Wir haben mit der Filmemacherin Eren Önsöz über ihren aktuellen Dokumentarfilm Haymatloz gesprochen, der gerade in die deutschen Kinos gekommen ist. Sie zeigt damit ein wichtiges Kapitel deutsch-türkischer Geschichte, das bisher in der Öffentlichkeit wenig Beachtung fand, aber es wert ist näher beleuchtet zu werden: das Exil vieler Deutscher aus NS-Deutschland in die Türkei, ihre Geschichten und die Spuren, die sie hinterließen.
Worum geht es in deinem Film Haymatloz, der jetzt gerade in den Kinos angelaufen ist?
Es geht darin um das unbekannte Thema des deutschen Exils in der jungen türkischen Republik. Edzard Reuter, einer meiner Protagonisten, nennt dieses Kapitel „einen Glücksfall der Geschichte“. Das war es tatsächlich, in sehr finsteren Zeiten. Denn direkt mit der Machtergreifung verjagten die Nationalsozialisten ihre besten Gelehrten von den Lehrstühlen. Rund ein Drittel deutscher Universitätsprofessoren wurde entlassen. Ebenso wurden Politiker, Künstler und Journalisten drangsaliert und landeten zu Beginn des NS-Regimes oft als aller erste in den Konzentrationslagern. Viele nahmen sich das Leben.
1933 war aber auch das Jahr, in dem Atatürk, 10 Jahre nachdem er die türkische Republik gegründet hatte, seine große Universitätsreform anging. Er schloss die alte, religiös geprägte Darülfünun (arab. Haus der Wissenschaften) und benötigte neue Lehrer, die seine Vision von freien Wissenschaften in den Hörsaal trugen. Bei der Neueröffnung arbeiteten mehr deutsche als türkische Professoren an der Istanbuler Universität. Im Ausland hieß es in jenen Jahren auf die Frage, wo die beste deutsche Universität stehe: In Istanbul.
Wie bist du auf dieses Thema gestoßen? Hast du eine persönliche Beziehung dazu?
Mein Vater hat mich vor vielen Jahren auf dieses Thema aufmerksam gemacht. Die persönliche Beziehung ist ganz klar der Biografie meiner Eltern geschuldet, die an ihren türkischen Hochschulen deutsche Professoren hatten und mir davon erzählten. Verwunderlich fand ich nur, warum dieses Kapitel deutsch-türkischer Geschichte nicht in meinem Schul-Geschichtsbuch stand! Ich bin bis zu meinem fünften Lebensjahr in der Hauptstadt Ankara aufgewachsen. Die Ästhetik der wunderschönen Bauten und die Bauhaus Architektur hat mich nachhaltig geprägt. Es war so spannend, die Geschichten zu ergründen und all die Hinterlassenschaften der Deutschen mit neuen Augen zu entdecken.
Du hast 2006 eine Dokumentation mit dem Titel Import-Export gemacht, was bedeutet der Titel?
Der Titel ist zunächst eine Anspielung auf die IMPORT-EXPORT Gastarbeiter-Läden der ersten Stunde, die es immer noch in fast jeder Stadt gibt. Ich wollte diesen Begriff wörtlich nehmen, von den Klischees wegführen und habe nach einem echten Austausch zwischen den beiden Kulturen gesucht. Fündig bin ich in ungefähr fünf Jahrhunderten geworden: angefangen von der ersten Wienbelagerung bis hin zur Emigrationswelle deutscher Wissenschaftler im 3. Reich. Egal, ob positiv oder negativ, es hat in der Geschichte beider Völker viele Begegnungen gegeben, die das eindimensionale Gastarbeiterbild ungemein bereichern.
Ist Haymatloz ein „Export-Film“?
Nein, er ist ebenso ein Import-Export-Film: einer, der einen besonders geglückten Austausch zeigt. Beide Seiten haben von der Begegnung profitiert und in schwierigsten Zeiten durch Respekt und Neugierde in der jeweils anderen Kultur wunderbare Dinge erschaffen, die bis heute nicht an Bedeutung eingebüßt haben. Die Synthese zwischen östlichen und westlichen Traditionen im Werk der Architekten und Künstler ist besonders herausragend.
