ist. Doch sie schaffte es, eine Kommission für sexuelle Minderheiten zu gründen und kämpfte erfolgreich gegen sexistische Gesetze.
1991 wurde sie aufs Neue festgenommen, die HRO kümmerte sich jedoch gut um sie, so Demir.
Mittlerweile schreibt Demet Demir für das queere Magazin Gaci Gedichte und Artikel und setzt sich in Zusammenarbeit mit verschiedenen Vereinen und Parteien weiter für die Rechte der LGBTQI-Community in der Türkei ein.
Yıldız Çakar – Poetin mit Courage
Auch diese mutige Frau wurde in Diyarbakır geboren, 1978 kam sie als Rojda zur Welt, ein kurdischer Vorname, der Sonnenaufgang bedeutet. Als sie in der Schule Probleme aufgrund ihrer kurdischen Identität bekam, änderten ihre Eltern ihren Namen. Yıldız sollte sie von nun an heißen – türkisch für Stern.
Yıldız Çakar war siebzehn, als 1995 die bewaffneten Angriffe auf kurdische Gebiete begannen. Das war auch der Punkt, an dem sie begann, journalistisch zu arbeiten. Çakar schrieb auf Türkisch und Kurdisch für eine von Kurd*innen herausgegebene Zeitung.
In dieser Periode kam es ständig vor, dass Zeitungen geschlossen und Çakar und ihre Kolleg*innen festgenommen wurden. Dabei wurden sie und viele andere Opfer von Folter – sowohl in Form von Schlägen, Messer- und Waffenattacken, als auch in Form von psychischer Gewalt. Tagelang mussten die Gefolterten beispielsweise die türkische Nationalhymne hören oder sich vor einem Raum voller Polizisten nackt ausziehen und erniedrigen lassen.
Trotz mehrfacher Folterungen und traumatischer Erfahrungen in Haft blieb Yıldız Çakar in der Türkei und gab das Schreiben nicht auf. „Widerstand war die einzige Chance, die wir hatten“, sagte sie im Interview mit der Berliner Zeitung.
Poesie als Protest
Neben der journalistischen Berichterstattung beschäftigt sich Çakar jedoch auch mit anderen Formen der Schriftstellerei: sie verfasst Gedichte, Kurzgeschichten und Prosatexte. Zusammen mit anderen gründete sie die kurdische Autorengemeinschaft, die mittlerweile verboten ist.
Im Jahre 2004 erschien ihr Lyrikband „Goristana Stêrkan“ (Friedhof der Sterne) in kurdischer Sprache. Mittlerweile gibt es das Buch auch auf Türkisch, Arabisch, Deutsch und Englisch. Die Gedichte erzählen vom Tod, von Exil und Schmerz.
Was willst du
Obwohl in der Fremde
Kehrte das Auge in die Leere. Dieses Mal
Hat es einen Blick in unwegsames Gebirge zurückgelassen.
Die Frau sprach, bevor sie sich
Mir zu wandte, zu ihrem Herz:
„Ich nehme es, wie es ist.“
Das Herz – es lacht!
Es sagt: Die dunkle Höhle!
Da drehte sich die Frau und sagte.
„Ich bin die Sonne.“
Später veröffentlichte Çakar eine Enzyklopädie über die Kultur, Geschichte, Geographie und Sprache Diyarbakırs. Zur Recherche reiste sie monatelang in der Region herum und ließ sich von Einheimischen ihre Lebensgeschichten und tradierte Legenden erzählen.
Mittlerweile lebt Yıldız Çakar in Berlin. Sie sehe sich nicht als Geflüchtete, sondern als Vertriebene, teilte sie im Interview mit der Frankfurter Rundschau.
Çakar schreibt weiter und wir können auf ihr nächstes Buch gespannt sein. Einige ihrer Gedichte findet ihr hier.
Diese drei mutigen Frauen haben zweifellos Geschichte geschrieben. Lasst uns nicht vergessen, was sie erreicht haben, lasst diese Heldinnen uns ein Vorbild sein.
Das war jedoch noch lange nicht alles – in der nächsten Folge geht es weiter mit drei türkischen Frauen, die man kennen muss.