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Gesellschaft & Geschichten

Der Schal

Eine(r) von vielen – eine Kolumne von Yasmin Polat

Er sitzt auf der Bank. Seine kleinen Barthaare stören sich an ihm. Sie stören sich an allem. Als wären Salz- und Pfefferstreuer zusammengefallen, liegen sie auf seinen Wangen. Sind kurz, dick und leuchten in der Sonne. Er hat diese Falten, die nicht vom Lachen kommen. Diese leicht rote Haut, diese große, krumme Nase und diese rauen Hände mit weißen Stellen an den Knöcheln erzählen davon, wie viel er gearbeitet hat. Wenn er lacht, dann laut. So, als würde Geröll aus ihm fallen. All die kleinen Sorgen in Form von grauen Steinen ausgespuckt. Dann bilden sich Nackenfalten, weil er den Kopf dabei leicht zurückwirft. Und mit der Zeit sind viele kleine Linien zwischen den Nackenfalten entstanden. Die sind wie kleine Verbindungen zu den großen, tiefen Falten. Sie halten ihn zusammen.

Ja, er hatte auf diesem Nacken einiges ausgetragen.

Wie ein Löwe

Auch die Liebe seines Vaters. Wenn er ungezogen war. Wenn er einen Fehler machte. Wenn er zu fröhlich (also laut) gewesen war, traf ihn die Vaterliebe wie ein Schlag in den Nacken. Danach wurde es dort immer heiß – die Hand seines Vaters glühte nach, erinnerte ihn an seine Unwürdigkeit. Und alles wurde schwarz.

Mit glimmendem Nacken verrichtete er dann weiter seine Arbeit. Seine Arbeit als guter Junge, guter Sohn, guter Bruder. Als starker Mann, der alles aushielt. Auch die schmerzhafte Liebe seines Vaters. Sie tat zwar weh, aber er konnte sie immerhin fühlen. Schlag auf Schlag traf ihn die Vaterliebe in den Nacken und rieselte von dort aus ins Herz. „Aslan gibi, Aslan gibi“, sagte er sich immer leise, den Kopf gesenkt, „Wie ein Löwe, wie ein Löwe.“ Wäre er nicht so ein ordentlicher Sohn, er hätte sich den Spruch bestimmt mal tätowiert. Seine Mutter war stolz. Sein Zimmer war weiß gestrichen. Sein Buch auf dem Schreibtisch war schwarz.

„Mit dem ist nicht zu spaßen“

Mit den Jahren hatte sich seine Nackenhaut entschlossen, dicker zu werden. Röter. Immer Fester. Stärker. Ein Schlag traf sie nun nicht mehr so hart. Auch nicht zwei. Seine Haut schlug fast zurück. Ein Wort, ein unbedachter Witz, eine spöttische Bemerkung trafen ihn dafür sehr. Dagegen gab es keine Hornhaut. Da stellten sich seine Nackenhaare auf. „Mit dem ist nicht zu spaßen“, sagten seine Freunde dann. Dass er einfach empfindlich war, da drinnen in diesem weichen, linienlosen Fleck im Brustkorb, gleich neben dem Herzen – das sahen sie nicht.

Schwere Liebe

Viele Jahre waren vergangen. Heute saß er einfach auf dieser Bank, mitten in der neuen Stadt. Ließ sich die Sonne in den Nacken scheinen. Sie wärmte anders, sie strich die glimmende Liebe des Vaters langsam weg. Kühlte den Handabdruck des Vaters sanft aus. Langsam begann er die Stärke zu fühlen, die sich durch die gewärmten Nackenfalten den Weg bahnte. Er begann jetzt, den Kopf zu heben. Er fühlte sich endlich wie ein Löwe. Er spürte die schwere Liebe seines Vaters nun nicht mehr. Aber aus irgendeinem Grund war er friedlich. Jetzt, da seine Barthaare diese Pfeffersalz-Farbe angenommen haben. Er strich sich genüsslich über sein stacheliges Kinn. Sein Bart war weder schwarz noch weiß. „Grau“, dachte er und lächelte leise.

Er zog eine Grimasse, entspannte sein Gesicht und stand auf.

Er trägt jetzt, nachdem die Sonne hinter den Wolken verschwunden ist, einen weichen, roten Schal um den Nacken. Er läuft stolz. Sein Schal weht im Wind. Fast wie eine Löwenmähne.


Von: Yasmin Polat

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