adressarrow-left Kopiearrow-leftarrow-rightcrossdatedown-arrow-bigfacebook_daumenfacebookgallery-arrow-bigheader-logo-whitehome-buttoninfoinstagramlinkedinlocationlupemailmenuoverviewpfeilpinnwand-buttonpricesine-wavetimetwitterurluser-darwinyoutube
Bühne & Schauspiel

„Jeder Mensch ist eine Geschichte“

Im Gespräch mit dem Schauspieler Rezan Aksoy

Geflüchtet nach Berlin

„Jeder Mensch ist eine Geschichte, die auf ihren Erzähler wartet.“ Und für viele besteht der schönste Teil von Berlin aus seinen Menschen. Eine dieser Berliner Geschichten gehört zu Rezan Aksoy, ein Schauspieler aus der Türkei, der 2016 nach Berlin gekommen ist. Trotz vieler schlechter Erlebnisse hat er sich seine Liebenswürdigkeit und Gelassenheit bewahrt. Auch er selbst portraitiert junge Türk*innen, die in den letzten Jahren aus der Türkei nach Berlin gezogen sind.

Klassische türkische Frage zuerst: Wo bist du geboren?

Im Jahre 1985 in Mardin, in dem Dorf Üçağıl, dessen eigentlicher Name Kozan ist. Bis unser Dorf 1993 evakuiert wurde, habe ich dort gelebt. Dann sind wir von dort nach Izmir umgezogen. Von 1993 bis Dezember 2016 habe ich auch in Izmir gelebt.

Was hat dich in Izmir umgetrieben, bevor du hierher gekommen bist?

Ich war professionell am Theater tätig. Das ist mein eigentlicher Beruf. Bevor ich hierher gekommen bin, war ich Regisseur am Karşı Sanat Theater. Und nebenbei habe ich den Master in den Bühnenkünsten an der Kunstfakultät in Izmir gemacht. Da ich während meiner Masterarbeit hierher kam, ist sie nur halb fertig. Das waren meine letzten Beschäftigungen: eine halb fertige Masterarbeit und ein kleines Regie-Abenteuer.

Ich wurde politisch zensiert, würde ich sagen. Das ist etwas, das ich nicht akzeptieren kann. Deswegen habe ich gekündigt.

Während der Schulzeit habt ihr sicher einige Stücke aufgeführt.

Nachdem ich die Schule absolviert hatte, gründete ich das Theater in der Gemeinde Kuşadası. Dort war ich auch Regisseur und Art Director. Aber nach eineinhalb Jahren habe ich gekündigt.

Warum das?

Es war das Theater einer CHP (gemeint ist die türkische Cumhuriyet Halk Partisi oder auch „Republikanische Volkspartei“ – Anm. d. Red.) Gemeinde. Ich hielt immer Abstand von Parteien der politischen Mitte. Der Bürgermeister aber war ein Linker und sagte, dass wir sehr tolle Dinge vollbringen könnten und dass unter seiner Kontrolle keine Rede von Interventionen sein werde. Ich nahm also das Jobangebot an. Später wurden meine Freunde, die mich dorthin empfohlen hatten, entlassen. Ich fand, es wäre nicht richtig weiterzumachen. Der politische Abstand, den ich hielt, wurde auch für die Gegenseite zu einem Problem. Ich wurde politisch zensiert, würde ich sagen. Und das ist etwas, das ich überhaupt nicht akzeptieren kann. Deswegen habe ich gekündigt.

Hat es bei deiner Arbeit je eine Zensur gegeben?

Eine direkte Zensur hätte ich nicht akzeptiert, aber unterschwellige Probleme in Form von Mobbing hat es schon gegeben. Zum Beispiel wurde ein Sportlehrer als Kulturberater berufen. Das einzige, was er in seinem Leben für die Kultur gemacht hatte, war Folklore tanzen. Mir wurde gesagt, ich solle mich ihm unterordnen. Also sagte ich, dass das nicht möglich sein wird.

Nachdem es bei mir zuhause eine Razzia gab, rieten mir Freunde, dass eine Rückkehr in die Türkei keine gute Entscheidung wäre. Dass ich verhaftet werden könnte. Also musste ich Asyl beantragen.

Wie und wann bist du nach Berlin gekommen?

Ich war dabei, freiwillig beim Verein Halkların Köprüsü (dt.: Brücke der Völker) eine Studie über Flüchtlinge durchzuführen. Man kontaktierte mich von der Alice Salomon Hochschule Berlin, und dann wurde ich in Izmir besucht. Ich zeigte ihnen, wo die Flüchtlinge lebten und erzählte von den Problemen, denen sie begegneten. Später wandelten sie die Eindrücke, die sie dort gewonnen hatten, in ein Theaterstück. Sie fragten mich, ob ich darüber einen Vortrag halten würde. Auf diese Einladung hin bin ich 2016 am 27. Dezember nach Berlin gekommen. Ich kann mir Daten nicht so leicht merken, aber dieses Datum habe ich, warum auch immer, im Kopf.

