Weltweit gibt es die verschiedensten Varianten an Feuerfesten. In Schottland wird beim Up Helly Aa eine Wikinger Galeere verbrannt. In Südkorea werden beim Jeju Jeongwol Daeboreum die Felder und Gräser auf den Bergen verbrannt. Beim Agni Keli in Indien gibt es einen Feuerkampf zu Ehren der Kriegsgöttin Durga. Jedes dieser Feste hat seine eigene, besondere Bedeutung.
Das Hidirellez-Fest
Jedes Jahr am 5. oder 6. Mai springen die Menschen in der Türkei beim Hıdırellez-Fest über ein Feuer aus Autoreifen. Monate und Tage zuvor sammeln Kinder und Jugendliche alte Autoreifen am Straßenrand, um sie beim Fest anzünden zu können. Nicht immer verbrannte man Autoreifen. In der Großelterngeneration wurde Holz verbrannt, da Autoreifen nicht zur Verfügung standen. Erst später begann man alte, unbrauchbare Reifen auf diese Weise zu verwerten. In jeder Nachbarschaft trifft man dadurch auf ein Feuer. Man wünscht sich etwas, fasst all seinen Mut zusammen und springt über die sich wild züngelnden Flammen. Im Anschluss wird bis tief in die Nacht zu Gitarrenklängen gesungen und getanzt. Es ist ein Zusammenkommen und ein sich Freimachen von alltäglichem Stress. Manche Jugendliche schreiben mit dem Öl ihre Namen auf den Boden und zünden auch diese an. Wer im Anschluss noch Energie hat, bleibt noch da und es gibt bis in die Morgenstunden sohbet, laklak bzw. muhabbet. Alle drei Begriffe beschreiben das warme Gefühl, im Beisammensein der Herzensmenschen zu quatschen und zu plaudern. Für die Polizei ist in dieser Nacht die Zusammenarbeit mit Krankenwagen und Feuerwehr bedeutsam. Nicht selten kommen Unfälle zu Stande, bei denen etwa zwei Personen gleichzeitig springen und gegeneinanderstoßen, sodass sie ins Zentrum der Flammen stürzen. Daher wird darauf geachtet, alte Kleidung zu tragen, die verbrennen darf. In dieser Nacht verbrennen sich viele Menschen ihre Haare und Augenbrauen. Gegenseitig spornen sich Jugendliche an, über das Feuer zu springen. Vorsichtige Menschen springen daher am Rande der Flammen oder wenn die Flammen bereits abgeflacht sind.
Verschiedene Rituale am Hıdırellez-Tag
Die Feuerspiele sind insbesondere an der Westküste der Türkei Tradition. Die Küstenstadt Izmir ist quasi der Hotspot des Hıdırellez-Festes. Sieht man in den frühen Morgenstunden nach Hıdırellez am Istanbuler Strand noch Studentengrüppchen sitzen, so kann man davon ausgehen, dass sie aus Izmir stammen. Istanbul und andere Städte der Türkei feiern Hıdırellez mit anderen Ritualen. Bei diesen kommen Wünsche im besonderen Maße zur Geltung. Wünsche werden als Zeichnungen auf Papier verbildlicht und an einen Rosenstock gehängt oder unter einem Rosenstock vergraben. Von Babyzeichnungen bis hin zu Immobilien ist alles vertreten. Wünscht man sich Liebe, so legt man einen Ring in einen Krug unter den Rosenstock und verdeckt diesen mit einem roten Tuch. Wichtig ist, diese Wünsche am nächsten Morgen bevor die Sonne aufgeht wieder auszugraben und im Meer, in einem Fluss oder einem See zu ertrinken. Gibt es keine Gewässer in der Nähe, so verbrennt man sie. Die Großelterngeneration zeichnete ihre Wünsche nicht auf Papier sondern direkt auf den Boden und verwischte diese am Morgen. Manche Menschen lassen über Nacht frische Rosenblätter in einer Schale Wasser stehen und waschen ihr Gesicht am Morgen hiermit. Andere machen Tee aus Wildblumen wie der Kamille oder getrockneten Granatapfelblüten. Man glaubt an ihre heilende Wirkung. Wieder andere Menschen, die sich wünschen zu verreisen, stellen ihre Reisetasche über Nacht geöffnet auf den Balkon oder in den Garten. Die Möglichkeiten scheinen grenzenlos in dieser Nacht.
Womit hängen die Rituale zusammen?
