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Sprache & Literatur

Der charmant Ungehaltene

Zu Gast bei Deniz Utlu

Der Kuchen ist fertig, der Fotograf bereit, es kommt endlich zum Treffen mit dem Autor Deniz Utlu. Nach monatelanger Suche nach einem geeigneten Termin, können wir endlich unser langersehntes Interview führen. Er hat uns in seine WG eingeladen.

Vor dem vereinbarten Termin treffe ich mich mit Nikolai, unserem Fotografen, mit dem ich nochmals den Ablauf durchgehe. Die vorbereiteten Fragen werden besprochen, wobei ich zugeben muss, dass mir die einfachen und  banalen wie „Was ist deine Lieblingsfarbe?“ oder „Was ist dein Lieblingstier?“ lieber gewesen wären. Und am liebsten würde ich zunächst von ihm erfahren, woher seine Eltern aus der Türkei stammen. Das ist eine Frage, die sich auch Deutsch-Türken der dritten oder vierten Generation immer noch gegenseitig stellen, um gewisse Gemeinsamkeiten auszuloten. Obwohl mir diese Fragen auf der Zunge brennen, unterhalten wir uns zunächst über seine Arbeit und seinen Roman Die Ungehaltenen.

Der Bücherwurm

Wir werden von Deniz herzlich in seinem WG-Zimmer empfangen. Mir scheint, als würde ich eine Privatbibliothek betreten. Meine Neugier-Frage, ob er auch Türkisch sprechen und lesen könne, erübrigt sich sofort. Deutsche, englische, französische und türkische Bücher stapeln sich meterhoch. Der Platz im Bücherregal reicht bei Weitem nicht mehr aus, sodass der vorgestellte Tisch als Ablage herhalten muss. Diverse Zeitschriften und Zeitungen zieren fein das Büchermosaik. Im Kontrast dazu steht seine Gitarre, die er gerne als Abwechslung zu seinem wortreichen Leben spielt. Ich bin von der Menge der Bücher schwer beeindruckt und frage ihn, ob er denn auch alle gelesen hätte. Nach kurzem Überlegen antwortet er charmant mit einem Ja.

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Das Theaterstück Die Ungehaltenen

In der Zwischenzeit serviert er uns Getränke und den von uns mitgebrachten, mit bunten Früchten belegten Kuchen. Das noch warme und luftige Gebäck schmeckt allen und die Stimmung wird langsam lockerer. Ich entdecke auf dem Tisch Flyer mit der Aufschrift Die Ungehaltenen und erfahre, dass sein Roman von Hakan Savaş Mican und Necati Öziri zu einem Drama umgeschrieben und in das Juni-Programm des Gorki-Theaters aufgenommen wurde. Er ist sehr froh darüber, dass ausgerechnet Mican daran gearbeitet hat, weil er einen emotionalen Zugang zum Stoff habe. Mican durfte bereits in der Entstehungsphase ein wichtiges Kapitel des Romans lesen, sodass er durch diese Rohfassung erste Vorstellungen von einer Dramaturgie hatte.

Deniz’ Debütroman

Auch wenn einige Parallelen zwischen Deniz und seiner Hauptfigur Elyas vorhanden sind, ist der Roman keine biografische Nacherzählung. Nur die Emotionen, mit denen er arbeitet, die er selbst kennt, werden stärker betont. Die ihm unbekannten Gefühle versucht er nur schemenhaft zu skizzieren. Die Figuren in Die Ungehaltenen treffen oft Entscheidungen, denen Deniz in gleicher Situation vielleicht ausweichen würde. Sie fühlen jedoch ähnlich. Und auch so manch ein Leser wird Elyas‘ Gefühlswelt sicherlich gut nachvollziehen können, als dieser in die Berliner Party-Szene eintaucht und hin- und hergerissen ist zwischen vermeintlicher Freiheit und der Verantwortung gegenüber sich selbst und seiner Familie. Eine Orientierung im Leben findet er, als er sich verliebt und plötzlich anfängt, sich mit seiner eigenen Herkunft auseinanderzusetzen. Damit versucht Deniz, den Leser zielsicher und gekonnt dazu anzuregen, über die eigene familiäre Vergangenheit nachzudenken. Nach diesem erstklassigen Debütroman werden wir sicher mehr von Deniz Utlu lesen und hören dürfen.