Als ich hierher kam, hielt ich nicht nur in der Alice Salomon Hochschule Berlin sondern auch in der Rosa-Luxemburg-Stiftung einen Vortrag. Während ich für diese Veranstaltungen in Berlin war, kam es in der Türkei nacheinander zu schlimmen Vorfällen. Es gab eine Razzia bei mir zu Hause. Ich hatte die Petition „Schauspieler für den Frieden – Unterstützung für Akademiker des Friedens“ unterschrieben, deswegen wurde eine Ermittlung eingeleitet. Es wurde wegen einer Aktion, an der wir gemeinschaftlich teilgenommen hatten, ein Verfahren eingeleitet. Daraufhin sprach ich mit meinen Freunden, die Anwälte sind, und diese sagten, dass eine Rückkehr in die Türkei keine gute Entscheidung wäre und dass ich verhaftet werden könnte. Also musste ich Asyl beantragen. Anfang April 2016 wurde über meinen Antrag positiv entschieden.

Bist du seitdem nicht mehr in die Türkei zurückgekehrt?

Nein, bin ich nicht.

Vermisst du Izmir?

Heute zum Beispiel ist das Wetter schön, und ich fühle mich zwischendurch fast so, als wäre ich in Izmir. Besonders hier in Kreuzberg. Es gibt manchmal natürlich Dinge, die ich vermisse, aber ich möchte nicht niedergeschlagen sein. Ich kann mein Leben nicht fortführen und dabei immerzu an jenen Ort denken. Ich stelle mir vor, ich wäre hier in Berlin im Urlaub und bleibe einfach noch etwas länger.

Zwischen mir und dem Staat in der Türkei war es nie gut. Ich bin seit meiner Kindheit eines der Opfer des Staates. Das macht dich erfahren. Auch für diesen Zustand habe ich mich freiwillig entschieden. Ich hätte auf irgendeine Weise mit einer regierungsparteiischen Haltung an sehr gute Positionen kommen können, es wäre immer alles in Ordnung, aber dafür habe ich mich nicht entschieden. Auch die Verantwortung dafür habe ich übernommen. Und offen gesagt wusste ich, dass in Folge dieser Entscheidung nicht das Paradies auf Erden auf mich wartet.

Ich vermisse Izmir, aber ich möchte nicht niedergeschlagen sein. Ich stelle mir vor, ich wäre in Berlin im Urlaub und bleibe einfach noch etwas länger.

 

Berlin ist für viele die Stadt der Toleranz. Die Stadt wird sogar so lanciert. Wie findest du das?

Für unterschiedliche Kulturen und Identitäten ist es nicht leicht, einen Weg zu finden, in Gemeinschaft zu leben. Da wir Migranten als die, die später dazu gekommen sind, diesem Problem völlig ausgesetzt sind, haben wir damit größere Schwierigkeiten.

Ich finde, Menschen, die der westlichen Kultur entstammen, haben häufig eine orientalistische Sichtweise. Zum Beispiel im Umgang mit Flüchtlingen. Zwar nicht mit böser Absicht, aber sie sehen sie anders. Zwischen Helfern und Geholfenen entstehen Hierarchien. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Helfen und dem Zeigen von Solidarität. Solidarität schafft eher gleichgestellte Beziehungen. Natürlich ist das Helfen eine Methode, die sich besser verkaufen lässt. Weil es ein reines Gewissen macht. Als ich in Izmir war, lebte ich meine Beziehung mit den Flüchtlingen als eine Kameradschaft. Auch wenn das nicht immer für alle leicht ist.

Fühlst du dich mittlerweile als ein Teil der deutschen Gesellschaft?

Da ich kein Deutsch kann, tue ich mir schwer, denn ich bin jemand, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Aber ich fühle mich auch nicht unbeteiligt. Ich denke, dass ich die deutsche Geschichte und Politik kenne. Auch die Bürokratie kenne ich gut. Ich kenne auch meine juristischen Rechte. Ich bin zum Beispiel Mitglied bei DIE LINKE. Ich beteilige mich freiwillig bei den Wahlkampagnen. Ich denke auch, dass ich, solange ich hier bin, etwas für die Politik hier machen muss. Ich denke, das Gegenteil wäre nicht richtig.

Gibt es Seiten an Berlin, die du nicht magst?

Als gebürtiger Türke aus dem sonnigen Izmir mag ich das Wetter hier nicht. Außerdem ist mir Deutschland oft zu bürokratisch. Es gibt für vieles zu viel Papierarbeit, meine ich. Hier in Deutschland kommunizieren die Menschen fast ausschließlich über den Schriftweg, das kommt mir sehr künstlich vor. Das ist meiner Meinung nach eine kalte Art der Beziehung. Man lebt immer mit einer Art „Ein Brief ist angekommen“-Angst.

Berlin wird von manchen als Übergangsstadt angesehen. Ein Teil von denen, die hierher kommen, möchte nach fünf bis zehn Jahren woanders leben. Wie empfindest du das?

Ich habe Berlin sehr lieb gewonnen. Mir kommt es nicht wie eine Übergangsstadt vor. Es ist ein bisschen wie die Welt an einem Ort. Es gibt Menschen aller Art und so fühle ich mich wohl. Auch wenn es hier natürlich auch Probleme gibt, haben es die Menschen doch meist sehr gut.

Credits

Text: Asena Bulduk

Übersetzung aus dem Türkischen: Bilge Meriç Dükkancı

Nächster Artikel

Gesellschaft & Geschichten

Gated Istanbul

Eine Fotostrecke von Ekkehart Keintzel

    Lust auf Lecker Newsletter?