In den USA wird ein Schwarzer am helllichten Tag von Polizisten ermordet. Passant*innen filmen das Geschehen – wenige Tage später steht das Land in Flammen. Was bedeutet das für uns? Ist der Black Struggle ein genuines US-Problem?
Vorfälle dieser Art zeigen auf der ganzen Welt: Rassismus ist ein globales Phänomen. In der Wissenschaft wird er unter anderem als Ideologie der Ungleichwertigkeit bezeichnet. Er ist nicht nur auf das sogenannte Land der unbegrenzten Möglichkeiten beschränkt, sondern ist in jeder Region dieser Welt wiederzufinden. Doch für diese unbegrenzte Möglichkeiten benötigt es allgemein anerkannte Freiheiten.
Freiheiten, die meistens nicht für marginalisierte Menschen, wie George Floyd gelten. George Floyd ist tot – verstorben an den Folgen von Polizeigewalt und es war kein Einzelfall. Rassismus spielt sich meistens entlang der Dimensionen von Phänotyp, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Migrationsgeschichte, Sprache und dem Eigennamen ab.
Dabei funktioniert er überall nach derselben Logik. Irgendwer hat relativ mehr Macht als irgendwer anderes. Das ist die machtkritische Perspektive, die notwendig zum Erkennen von Diskriminierung ist, und Diskriminierung kann im schlimmsten Fall tödlich sein.
Rassismus – eine alte Tradition in den USA
Der Rassismus gegen Schwarze Menschen in den USA hat eine lange Geschichte. Mit der Unabhängigkeitserklärung der USA im Jahre 1776 setzt sich die bereits zuvor begonnene massive Ausbeutung von Schwarzer Arbeit und Schwarzen Körpern in Form von Sklaverei fort. Bis in die 1960er und 70er Jahre hinein wird gesellschaftliche Segregation von Schwarzen juristisch legitimiert.
Erst mit der Empowermentarbeit von namenhaften Persönlichkeiten wie Dr. Martin Luther King oder Malcolm X wurden diese Ungerechtigkeiten in den USA zumindest auf dem Papier behoben. Juristisch betrachtet dürfte es in den USA keinen Rassismus geben. Genauso wenig wie in Deutschland – doch es gibt ihn.
Macht, Privilegien und Racial Profiling
Machtkritik ist ein wichtiger Bestandteil in der Analyse von Rassismus. Meistens sind es konstruierte Kollektive, die andere konstruierte Kollektive rassistisch diskriminieren. Das heißt, es gibt eine Mehrheitsgesellschaft, die aufgrund von Vorurteilen, Stereotypen, Tradition, Ideologie oder eigener Privilegien eine Minderheit diskriminiert. So weit, so schlimm.
Eine Reaktion auf die sozialen bzw. tödlichen Ungleichheiten ist momentan vielerorts der Aufruf zur Reflektion der eigenen (weißen) Privilegien. Diskriminierungskritische Bildungsarbeit soll das leisten, was seit der Französischen Revolution den Bürger*innen des globalen Nordens versprochen wurde: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“.
Racial Profiling ist so ziemlich das Gegenteil dieser Versprechung und ist dennoch alltägliche Realität für Betroffene. Es bezeichnet das Vorgehen von Polizei- und Sicherheitsbehörden aufgrund von äußeren Merkmalen, wie Hautfarbe des Betroffenen.
George Floyd wurde zum Opfer von Racial Profiling. Auch in Deutschland ist Profiling gängige Praxis der Bundespolizei, trotz eindeutigen juristischen Verbots.Was passiert also, wenn die öffentlichen Institutionen, der Staat und in diesem Fall die Polizei, rassistisch agieren? Hilft dann noch die Reflektion auf die eigenen Privilegien?
