„Fühlst Du dich eher deutsch oder türkisch?“ Vielleicht hast Du diesen Satz auch schon mal gehört. Oder hast Du mal jemanden danach gefragt? Özlem Winkler-Özkan kann davon ein Lied singen. Wir haben uns mit der zauberhaften Schauspielerin und Sängerin in Hamburg in einer alten Lagerhalle getroffen und uns mit ihr über ihre Arbeit in einem Kulturzentrum, ihrer Band und über das Thema Vorurteile und Identität unterhalten.
Liebe Özlem, Du bist Leiterin des PEM Centers, ein Kulturzentrum für emotionale Bildung, in der mit der Perdekamp’schen Emotionsmethode gearbeitet wird. Was können wir uns unter dieser Methode vorstellen?
Die Perdekamp’sche Emotionsmethode stammt aus der Theaterpädagogik. Entwickelt wurde die Methode von dem Schauspieler und Regisseur Stephan Perdekamp, der vor 23 Jahren während meiner Schauspielausbildung mein Lehrer war. Es geht in dieser Methode vor allem um die Steuerung von Emotionen. Also Emotionen, die auf der Bühne handwerklich erzeugt, ganz gezielt geführt und körperlich spürbar gemacht werden können. Es ist eine ganz bestimmte Art und Weise vom Theaterspielen, Geschichten erzählen und musizieren, die sehr berührend sein kann. Schon während meiner Schauspielausbildung wusste ich, dass das etwas ist, das ich weiterverfolgen möchte. Weil ich gerne emotional spielen möchte, im Sinne von authentisch. Im Ausland, z.B. in der Türkei, in Neuseeland, Australien oder England ist diese Methode an Universitäten und an Acting Centern sehr begehrt. Nur in Deutschland kennt man uns leider noch nicht. Ich finde das sehr schade, denn diese Methode hat meiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit verdient. Autisten lernen, wie man mit spannungsgeladenen Situationen besser zurechtkommt und den Menschen, die emotional belastet sind, geht es besser, weil sie lernen, ihre Emotionen selbst zu steuern.
Du hast neben deiner Tätigkeit als Schauspielerin und Leiterin des PEM Centers außerdem eine Band, die sich Migrationshintergrund nennt. Wieso dieser Name?
Meine Eltern kamen 1969 aus der Türkei nach Deutschland. Ich bin 1974 in Deutschland geboren. Damals bekam man den Stempel des Gastarbeiterkindes aufgesetzt. Im Laufe der Zeit wurde man Ausländer, heute ist man Person mit Migrationshintergrund. Ich hatte eigentlich immer gehofft, dass irgendwann ein Begriff kommt, der nicht immer meine Ahnen mit in meine Gegenwart oder Zukunft nimmt. Ich glaube, unsere Kinder und sogar deren Kindern werden diesen Stempel nie loswerden. Keiner von denen wird wirklich deutsch sein. Einmal Migrationshintergrund, immer Migrationshintergrund. Und da dachte ich mir mit Augenzwinkern, dass ich das ein bisschen auf den Arm nehmen sollte. Das allererste Lied, das ich geschrieben und komponiert hatte, hieß Migrationshintergrund. Und so sollte auch meine Band heißen.
Für meine deutschen Hörer scheint es interessant zu sein, welche Erfahrungen wir Menschen mit Migrationshintergrund gemacht haben oder immer noch machen. Von daher ist es schon eine Art integrative Arbeit geworden.
Worum geht es in deinen Liedern?
Meine Texte sind sehr subjektiv. Sie handeln von Geschichten, die ich persönlich erlebt habe. Zwar sind es Geschichten aus der persönlichen Erfahrung heraus, aber dennoch haben sie eine Allgemeingültigkeit.
Hast du denn schon mal Erfahrungen mit Alltagsrassismus gemacht oder wurdest mit Vorurteilen konfrontiert?
Eine Gegenfrage, Yasemin: irgendjemand nicht?! (lacht) Man kann unendlich viele Geschichten erzählen. Ein Beispiel wäre da die Diskussion nach deiner Herkunft. Wirst du gefragt, reicht die Antwort „aus Nordrheinwestfalen“ nicht aus. Dafür ist dein Name oder dein Aussehen nicht „deutsch“ genug. Natürlich wollen die Menschen nichts schlechtes. Sie sind einfach nur interessiert. Aber ich will nicht meine Ahnen in meiner Gegenwart haben. Ich will verdammt nochmal meine Geschichte hier schreiben. Ich glaube, es ist so belastend, weil es nicht unbedingt Länder sind, die als „cool“ gelten. Aus Frankreich oder den USA zu kommen ist „cool“. Aber dass deine Eltern nach Deutschland gekommen sind, um aus der Armut zu fliehen und um Geld zu verdienen – das ist nicht so „cool“.
Was möchtest du deinen Hörern vermitteln?
Ich möchte vermitteln, dass sie mit den Dingen, die sie erlebt, gehört oder gesehen haben, nicht alleine sind. Dass jeder andere ähnliche Erfahrungen macht. Eigentlich waren meine Songs für Menschen mit Migrationshintergrund gedacht, aber das Publikum hat sich erweitert. Für meine deutschen Hörer scheint es interessant zu sein, welche Erfahrungen wir Menschen mit Migrationshintergrund gemacht haben oder immer noch machen. Von daher ist es schon eine Art integrative Arbeit geworden.
Wenn man dich nach deiner Identität fragen würde, was würdest du darauf antworten?
Darüber habe ich auch einen Song geschrieben (singt): „einmal normal sein, einmal banal sein, einmal unendlich klein sein. Warum nur weißt du nicht die Identität…“ – das ist der Stand der Dinge. Mit anderen Worten, ich würde einfach gerne mein Leben leben, ohne ständig daran erinnert zu werden, warum meine Eltern nach Deutschland kamen oder warum ich zufällig hier auf die Welt kam. Gleichzeitig kann ich nicht leugnen, dass mich auch die Suche nach den Wurzeln reizt, wo immer sie auch sein sollen. Die Sprache, die man in der Kindheit gesprochen hat, die Sommerurlaube, bei der Familie in der Türkei, haben natürlich auch einen bestimmten Eindruck hinterlassen, dem man sich im Erwachsenenalter nicht entziehen kann. Das, was man in der Kindheit erlebt hat, prägt natürlich. Ich weiß es nicht – manchmal würde ich gerne sagen Kosmopolit.
Welche Meinung hast du zur politischen Situation in der Türkei?
Das ist ein schwieriges Thema. Schwierig, weil ich niemanden vor den Kopf stoßen möchte. Ich kenne Menschen, die eine Partei wählen, bei der ich mir die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde. Und dann gibt es Menschen, die mit mir einer Meinung sind. Beide Gruppen habe ich aber lieb, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. Das allerschlimmste ist ja, dass sich die Menschen nicht mehr lieb haben. Es gibt sogar Familienangehörige, die aufgrund einer Parteibegeisterung mit den anderen im Clintch liegen. Das ist doch pervers! Für mich persönlich ist es viel interessanter, die Gründe für das Verhalten oder die Denke von Menschen zu analysieren und zu verstehen. Es gibt meiner Meinung nach immer einen Grund, warum ich was tue.
Text: Yasemin Kotra
Fotos: Max Ebert