Rana Tokmak: Ich bin gerne Vorbild für junge Türkinnen

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Die 18-jährige Rana Tokmak ist Kapitänin der deutschen Nationalmannschaft-Gruppe in der Rhythmischen Sportgymnastik, die nächstes Jahr bei den Olympischen Spielen in Rio antreten möchte. Wie viel Fleiß und Arbeit dahinter stecken und warum ihre türkische Seite ihr dabei hilft, lest ihr hier.

Fünf junge Frauen zwischen 16 und 19 Jahren schweben leichtfüßig zu Beethovens 9. Symphonie über den Boden der Max-Schmeling-Halle in Berlin. 13 mal 13 Meter groß ist die helle Teppichfläche, auf der die graziösen Bewegungsabläufe bis ins letzte Detail gut zu erkennen sind. Im Rahmen der Berlin Masters in der Rhythmischen Sportgymnastik führt die Gruppe der deutschen Nationalmannschaft gerade ihre Kür mit dem Handgerät Band vor. Die sechs Meter langen Seidenbänder werden pausenlos in Spiralen, Schlangen und schwungvollen Bögen in Bewegung gehalten. Die Gymnastinnen tragen raffiniert geschnittene, mit Pailletten und Swarowski-Steinen besetzte Anzüge, ihre fünf Bänder sind farblich darauf abgestimmt. Scheinbar mühelos ziehen sie bei den Spagat Sprüngen ihre langen Beine in die Überdehnung und legen ihre Köpfe tief in die Rückbeuge. Jetzt hat eine der Gymnastinnen drei Bänder gleichzeitig abgeworfen. Mehrere Meter hoch gleiten die Bänder gemeinsam über die Fläche. Wie von Geisterhand teilen sie sich anschließend im Flug und werden von drei Gymnastinnen am anderen Ende des Teppichs einzeln wieder aufgefangen. Zwei von ihnen legen der dritten kunstvoll zwei Bänder um den Körper, woraus diese sich elegant und ohne Verstrickungen wieder befreit. Es ist eine Kombination aus absoluter Körperbeherrschung, biegsamen Gelenken sowie tänzerischen und gymnastischen Elementen, die die olympische Disziplin Rhythmische Sportgymnastik (kurz RSG) in sich vereint. Hinter dieser fast schwerelos wirkenden Anmut und Eleganz steckt jahrelanges Training.

Zu Gast bei Rana Tokmak - renk. Magazin
Rana Tokmak in der Kür mit dem Handgerät Band.

„In die Rhythmische Sportgymnastik habe ich
mich sofort verliebt“

Eine der Gymnastinnen ist die 18-jährige Rana Tokmak, die vergangenen März zur Kapitänin der Nationalmannschaft-Gruppe ernannt wurde. 1996 als Kind türkischer Eltern in Castrop-Rauxel geboren, kam Rana schon früh über das Kinderballett zur RSG, die sie bis heute nicht loslässt. „Wenn ich meine Übungen turne, ist es immer noch wie am ersten Tag, als ich mich in diese Sportart verliebt habe“, sagt Rana. Die RSG sei alles andere als einfach. Sie vereine Ballett, Tanz und Theater in sich und erfordere ein hohes Maß an Körperbeherrschung, erklärt Rana, „Die Choreographie muss perfekt auf die Musik abgestimmt sein. Es ist eine Kunstform, die wir da zeigen. Was ich aber am meisten daran liebe, sind die Eleganz und Grazie, die von den Bewegungsabläufen ausgehen. Das hat mich von Anfang an fasziniert“.

Seit ihrem siebten Lebensjahr ist Rana aktive Gymnastin, sie wurde neun Mal deutsche Meisterin bei den Junioren, bis sie vor drei Jahren in die Nationalmannschaft im schwäbischen Bundesstützpunkt der RSG in Fellbach-Schmiden aufgenommen wurde. Seitdem lebt sie im Sportinternat und trainiert täglich mehrere Stunden, in Wettkampfphasen bis zu drei Trainingseinheiten am Tag. Ihr großes Ziel ist die Qualifikation bei den Weltmeisterschaften in Stuttgart im September für die Olympischen Spiele nächstes Jahr in Rio de Janeiro. „Davon träumt jeder Sportler und wir als Gruppe haben dieses Ziel fest vor Augen“, erzählt Rana.

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„Die WM in Izmir war etwas ganz Besonderes für mich“

Letztes Jahr wurde die Weltmeisterschaft im Heimatland ihrer Eltern, der Türkei, ausgetragen. „Die WM in Izmir war etwas ganz Besonderes für mich“, sagt Rana, die bisher sehr ruhig und besonnen von ihrem Leben als Leistungssportlerin berichtet. Jetzt fangen ihre großen braunen Augen an zu strahlen. „Ich war sehr stolz auf die Türkei, dass alles so gut organisiert und vorbereitet war für das Turnier“, erzählt sie. „Diese Sportart hat mich schon in viele Länder geführt, aber in keinem ist es so schön wie in der Türkei. Wir sind dort sehr herzlich aufgenommen worden, ich habe meinen Freundinnen aus der Gruppe ein paar Wörter Türkisch beigebracht und abends haben wir gemeinsam Çay getrunken“, schwärmt Rana von dem internationalen Turnier in Izmir, bei dem die deutsche Gruppe im Finale den 7. Platz belegte. „Diese türkische Seite von mir, die emotional und leidenschaftlich ist, kommt mir in der RSG sehr zu Gute“, erzählt Rana. „Wenn ich ein bestimmtes Lied höre, kann ich die Musik fühlen, und das hilft mir dabei, die  Emotionen nach außen zu tragen“.

