Spirituelle Trends

Zwischen Erleuchtung und Neokolonialismus

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Spiritualität liegt voll im Trend. Ausräuchern, psychedelische Heilungstrips, Yoga-Retreats, Meditation, Affirmationen, Heilkräuter und was WitchTok nicht noch alles zu bieten hat. Doch viele dieser Praktiken und Traditionen stammen aus Kulturen, die historisch von Kolonialmächten unterdrückt, marginalisiert oder sogar ausgelöscht wurden. Wir müssen darüber reden, warum es problematisch ist, dass der Westen sich nun an den Praktiken dieser Kulturen bedient und sie für kapitalistische Selbstfindungsfantasien kommerzialisiert.

Auch im europäischen Raum wurde sich schon immer mit mystischen, spirituellen und okkulten Themen befasst. Verschiedene westliche, esoterische und spirituelle Strömungen entstammen den Vorstellungen der Antike. Aktuell im Trend liegen jedoch eher Praktiken, die dem Hinduismus, Buddhismus und den Lehren indigener Völker entspringen. Zum Beispiel ist zu beobachten wie immer mehr weiße ihre Jobs verlassen um als Yoga-Lehrende oder Reiki-Heiler*innen andere zur Erleuchtung zu führen. ,,Ausbilden’’ lassen sie sich einfach in Expresskursen. Nicht-westliche spirituelle Traditionen und Heilmethoden werden so entkontextualisiert und auf stereotype Weise gelehrt und praktiziert, was zu einer Verzerrung ihrer Bedeutung führt. 

Spiritueller Tourismus

Inmitten der idyllischen Landschaften des globalen Südens werden Yoga-Retreats zu Rückzugsorten, die die spirituelle Praxis des Yoga mit körperlicher und geistiger Erholung verbinden. Doch hinter der scheinbaren Harmonie verbergen sich kulturelle Aneignung und koloniale Dynamiken. Dass es sich beim Yoga um eine antike indische Lebensphilosophie handelt, die viel mehr als ein Workout ist und von England lange verboten wurde, bleibt nämlich meist unerwähnt. Das Whitewashing dieser spirituellen Praxis spielt jährlich viele Milliarden Dollar in die Kassen, während südostasiatische Menschen aus dieser Industrie ausgeschlossen bleiben.

Eine ähnliche Dynamik ist im Zusammenhang mit Ayahuasca zu beobachten.  Ayahuasca ist ein traditionelles Pflanzengemisch, das von indigenen Völkern im Amazonasgebiet für rituelle und spirituelle Zwecke verwendet wird. In den letzten Jahren hat Ayahuasca jedoch weltweit an Popularität gewonnen, insbesondere in Zusammenhang mit spirituellen Suchenden und Touristen. Mit der zunehmenden Nachfrage nach Ayahuasca entstehen kommerzielle Einrichtungen und Programme, die Ayahuasca-Kuren auch außerhalb ihres kulturellen Kontextes anbieten. Dies führt zu einer Ausbeutung sowohl der Pflanze selbst als auch der indigenen Gemeinschaften, die traditionell für ihre Herstellung und Verwendung verantwortlich sind. Ayahuasca als populäre Selbstfindungsdroge wird so von seiner spirituellen Dimension entkoppelt und zu einem Konsumgut.

Smudging

Viele spirituelle und medizinische Praktiken von Native Americans waren in den USA bis 1978 gesetzlich verboten. So auch Zeremonien, die das Verbrennen von Pflanzen, besonders von weißen Salbei zur Reinigung, Heilung und Segnung beinhalten. Mittlerweile ist Smudging, dt. Ausräuchern, aber zum großen Trend in der westlichen spirituellen Szene geworden. So groß, dass die Bestände vom weißen Salbei wegen der Überernte drastisch zurückgehen. Die Kommerzialisierung und Übernutzung von weißem Salbei bedroht nicht nur die kulturelle Praxis indigener Gemeinschaften, sondern auch ihre spirituelle Verbindung zum Land und ihren Lebensunterhalt.

Neokolonialismus

In der Vergangenheit wurden viele nicht-westliche Communities von Kolonialmächten unterdrückt und ihnen ihre spirituellen Praktiken untersagt. Doch genau diese spirituellen Praktiken werden im Westen nun kommerzialisiert. Unter dieser Kommerzialisierung leiden wiederum erneut die Gemeinschaften, dessen Praktiken sich angeeignet wurden. 

Das alles sind Mechanismen des Neo-Kolonialismus. Im Gegensatz zum klassischen Kolonialismus, bei dem die Kolonialmächte direkte politische und territoriale Kontrolle über die kolonisierten Gebiete ausüben, beruht dieser auf subtileren Einflussnahmen durch unfaire Handelspraktiken, ausbeuterische Arbeitsbedingungen, Schuldenlasten oder andere Formen der wirtschaftlichen Unterdrückung.

Durch eine bewusste Auseinandersetzung mit den historischen und kulturellen Kontexten spiritueller Praktiken kann dazu beigetragen werden, die Auswirkungen von kultureller Aneignung und Neokolonialismus zu verringern. Spiritualität kann das Leben bereichern, doch sollte dies nicht auf Kosten ohnehin schon marginalisierter Gruppen geschehen. Oft findet man Alternativen zu den problematischen, verwestlichten Praktiken. Anstatt mit weißen Salbei zu Smudgen, kann man z.B. auch Rosmarin, Zeder oder Sandelholz verwenden. So einfach kann es sein Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv für eine dekolonisierte Spiritualität einzusetzen.



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