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Gesellschaft & Geschichten

“Für Liebe und Frieden braucht man Widerstand”

Im Gespräch mit dem Schriftsteller und Menschenrechtler Doğan Akhanlı

Eigentlich waren wir mit Doğan Akhanlı am Café Funk in der Nähe des Kölner Doms verabredet. An Ort und Stelle erreicht uns ein Anruf und damit die Frage, ob wir das Interview spontan auch ein paar Meter weiter, direkt neben der Hohenzollernbrücke machen könnten. Am ohne Zustimmung der Stadt errichteten Mahnmal zum Gedenken an den Völkermord an den Armeniern. Dieses sei in Gefahr, ohne Anwesenheit der Aufsteller vom Ordnungsamt abgebaut zu werden. Klar, machen wir.

Als wir dort ankommen, erwartet uns eine Gruppe von Befürwortern des Mahnmals sowie Ordnungsamt, Polizei, Pressevertreter und ein Vertreter der städtischen Politik, die sich rund um das Mahnmal, einen Granatapfel auf einer Säule mit Inschrift, versammelt haben. Mehrmals müssen wir das Interview unterbrechen, weil Doğan Akhanlı von anderen Pressevertretern zu Wort gebeten wird.

Wie würden Sie selbst Ihren Beruf beschreiben?

Ich bin Schriftsteller, mache aber auch politische Arbeit, wie Sie hier sehen.

Sie sind jetzt aber auch Schauspieler am Schauspiel Köln, habe ich gelesen.

Ich bin kein Schauspieler dort, sondern ich spiele mich selber. Das ist ein besonderes Projekt von Nuran David Calis. Er macht schon eine Weile halbdokumentarisches Theater. Das Stück, in dem ich zurzeit mitwirke, heißt Istanbul und handelt von den deutsch-türkischen Beziehungen und den Problemen, die nach dem Putsch 2016 in der Türkei entstanden sind. Ich war eigentlich Berater für das Stück. Es war eine spontane Entscheidung, dass ich jetzt auch auf der Bühne dabei bin. Generell schreibe ich auch selber Theaterstücke und Drehbücher, damit verdiene ich sogar das meiste Geld.

Wann haben Sie angefangen zu schreiben?

1995, das ist eigentlich sehr spät, aber erst in Deutschland habe ich nach fünf Jahren Agieren im Untergrund und drei Jahren Haft in der Türkei die innere Ruhe dazu gefunden. Das war ein schwieriger Übergang vom politischen Aktivisten zum Romanschreiber.

Warum war der Übergang so schwer? Oder anders gefragt: Was ist denn der größte Unterschied zwischen einem Schriftsteller und einem politischen Aktivisten?

Politischer Aktivismus braucht die sichere Haltung und Behauptung, dass es so ist und nicht anders.

Beim Romanschreiben ist es umgekehrt. Die Sicherheit schadet beim Schreiben. Es sollten viele Fragen im Raum stehen und keine Antwort. Das war ein Lernprozess für mich. Ich musste mehr Raum für den Leser lassen. In der Politik funktioniert eher zu sagen: Das ist der richtige Tisch, es gibt keinen schöneren als diesen, wenn man ihn nicht nutzt, schmeckt das Essen nicht. Man muss für seine Sache einstehen, man darf keine Alternativen aufzeigen.

Sehen Sie einen Anfang von ihrem politischen Engagement?

Ich würde sagen, der türkische Staat hat mich zu einem politischen Menschen gemacht. Ich würde es als Zufall oder Unglück bezeichnen. Ein Polizeibeamter hat gesehen, wie ich, ein 18-Jähriger, eine linke Zeitung gekauft habe. Er hat mich festgenommen und tagelang gefoltert. Das hat mich extrem traumatisiert, aber auch politisiert. Sie haben mir unterstellt, in einer linken Untergrundorganisation aktiv zu sein und das war einfach Quatsch. So wurde das Vertrauen zwischen mir und dem Staat zerstört, und das hat sich auch nie wieder erholt.

Viele Leute hätten sich nach dieser Erfahrung eher in die Privatheit zurückgezogen und sich nicht mehr politisch engagiert. Warum Sie?