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Neben der technisch sauberen Ausführung der Übungen wird vom Kampfgericht auch der Ausdruck bewertet, mit der eine Übung vorgetragen wurde. Die internationalen Reglements in der RSG sind in den letzten fünfzehn Jahren immer weiter verschärft worden und die Ansprüche an die Gymnastinnen und die gezeigten Chorographien sind heute so hoch wie nie zuvor. Um überhaupt eine Chance auf eine hohe Wertung zu haben, sind die zweieinhalbminütigen Übungen gefüllt mit anspruchsvollen Elementen, die gleichzeitig auch ein höheres Fehlerrisiko mit sich bringen. Doch Fehler darf sich keine Gymnastin erlauben, wenn sie ganz oben mitspielen will. Das Kampfgericht sieht alles, jede noch so kleine Unsicherheit oder Unsauberkeit in der Ausführung wird mit Punktabzug bestraft. Am Ende entscheiden nur wenige Hundertstel Punkte hinter dem Komma über den Sieg. Wer sich, so wie Rana, dennoch bewusst für diesen Leistungssport entschieden hat, der muss ihn wirklich lieben.

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„In unserem Sport spielt die Nationalität keine Rolle“

Heute hat sich die deutsche Nationalmannschaft Gruppe im Finale der Berlin Masters in der Max-Schmeling-Halle den dritten Platz erkämpft. Rana sitzt mit geradem Rücken und langem Hals, die dunklen Haare streng zu einem Knoten gebunden. Ich spüre ihre Energie: Rana ist Gymnastin mit Leib und Seele. Ob ihre türkische Identität in ihrem Sport eine Rolle spielt? „Wir sind alle Sportlerinnen, da zählt nur die Leistung, nicht die Nationalität. Unsere Gruppe ist bunt gemischt, uns alle verbindet die Leidenschaft für diese außergewöhnliche Sportart“, erzählt sie. Die deutsch-türkische Community ist dennoch stolz auf die erfolgreiche Sportlerin. 2011 wurde sie zum 50-jährigen Jubiläum des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens gebeten, in der Dortmunder Westfalenhalle eine Kür zu zeigen. Rana wählte das türkisch-armenische Volkslied „sarı gelin“ (deutsch: die blonde Braut) und kreierte gemeinsam mit ihrer Balletttrainerin eine anmutige und emotionale Choreographie, mit der sie das Publikum verzauberte. „Solche Momente genieße ich ganz besonders, weil der Tanz meine zweite Leidenschaft ist, die ich in solchen Darbietungen neben der RSG ausleben kann“, erzählt Rana.

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„Ich bin gerne Vorbild für junge Türkinnen“

Ihre Binationalität nutzt sie auch für soziale Projekte wie z.B. das „spin – sportinterkuturell“, das sich dafür einsetzt, Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund für den Sport zu gewinnen und somit deren gesellschaftliche Integration zu fördern. Rana las eines Tages darüber in der türkischen Tageszeitung Hürriyet und nahm spontan Kontakt zu der Organisation auf. Seitdem ist sie Botschafterin des Projekts und motiviert Mädchen und Frauen dazu, ihre Lieblingssportart zu finden und langfristig in ihren Alltag einzubauen: „Ich finde es wunderschön, jungen Mädchen und Frauen meine Erfahrungen mitzugeben und ihnen dabei behilflich zu sein, die richtige Sportart für sich zu entdecken“, sagt Rana, und wieder strahlen ihre großen dunklen Augen. Ob es sie manchmal auch nervt, ein Vorbild für junge Türkinnen zu sein? „Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil!“, lacht sie. „Wenn türkische Mütter zu mir kommen und mir erzählen, dass ich ihre Töchter dazu inspiriert hätte, auch mit der RSG anzufangen, dann erfüllt mich das mit großem Stolz und motiviert mich, weiterzumachen“, erzählt die 18-jährige begeistert. Ihr Wunsch ist es, sich später für mehr soziale Einrichtungen zu engagieren. Nach dem Abitur im Sommer plant sie ein Praktikum im medizinischen Bereich und möchte – nach Olympia 2016 und dem Ende ihrer sportlichen Karriere – ein Medizinstudium beginnen.

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Dann wird sie vielleicht auch wieder Zeit haben, um in die Türkei zu reisen, was in den letzten Jahren zu kurz gekommen sei. „Ich bin leider viel zu selten in der Türkei, dabei kann ich gar nicht genug von ihr bekommen“, erzählt Rana lächelnd. „Die Wärme der Menschen dort, die kleinen Bakkals, der Simit, der Çay – all das vermisse ich sehr“, sagt Rana zum Schluss und überlegt kurz. „Weißt du, ich kann mir auch hier in Deutschland einen türkischen Tee bestellen, aber er wird nie so gut schmecken wie in der Türkei …“

Credits
Interview/Text: Türkiz Talay
Fotos: Michael Kuchinke-Hofer, Photography

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