Heldinnen

Frauen aus der türkischen Geschichte, die man kennen muss

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Es gibt in den Geschichtsbüchern kaum großartige Frauen, weil sie niemals existiert hätten? Kein Wunder, wenn Menschen an diesem Klischee festhalten. Bis heute verhindern patriarchalische Strukturen, dass Erfolge von Frauen bekannt oder gar gefeiert werden. Die Zirkulation positiver Vorbilder und das Erzählen ihrer Stories sind wichtige Maßnahmen, um sie aus der Vergessenheit zurückzuholen und zu zeigen, dass sie schon immer wichtige Akteure der Geschichte gewesen sind. Hier sind drei türkische Heldinnen, die jeder kennen sollte.

Nuriye Ulviye Mevlan Civelek (1893 bis 1964) – Pionierin des Feminismus im Osmanischen Reich

Für Frauenrechte setzte sich Nuriye Ulviye Civelek schon im jungen Alter ein. 1913 gründete sie im Alter von 20 Jahren zusammen mit befreundeten Aktivist*innen das Osmanlı Müdafaa-i Hukuk-i Nisvan Cemiyeti (Osmanischer Verein für die Verteidigung von Frauenrechten). Unter dem Dach dieser Organisation gab sie anschließend das feministische Journal Kadınlar Dünyası (Welt der Frauen) heraus.

„Feminismus will nicht nur das Leben der Frau, sondern auch des Mannes verbessern. Er will dafür sorgen, dass beide Geschlechter noch besser und noch glücklicher menschenwürdig miteinander leben können.“
Nuriye Ulviye Mevlan Civelek

Mit der Zeitschrift verfolgten die Herausgeberinnen das Ziel, politische Forderungen zu stellen, den Feminismus zu verbreiten sowie Solidarisierung von Frauen über soziale, kulturelle und ethnische Grenzen innerhalb des Osmanischen Reiches hinweg zu ermöglichen. Acht Jahre lang (1913-21) wurden über 200 Ausgaben mit einer Auflage von über 3000 Exemplaren veröffentlicht. Civeleks Magazin war in der osmanischen Presselandschaft das einzige mit einer explizit feministischen Agenda, um die Aufklärung und Mobilisierung osmanischer Frauen voranzubringen. Hier wurde auch das erste Foto einer muslimischen Frau veröffentlicht.
Hinsichtlich Frauenbildung und -beschäftigung feierte die Journalistin mit dem Magazin große Erfolge. Durch ihre Lobbyarbeit wurden mehr Frauenschulen und 1914 schließlich die erste Frauenuniversität (Inâs Darülfünunu) eröffnet, die Frauen ab 1917 auch ein Medizinstudium sowie Unterricht ohne Schleier erlaubte. Mit Kampagnen erreichte Kadınlar Dünyası auch, dass 1913 zum ersten Mal sieben muslimische Frauen beim Istanbuler Telefonamt eingestellt wurden. Somit wurde das Recht auf Beschäftigung von Frauen im öffentlichen Dienst durchgesetzt.

Cahide Sonku (1916 bis 1981) – die Marilyn Monroe der Türkei

In eine Militärfamilie hineingeboren, fing Cahide Sonku mit 16 Jahren an, im Dârülbedâyi, dem osmanischen Konservatiorium (später Theater) in Istanbul zu spielen. Mit ihrem Talent und ihrer Schönheit beeindruckte sie schnell Muhsin Ertuğrul, der als Initiator des türkischen Kinos gilt und auch das Konservatorium mitbegründet hatte. 1933 übernahm sie in seinem Werk Söz bir Allah bir (Das Wort ist eines, Allah ist ein anderes) ihre erste Filmrolle. In dem Film kämpft sie als ungewollt Schwangere vor Gericht um Unterhaltszahlungen.
Ihren Durchbruch erlangte sie mit ihrer Hauptrolle in Aysel Bataklı Damın Kızı (Aysel, das Mädchen aus dem Sumpfhaus), der als erster Spielfilm über das Dorfleben der Türkei angesehen wird. Sonku gewann 1948 beim ersten türkischen Filmfestival den Preis für die beste Charakterschauspielerin.

