Vor-Denker Fatih Çevikkollu

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Ich treffe Fatih Çevikkollu in seinem Stammcafé am Eigelstein in Köln. Der Kabarettist hängte vor rund zehn Jahren seine erfolgreich Film- und Theaterkarriere an den Nagel und bespielte fortan die Bühnen des Landes als One-Man-Show. Ich erlebe einen rasanten Erzähler, dessen Leidenschaft nicht nur dem aktuellen Zeitgeist sondern auch Tschechows Kurzgeschichten gilt.

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Lieber Fatih, mit deinem Kabarettprogramm Fatihtag bist du seit einem Jahr auf Tour. Worum geht es in Fatihtag?

In Fatihtag geht es um Identität. Ich finde, und vielleicht ist das auch für renk. spannend, Identität sollte in unserer Gesellschaft in den Fokus rücken. Da gibt es kein richtig und falsch, sondern nur die Frage: Wie bildet sie sich? Identität ist nicht festgeschrieben. Leute regen sich zum Beispiel auf, weil in der Nationalmannschaft ein paar Jungs die Hymne nicht mitsingen. Warum? Das war doch noch nie Thema. Woher kommt dieses Anspruchsdenken?

Baust du auch aktuelle Ereignisse in das laufende Programm ein?

Ich baue neue Sachen ein, schaue aber nach jeder Änderung nochmal ob sie in den Zusammenhang passen. Wenn ich etwas zur sogenannten Islamisierung des Abendlandes oder Charlie Hebdo erzählen will, mache ich dafür im Programm einen eigenen Block auf und lasse das Thema allmählich reifen. Die Kunst ist es, aktuelle Geschehnisse so in das Programm einzubauen, dass sein wesentlicher Kern nicht verändert wird.

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Dein nächstes Programm wird Emfatih (Wortspiel aus Empathie und Fatih – d. Red.) heißen. Worum geht es dabei?

Das weiß ich noch nicht genau. Aber Empathie ist das, was auf der Welt fehlt. Wir leben in einer entsolidarisierten Gesellschaft. Die Welt, der Mensch, der Körper, alles ist Marktstrukturen unterworfen. Da bleibt das Mitgefühl auf der Strecke. Ich klinge jetzt vielleicht ein bisschen wie der Papst, aber ich halte das für die Wahrheit. Seitdem der Russe weg ist, steht der Moslem im Rampenlicht. Religionen treten immer mehr nach vorne. Das gab es früher nicht. Früher waren wir Kümmeltürken, heute sind wir Topterroristen. Das ist der gedankliche Unterbau von Emfatih.

Kabarett ist ein Denk-Raum.
Ich denke vor, der Zuschauer denkt nach.

 

Wie kam es, dass du nach so vielen Jahren erfolgreicher Schauspielkarriere zum Kabarett gewechselt bist?

Nach Jahren am Düsseldorfer Schauspielhaus und als Murat in der Serie Alles Atze hatte ich das Bedürfnis, selbstständig zu arbeiten. Ich war in einem Hamsterrad gefangen. Muss es wirklich der siebzehnte Aufguss von Minna von Barnhelm sein? Sicher gibt es in der Literatur genügend Beispiele für jedes gesellschaftliche Phänomen, aber ich finde es spannender im Heute zu bleiben und mit der heutigen Sprache zu erzählen. Wenn am Ende noch ein Gag dabei rauskommt, umso besser. Die Selbständigkeit funktionierte sofort. Ich habe 2006 gleich den Prix Pantheon gewonnen. Kabarett ist ein Denk-Raum. Ich denke vor, der Zuschauer denkt nach.

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Du hast ab 1997 an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin studiert. Wie ging das vonstatten?

Die Ausbildung ist kein Zuckerschlecken, sondern regelecht ein Eingriff in die Persönlichkeit. Du bist von früh bis spät in der Schule und kommst gar nicht dazu, dich außerhalb der Uni zu sozialisieren. Stundenplan, Anwesenheitspflicht, Prüfungen; Das Programm ist mehr, als du verkraften kannst, wahnsinnig überladen.

Das gehört zum Konzept, oder? Die wollen wohl deine Persönlichkeit brechen.

Genau, dein Innerstes muss seinen Ausdruck im Äußeren finden. Dafür muss das Äußere zerstört werden. Dieser Satz mag brutal klingen, aber es ist die Wahrheit. Eines der ersten Dinge, die ich gelernt habe, war, wie Menschen sich stilisieren: der Intellektuelle, der Arbeiter, der Bartträger, der Schmuck, die Klamotten. Sobald du auf der Bühne bist und professionell Geschichten erzählen willst, musst du es schaffen, auf Null zu kommen. Das bedeutet, du musst es zuerst schaffen, deine eigene Stilisierung wahrzunehmen. Das ist ziemlich spannend und intensiv!

Wenn du diese Schule absolvierst, findest du ohne Probleme einen Job. Das Intendantenvorspiel zum Abschluss mutierte zum Viehmarkt. Alle Jungschauspieler präsentieren ihr Können auf der Bühne und die Intendanten kaufen“  ein. Julia Jentsch, die auch in meiner Klasse war, ging als erste weg.

Für welche Rolle würdest du gerne nochmal „gekauft“ werden?

Ich würde gerne den Jago von Othello spielen oder Othello selbst. Es gibt diese Stelle in Othello, in der Cassio (Othellos Fähnrich – d. Red.) im Restaurant eine Prügelei vom Zaun bricht, die Jago eingefädelt hat. Er lässt Othello holen, der in Anbetracht der Szenerie mit dem Satz daherkommt:

Sind wir zu Türken geworden?. Nur wegen dieses Satzes würde sich das schon lohnen. Tschechow finde ich auch großartig und würde wahnsinnig gerne ein Projekt mit seinen Kurzgeschichten realisieren. Diese Geschichten sind lebendig, warm, menschlich, tief und nährend. Du bekommst eine ganze Welt geliefert und ihre Abgründe gleich mit.

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Erzähl uns noch kurz, wie deine Mitgliedschaft bei der Hip-Hop-Gruppe Shakkáh zustande kam.

Die Leute kamen aus dem Dunstkreis um Hip-Hop gegen Rechts. Ich hatte einen Kumpel, Erdal, der war Saxophonist und Jazzer. Mit zwei weiteren Kumpels, Mike und Mark, schrieben wir die Texte, produzierten und verlegten alles selbst. Ich habe gerappt und uns mit dem Geld vom Jugendtourneetheater die Platte finanziert. 1996 kam unser Oriental-Jazz-Album Domplatte heraus. Das war Fusion (Jazz in Verbindung mit anderen Musikstilen- d. Red.), das gab es damals so in Deutschland nicht. Wir spielten JazzOrientalRap, mal auf Türkisch, mal auf Deutsch. Insgesamt waren wir dreizehn Leute auf der Bühne. Aber welche Plattenfirma lässt sich auf so etwas ein.

Hier mehr Infos zu Fatih Çevikkollu und seiner Tour.

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