Ich habe auch darüber nachgedacht und mich gefragt, was passiert wäre, wenn sie mich nach elf Tagen Folter frei gelassen hätten, denn zu dem Zeitpunkt war die Angst riesig. Aber sie haben mich ins Gefängnis geworfen und da saßen die Legenden. Dort habe ich in vier Monaten so viel über Marxismus gelernt, das kann man sich nicht vorstellen. Und als ich wieder draußen war, fühlte ich mich wie ein Theoretiker. Mit dieser großen Verletzung und der daraus entstehenden Wut ist man entweder als junger Mensch kaputt oder man radikalisiert sich. Und das Zweite ist mir passiert.

Welche Werte sind für Sie im Leben am wichtigsten?

Liebe, Frieden und Ruhe, für die Liebe und den Frieden braucht es aber auch Widerstand. Das habe ich gelernt. Ohne diesen lässt sich das Böse nicht besiegen.

Würden Sie sagen, dass Sie ein mutiger Mensch sind?

Weiß ich nicht, vielleicht muss ich mutig sein, ich habe ja irgendwie keine andere Wahl. Ich war ein wirklich ängstlicher Junge, dann ein entschlossener Aktivist und wegen so viel Gewalt, Verfolgung und Bedrohung habe ich die Fähigkeit verloren, Angst zu haben. Ich spüre keine Angst.

Wirklich nie?

Ich spüre nur die Angst um meine Freunde und Familie. Wenn es um mich geht, bin ich total gleichgültig.

Woher nehmen Sie diesen Mut und diese Kraft, sich aufzulehnen? Und woher wissen Sie, dass Sie das Richtige tun?

Bitte übertreiben Sie nicht! Ich lebe in Deutschland, hier muss ich keine Angst haben. Ich kann die Leute verstehen, die in der Türkei leben und Angst haben, dort gibt es auch eine echte Bedrohung, man kann nämlich einfach lebenslang hinter Gitter kommen. Zudem braucht man für das, über das ich rede, keinen Mut. Ich rede über Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ich denke, wenn wir über Mut sprechen, sollten wir auch darüber sprechen, dass die Frauen in der Geschichte immer mutiger als die Männer waren. Und das bis heute. Der Slogan “Wir wollen einen Vibrator, keinen Dikator” dieses Jahr auf einem Transparent am Weltfrauentag in der Türkei war zum Beispiel großartig und mutig.

Inwiefern ist die Behandlung von Geschichte für Sie wichtig beziehungsweise welchen Anteil hat dieser Teil Ihrer Arbeit?

Ich mache viel Bildungsarbeit. Das hat mit meiner Biografie zu tun. Die große Gewalt, die den Armeniern angetan wurde, ist auch die, die mir widerfahren ist. Der Unterschied ist: Ich konnte weggehen. Die Armenier hatten keine Chance. Genauso wie viele andere wurden sie nur vernichtet, weil sie zu einer bestimmten sozialen Gruppe gehörten. Für mich war übrigens die deutsche Aufarbeitungsgeschichte ein positives Vorbild. Aufgrund dieser habe ich mir überlegt, dass ich auch unbedingt Bildungsarbeit machen muss.

Der Philosoph Walter Benjamin hat geschrieben, dass wir die Vergangenheit nicht ändern können, wohl aber die Bedeutung der Vergangenheit.

Wie gehen Sie denn mit Ihrer persönlichen Geschichte um? Aufarbeiten oder verdrängen?

Definitiv aufarbeiten. Zum einen habe ich mich in psychologische Behandlung begeben, zum anderen war auch das Schreiben eine Therapie. Wenn ich nämlich einen Satz geschrieben habe, habe ich millionenfach über diesen nachgedacht. Der eine Satz war dann Literatur, das vorherige Nachdenken Therapie.

Würden Sie sagen, dass Deutschland Ihre Heimat ist?

Ja. Ich habe aber auch keine andere, meine Heimat in der Türkei habe ich durch die Gewalt des türkischen Staates verloren. Aber ich bin deswegen nicht mehr melancholisch. Ich habe es akzeptiert.

Wie sehen Sie die Entwicklung in Deutschland in Bezug auf die AfD und Fremdenhass? Sehen Sie eine Gefahr? Was ist Ihre Einschätzung?

Die Entwicklungen beunruhigen mich sehr, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Man darf nicht so naiv sein und denken, dass es hier nie wieder Krieg und Faschismus geben kann.

Wir können auch wieder in einer Situation wie in den 1930er Jahren landen. Wir müssen Europa verteidigen.

 

Kurz nach dem Interview wurde das Mahnmal zum Gedenken an den Völkermord an den Armeniern von der Stadt entfernt. Doğan Akhanlı und andere kämpfen für den Wiederaufbau.

Credits
Fotografie: Annette Etges

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