Die Rituale hängen zusammen mit Feuer, Wasser und Pflanzen, v.a. Rosen. Das Feuer spiegelt sich in den Feuer-Spielen der Westküste wider. In vergangenen Jahrzehnten glaubte man daran, dass das Feuer die Sonne auf der Erde widerspiegelt. So besaß jeder Haushalt einen schützenden Feuergeist in seinem Heizofen, der das Haus bewache und Gäste ankündige. Dieser Geist wurde mit Rakı, Ayran oder Fleisch gefüttert. Je besser der Geist gefüttert wurde, umso dicker würde er oder eher sie, denn er sei eine Frau. Sie trug verschiedene Namen. Man nannte sie je nach Community Od Ana, Ot Ene, Ot Ezy, Uot Ichite uvm. Das Wasser wird durch Reinigungsrituale widergespiegelt. In der Türkei duscht und wäscht man sich zu jedem Bayram-Fest, eben auch zu Hıdırellez. Ein Großputz der Wohnung ist ebenso mitinbegriffen, denn die Schutzheiligen Hızır und Elija, zu Ehren dessen das Fest stattfindet, kommen zu Besuch. Neben dem Feuergeist gibt es die mythologische Figur Çay Ninesi (dt. Tee-Oma), die v.a. in der Türkei und in Azerbaijan verbreitet war. Sie hauste im Tee und anderen Gewässern und wurde als böser Geist gefürchtet. So ist es verboten, Müll und Dreck ins Wasser zu werfen, denn sonst ziehe die Tee-Oma die schuldige Person ins Wasser und ertränke sie.
Frühlingsfest oder Sommerfest?
Hıdırellez wird gerne mit Frühlingsfesten wie Newroz aus den kurdischen Communities, dem St. George’s Day in England oder dem St. Patrick‘s Day in Irland verglichen. Doch anders als diese Frühlingsfeste begrüßt Hıdırellez den Sommer. Bei der UNESCO wurde Hıdırellez als Frühlingsfest in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Das liegt daran, dass das Fest nach dem julianischen Kalender auf den 23. April, also dem St. George’s Day fallen würde, einem Frühlingsfest. Hıdırellez wird allerdings nach dem gregorianischen Kalender gezählt und fällt somit auf den 5./6. Mai. In der Antike wurde das Jahr lediglich in Sommer und Winter unterteilt. Die Übereinstimmung der beiden Tage wurde von dem byzantinischen Kaiser Johannes VI. Kantakuzenos unterstützt. Bei Hıdırellez handelt es sich weder um einen islamischen noch um einen christlichen Feiertag. Der Tag lehnt an die Sommerfeste im vor-islamischen Zentralasien, Mittleren Osten sowie Anatolien an. Zu dieser Zeit war der Tengrismus weit verbreitet. Hıdırellez wird in verschiedenen Ländern gefeiert, bspw. auch in Nord-Mazedonien, Kosovo oder auch bei den Krimtataren in der Ukraine.
Wem ist das Hıdırellez-Fest gewidmet?
Neben dem Beginn des Sommers feiert dieser Tag das Treffen von Elija, dem Schutzheiligen des Meeres und Hızır (dt. Chidr), dem Schutzheiligen des Festlandes. Die beiden sollen ursprünglich zu unterschiedlichen Zeiten gelebt haben. In Nord-Mazedonien handelt es sich bei Hızır um Alexander den Großen. Um die beiden Schutzheiligen ranken sich zahlreiche Legenden. Eine von ihnen handelt von einem jährlichen Treffen der beiden am Hıdırellez-Tag vor einem Rosenstock. Wo die beiden sich aufhielten, dort erblühe auch unfruchtbares Land. Im Vergleich zu den bereits erwähnten modernen Versionen der Rituale wurden früher Hülsenfrüchte und Samen in geöffnete Krüge unter einen Rosenstock gestellt, um auf Fruchtbarkeit im kommenden Jahr zu hoffen. Unter den Yörücken wurde in der Großelterngeneration ein Vorteig zubereitet, aus dem das ganze Jahr über bis zum nächsten Hıdırellez-Fest täglich ein neuer Teig angesetzt und dadurch fortlaufend geführt werden konnte. Dadurch konnte täglich frisches Brot gebacken werden. Man glaubt an diesem Tag daran, dass Hızır die ganze Nacht über auf der Erde stolziere. Alles was er berühre werde gesegnet und bringe Glück. Daher wurde der Vorteig speziell in dieser Nacht gehen gelassen. Hızır erhöre die Wünsche der Menschen und leite sie weiter an Gott.
In manchen Communities gibt es eine vorbereitende Fastenzeit, die sich Hızır Oruç nennt. In Azerbaijan sowie auch innerhalb der alevitischen Community ist diese sehr präsent, findet allerdings Anfang Februar statt. Dabei wird über einige Tage hinweg gefastet. Ähnlich wie beim Ramadan wird auf Wasser und Speisen verzichtet. Hıdırellez ist ein Fest, bei dem Aberglaube die verschiedenen Rituale prägt. Die Rituale aus vergangenen Zeiten haben eine modernere Form angenommen. Ein großer Teil der Gesellschaft glaubt nicht mehr an diesen Aberglauben, aber sieht den Tag als eine Tradition, die Menschen zusammenbringt und Erinnerungen schafft, auf die später gemeinsam nostalgisch zurückgeblickt werden kann.
Autorin: Duygu Özturan
Lektorat: Reyhan Söğüt
Illustrationen: Yasmin Anılgan