„Ich möchte, dass mir auch nach meinem Tode applaudiert wird!“ Cahide Sonku

Als der Regisseur ihres Filmes Fedakar Ana (Hingebungsvolle Mutter) 1949 während der Dreharbeiten erkrankte, war es Cahide Sonku, die kurzerhand die Regiearbeit übernahm. Von da an war sie als eine der ersten weiblichen Filmregisseurinnen tätig. Auch eigene Produktionen ließen nicht lange auf sich warten. 1950 gründete sie mit Sonku Film ihre eigene Produktionsfirma, die unter anderem 1953 den Film Beklenen Şarkı (Das erwartete Lied) herausbrachte, der alle Einnahmerekorde des türkischen Kinos brach. Trotz finanzieller Schwierigkeiten aufgrund des Niederbrands ihrer Produktionsfirma und Alkoholproblemen wirkte Cahide Sonku bis 1977 in über 35 Filmen mit und gilt heute eine Ikone des frühen türkischen Kinos.

Sevgi Soysal (1936 bis 1976) – wichtige Zeitzeugin politischer und gesellschaftlicher Umbrüche

Die Tochter eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter studierte an den Universitäten Ankara und Göttingen Archäologie und Theater. Neben ihrer Arbeit im Ankara-Radio und dem Deutschen Kulturzentrum Ankara veröffentlichte sie in den frühen 60ern in einer Reihe von Magazinen Texte des Neuen Realismus, in denen sie ihre Beobachtungen und Sorgen im Hinblick auf die Gesellschaft zur Sprache brachte. Später arbeitete sie im türkischen Staatsradio und -fernsehen (TRT) als Programmspezialistin.
In den 1960ern und -70ern veröffentlichte Soysal eine Reihe von Romanen, in denen sie zum einen die sozialen Veränderungen festhielt und zum anderen geschlechtliche Normen und Tabus auseinandernahm – auf eine sanfte, doch nüchterne Weise. Ihr erster Roman Tutkulu Perçem (Leidenschaftliche Locke) wurde 1963 herausgegeben. Es folgten 1968 Tante Rosa, das 1982 auch ins Deutsche übersetzt wurde und von einer bayerischen Katholikin auf der Suche nach Emanzipation handelt, und 1970 der Beziehungsroman Yürümek (Zu gehen).

„Keiner von uns ist besser als der andere. Auf dem gleichen Weg, nur ein Schritt vor den anderen, auf dem gleichen Weg, mit den gleichen Gewohnheiten, nur ein Schritt vor den anderen. Ein wenig vermessener, ein wenig zielloser zu sein, das war’s.“
Sevgi Soysal in Yürümek

Der Militärputsch von 1971 hinterließ jedoch tiefe Spuren im persönlichen wie auch beruflichen Leben der Autorin. Nach einem kurzen Haftaufenthalt wurde Soysal vom TRT entlassen, ihr Roman Yürümek (Zu gehen) wurde unter dem Vorwurf von Obszönität eingezogen und sie selbst schließlich wegen kommunistischer Propaganda nochmals inhaftiert. Im Gefängnis verfasste sie den Roman Yenişehir’de Bir Öğle Vakti (Eines Mittags in Yenişehir), mit dem sie 1974 den Orhan Kemal-Romanpreis gewann.
Kurz darauf erhielt sie eine Krebsdiagnose und auch von diesem Rückschlag ließ sie sich zum Schreiben inspirieren: 1976 erschien Barış Adlı Çocuk (Ein Kind namens Frieden). Bevor sie jedoch ihren Roman Hoşgeldin Ölüm (Willkommen Tod) fertigstellen konnte, verstarb sie 1976 im Alter von 40 Jahren.
Soysals Schriften vermitteln mit einer sanften Sachlichkeit die Poesie des Alltags. Sie dokumentieren gesellschaftliche Umbrüche in der Türkei der 1960er und -70er und zeichnen Menschenbilder, die man wiedererkennt. Auch heute ist ihre Arbeit noch relevant, zeigt sie doch, wie die Leben verschiedener Menschen miteinander verwoben sind.

„Es gilt, neue Türen zu öffnen; falsche Türen, richtige Türen. Zu öffnen, hauptsache öffnen.“
Sevgi Soysal in Yürümek

Ohne Zweifel sind Civelek, Sonku und Soysal Heldinnen der türkischen Geschichte. Nicht nur im Kampf für die Anerkennung von Frauen in der Gesellschaft, auch in der Entwicklung von Kunst und Literatur leisteten sie bedeutende Schritte. Doch sie sind nicht die einzigen. In der nächsten Edition folgen drei weitere Heldinnen.

 

Text und Illustration: Binnur Cavuslu

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