Die Verharmlosung von rechter Gewalt durch den Staat
„No justice, no peace“ skandieren die Demonstrierenden in den USA. Die Geschichte der US-Ermittlungsbehörden hat viel zu oft bewiesen, wie schwer es ihr fällt, rassistische Gewaltverbrechen adäquat zu verfolgen. Nicht zuletzt hat das der Fall des Joggers Ahmaud Arbery bewiesen, der am 23. Februar 2020 von zwei weißen Männern grundlos erschossen wurde.
Doch wie stehen die Ermittlungsbehörden in Deutschland da? Die jahrzehntelange Verharmlosung von rechtem Gedankengut und rechter Gewalt hat nicht zu Unrecht dem Staat den Vorwurf eingebracht, er sei auf dem rechten Auge blind. Die Amadeu Antonio Stiftung beklagt die große Diskrepanz zwischen den realen Todesfällen durch rechte Gewalt und der Anerkennung als solche durch staatliche Behörden.
Nach ihrem unabhängigen Monitoringprozess kommen sie auf mindestens über 200 Tote durch rechte Gewalt seit den 1990ern. Die Liste ist erschreckend lang und das Trauma des NSU ist noch nicht verheilt. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Dimension von polizeilichem Rassismus gegenüber Schwarzen und anderen nicht-weißen Menschen in den USA eine viel gewaltigere als in Deutschland ist. Und doch gibt es ihn auch hier.
Institutionen, wie Polizeibehörden, sind aufgrund ihrer starren Strukturen schwer zu verändern. Daher sollte das rassistische Verhalten von Behörden als ein Problem verstanden werden, das vor allem nur politisch gelöst werden kann. Ein erster Schritt wäre die Einführung von unabhängigen Ermittlungsbehörden für Polizeigewalt in Deutschland und der Ausbau des Antidiskriminierungsgesetzes nach dem Vorbild des Landes Berlin, das nächste Woche ein stärkeres Landesdiskriminierungsgesetz verabschieden will.
Neue Empowermentstrukturen in Deutschland
Spätestens seit den letzten rechten Terroranschlägen in Hanau, Halle und Kassel beginnen junge politisierte BI_PoC (Black, Indigenous and People of Color) sich in deutschen Großstädten in Empowermentstrukturen zu organisieren, um das politische Problem der Verletzlichkeit von betroffenen Communities sichtbar zu machen.
Sie identifizieren sich im weitesten Sinne als migrantisch und antifaschistisch, weshalb sie sich abgekürzt Migrantifa nennen. Sie teilen den ähnlichen rassistischen Erfahrungshorizont und wollen ihrer Wut und Empörung nun in Form von Protesten Gestalt verleihen. Das konnte zuletzt am 8. Mai – dem „Tag des Zorns“ über dezentral organisierte Aktionen verfolgt werden.
Antirassistisch sein – für die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen
Dass der Rassismus gegen Schwarze eine andere Qualität hat, sollte uns Antirassist*innen umso mehr bewegen sich mit den Schwarzen in den USA, Deutschland und anderswo zu solidarisieren. Antirassistisch sein kann jede*r, die oder der sich bereit erklärt, diesen scheinbar aussichtslosen Struggle für ein selbstbestimmtes Leben und gerechte gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft zu führen.
Dieser Prozess ist ein voneinander und füreinander Lernen und bedeutet zum Teil, sich auch aus seiner eigenen Komfortzone herausbewegen zu müssen – und sich auch über Social Media hinaus zu engagieren. In den USA entladen sich nun die seit Jahrzehnten aufgestaute Frustration und Ohnmacht. Für uns bedeutet das, unsere Solidarität und Anteilnahme über den Atlantik an unsere Schwarzen Schwestern und Brüder zu senden.
Es kann nur ein all lives matter geben, wenn es ein black lives matter gibt.
In Gedenken an unseren Bruder George Floyd. Rest in Power.
Die in diesem Artikel verwendeten Bilder entstanden überwiegend in der vergangenen Woche auf Demonstrationen amerikanischer Bürger*Innen in Indianapolis, Indiana. Sie wurden von Mike Von, Donovan Valdivia & Hybrid aufgenommen.