Ist Haymatloz also eine Vertiefung oder eher eine Fortführung deines ersten Dokumentarfilmes?
Beides. Denn das Interesse der Menschen war an diesem Thema immer besonders groß. Sie waren irritiert, wieso man ihnen dieses konstruktive, völkerverbindende Thema vorenthalten hat.
Aber auch in meinen anderen Arbeiten versuche ich immer, Gegenbilder zu gängigen Klischees zu finden. Die ewig gleichen Negativbilder sind im Zusammenleben der Menschen ein Hindernis. Es wäre Aufgabe der Politik und Medien, diese abzubauen, stattdessen werden sie zementiert. Ich merke immer wieder, wie froh und erleichtert Menschen sind, andere Bilder zu sehen.
Die Nachkommen der ausgewanderten Professoren haben alle ihren festen Wohnsitz in Deutschland, sie sind also zurück gekommen und nicht in der Türkei geblieben. Warum ist das so?
Es gab verschiedene Motive, ich habe ja fünf verschiedene Menschen vorgestellt. Die meisten sind nach der Schule zum Studium oder zur Ausbildung nach Deutschland gegangen. Das ist heute nicht anders, wenn junge Leute zum Studium ins Ausland gehen. Wenn man dazu noch die Sprache beherrscht, sich verliebt oder einen guten Job findet, bleibt man schon mal in dem Land „hängen“. Auffallend ist aber, dass sich alle meine Protagonisten einen beruflichen und privaten Bezug zur Türkei bewahrt haben, der auch nach so vielen Jahrzehnten sehr lebendig ist. Das hat mich bei meinen Recherchen und während des Drehs sehr beeindruckt.
Besteht eigentlich die Gefahr, dass man als Dokumentarfilmerin die Protagonisten nur die Dinge sagen lässt, die man selbst denkt?
Wir haben sehr lange gedreht, ich habe viele Interviews geführt; in Deutschland, der Schweiz und in der Türkei. Protagonisten „etwas sagen lassen“ klingt sehr negativ. Sie haben ja nichts abgelesen. Es gibt ja keine objektive Wahrheit, jeder Dokumentarfilmer wählt einen Ausschnitt aus, den er für bedeutend hält. Ich habe versucht anhand von fünf Biografien verschiedene Facetten des Themas zu beleuchten, was aufgrund der komplexen Familiengeschichten ein schwieriges Unterfangen war. Aber mir war die Vielschichtigkeit des Themas wichtig. Dabei habe ich bewusst auf einen Kommentar verzichtet, damit sich der Zuschauer sein eigenes Bild machen kann.
Was denkst du eigentlich darüber, dass nur die Juden, die hochqualifiziert waren und dem Staat genutzt haben, von Atatürk eine Chance bekommen haben, einzuwandern?
Welches andere Land hat in jener Zeit Juden aufgenommen und sie in gesellschaftliche und kulturelle Führungspositionen gehoben? Selbst die klassischen Exilländer haben diese Menschen abgewiesen. Kein geringerer als Albert Einstein hatte der türkischen Regierung einen Bittbrief geschrieben, um Asyl zu erhalten. Es waren auch Juden aus nicht akademischen Kreisen darunter, wie die Familie von Cornelius Bischoff, den ich in IMPORT-EXPORT portraitiert habe. Seine Familie mütterlicherseits war sogar zweimal in die Türkei geflohen: als sephardische Juden wurden sie aus Spanien verjagt und im osmanischen Reich aufgenommen. Mehrere Generationen später lebte die Familie in Deutschland und musste abermals flüchten, wieder in die Türkei.
Mein Film bezieht sich auf das äußerst fruchtbare Exil der deutschen Wissenschaftler in der Türkei. Die Türkei war damals sehr arm, dennoch hatte sie den höchsten Etat für Bildung. Die deutschen Professoren verdienten deutlich mehr als ihre türkischen Kollegen.
Dass Atatürk jüdische Professoren beschäftigte, war Nazideutschland ein Dorn im Auge. Sie wollten die Besetzung der Professoren beeinflussen, aber die Türkei verbat sich jegliche Einmischung.