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Deniz‘ Vielschichtigkeit

Nach dem anfänglichen Smalltalk beginne ich, meine ersten Fragen zu stellen. Obwohl ich viel von Deniz gelesen und mich akribisch vorbereitet habe, geht die erste Frage in die Hose. Ich bezeichne seine Eltern als Gastarbeiter, obwohl diese, wie ich gleich erfahre, nicht mit dem Anwerbeabkommen nach Deutschland kamen. Sein Vater hatte zwar als Arbeiter in einem VW-Werk seine Schichten geschoben, war jedoch auch gleichzeitig an einer deutschen Hochschule eingeschrieben. Hier entdecke ich die erste Parallele zur Hauptfigur Elyas aus seinem Roman: Elyas‘ Vater arbeitet ebenfalls als Schichtarbeiter, um sich sein Studium zu finanzieren.

Seine Kindheit bündelt Deniz ohne große Umschweife kurz zusammen: „Meine Kindheit war voller Freude, Trauer und allem was dazu gehört.“ Er wuchs in Hannover auf und kam zum Studieren nach Berlin. Im Laufe seines Erwachsenwerdens begann er, sich für Lebensrealitäten zu interessieren, insbesondere für die der Arbeiter und Migranten. Trauer, Angst, Wut, Selbstfindung und Verlust, aber auch die Suche nach Solidarität prägten sein Menschheitsbild und wurden zu zentralen Themen seiner Arbeiten. Als 16-jähriger Schüler begann er seine Texte auf Lesungen vorzustellen. Nach dem Abitur entschied er sich für das Studium der Volkswirtschaftslehre. Ihn interessierte insbesondere, welches Handeln dem Durchschnittsbürger von Nutzen sein könnte. Dieses Wissen spiele beim Schreiben eine tragende Rolle, verrät er mir. Als er am Ballhaus in der Naunynstraße eine Lesereihe zum 50-jährigen Jubiläum des Anwerbeabkommens kuratierte, keimten gleich neue Ideen für Essays in ihm auf. Mir scheint, als sei für Deniz jeder Ort eine Quelle der Inspiration.

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Das Nicht-Vergessen

Für Deniz Utlu ist das Nicht-Vergessen ein Grundbaustein in seinen Arbeiten. 2011 schrieb er einen Essay mit dem Titel Das Archiv der Migration. In diesem Archiv verstauben Gedichte und Erzählungen von Gastarbeitern, die, unsortiert, ihrem Schicksal überlassen wurden und in Vergessenheit gerieten. „Doch das lasse ich nicht zu“, entgegnet Deniz mit fester und überzeugter Stimme. Eine weitere Parallele zu seiner Hauptfigur Elyas? Als ich ihn darauf anspreche, zieht ein Lächeln über sein Gesicht. Deniz gibt zu, dass es durchaus einige Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Elyas gibt.

Deniz führt seine Ausführungen zum Thema Nicht-Vergessen fort und spricht über die Radikalisierung des Einheitsgedankens. Einheit im Menschsein sei erstrebenswert. Aber sobald nur von einer Gruppe, einer Wahrheit oder einer Geschichte gesprochen wird, bekäme die Idee der Einheit antidemokratische Züge. Die Vergangenheitsthematik sei allgegenwärtig.

Am Ende des Interviews sind alle Kuchenstücke aufgegessen, Nikolai schießt die letzten Fotos und ich stelle doch noch meine drei Lieblingsfragen, auf die ich folgende Antworten bekomme: Seine Lieblingsfarbe sei rot und sein Lieblingstier der Tiefseefisch. Seine Eltern kämen aus Mardin. Dass ausgerechnet ein Fisch sein Lieblingstier ist, wundert mich nicht. Fische nehmen in vielen Texten Deniz eine zentrale Rolle ein – sein Name bedeutet auf Türkisch „Meer“.

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Fotos: Nikolai Ziener

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