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Sprache & Literatur

Slam Poetin Aylin Çelik

Ein Interview über Poetry Slam, Song Slam und ihre Wünsche für die Zukunft

Ich sitze im Weltempfänger-Café in Köln. Rechts von mir ist dieser feine grüne Sessel, der im Moment noch leer ist. Aus dem Fenster links von mir wirkt der Himmel grau und die Sonne scheint hin und wieder direkt auf den grünen Sessel. In wenigen Minuten kommt Aylin Çelik. Slam Poetin, Autorin und Sängerin. Eine Bandbreite, mit der Aylin fasziniert. Ich schaue hinaus und entdecke eine Frau mit einem strahlenden Lächeln.

Ich stelle dir zunächst mal meine Lieblingsfrage, die ich selbst oft zu hören bekomme. Woher kommst du?

Ok, wie ist das gemeint? Aus Deutschland oder aus der Türkei? Ich weiß nicht, wie ich darauf antworten soll. Was meinen die Menschen damit? Ich komme aus Düsseldorf Wittlaer, das ist im Düsseldorfer Norden. Es ist schön und ruhig. Sehr ländlich alles.

 Wie bist du denn da auf den Poetry Slam gekommen?

Ich bin durch meinen früheren Spanischlehrer auf Poetry Slam gekommen, weil der Referendar war und eine Poetry Slam-AG geleitet hat. Er hatte mich mal angesprochen, weil mein Spanisch nicht so gut war, aber ihm aufgefallen sei, dass ich trotzdem Geschichten erzählen wollte. Und das hat er gemerkt. Er sagte: „Auf Spanisch fällt es dir vielleicht schwer, aber ich habe das Gefühl, du könntest es auf Deutsch viel besser hinkriegen.

Es gab in dem Kurs die Möglichkeit, zu den Poetry Slam-U20 Meisterschaften nach Berlin zu fahren. Das war 2014. Die Anzahl der Plätze war begrenzt, daher wollte er nicht eine Person auswählen. Also hat er Lose ziehen lassen. Und es hat mich erwischt. Das war, wie ich in das Ganze irgendwie reingerutscht bin.

Da stehst du auf der Bühne und liest aus deinen Tagebuchzeilen vor. Wie war das für dich, auf der Bühne zu stehen und deine Texte vorzulesen?

Ich war nie bühnenscheu und auch lange in der Musical-AG meiner Schule, wo ich während meiner Schulzeit schon oft auf der Bühne gestanden habe. Trotzdem – einen Poetry Slam vorzutragen, war etwas völlig Neues. 2013 war der erste unserer Slams. Da habe ich auch erst wirklich verstanden, wie ein Poetry Slam-Text richtig funktioniert. Die Poetry Szene war in meiner Altersgruppe noch wenig gesellschaftlich kritisch. Daher dachte ich, dass mich wegen meiner politischen Texte alle hassen würden. Ich hatte echt Schiss, aber es hat tatsächlich gut funktioniert.

In der politischen Szene sind Frauen noch nicht so aktiv. Wie bist du auf die Idee gekommen, zu behaupten: „Ich will mich engagieren. Ich will eine Stimme für die Leute sein.“?

Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht genau, wie ich darauf gekommen bin. Ich habe immer, wenn mir was nicht gepasst hat, darüber geredet. Das lag auch an meinem Freundeskreis, der relativ sensibel auf bestimmte Themen reagiert und sich viel informiert hat. Ich glaube, ich bin in einer politisch sozialisierten Umgebung aufgewachsen und deswegen war Politisches auch für mich immer ein Thema. Genau darum war es so wichtig für mich, so etwas dann auch auf die Bühne zu bringen.

Ich habe mir deinen Text „Zwischen den Zeilen“ angehört. In dem es unter anderem um unsere sozialkritische Einstellung der Gesellschaft geht. Dabei ist mir beim Zuhören deines Textes aufgefallen, dass er allumfassend und zeitlos ist: Er hat genau beschrieben, wie ich mich bei den Gedanken an die jüngsten Ereignisse in Hanau fühle. Wie siehst du das in Anbetracht dieses aktuellen Geschehnisses?

Der Text ist einfach zeitlos. Es gibt auf jeden Fall Fortschritte im Denken und in der Einstellung von Menschen. Aber da, wo es wichtig wäre oder wo es angesetzt werden müsste – nämlich in der Politik und in den gesellschaftlichen Strukturen – gibt es einfach keine Veränderung. Die Reaktion auf Hanau und wie die Medien damit umgegangen sind und wie sehr die Medien teilweise geleugnet haben, dass es keine eine rassistische Tat war, ist für mich unerklärlich.

Es macht mir einfach Angst.

Mein Text „Zwischen den Zeilen“ beschreibt, dass wir Menschen – egal, woher wir stammen – lernen sollten, genauer in die gesellschaftlichen Strukturen hineinzuschauen. Was ich meine ist, dass wir uns zu oft wegen Kleinigkeiten aufregen. Oder manchmal wir Diskriminierungen nicht im Alltag bemerken.

Beim Hören deiner Slams ist mir aufgefallen, dass du deine Texte mit einem Hauch von Gesang vorträgst. Ich habe gehofft, mehr davon zu hören. Später habe ich dann erfahren, dass du ein Album veröffentlich hast und mich total darüber gefreut. Wie kam es dazu? Und wieso auf Englisch?

Ich habe zuerst Poetry Slam gemacht und dann folgte der Gesang. Allerdings war Musik immer meine Leidenschaft. Daher konnte ich ein Format – den sogenannten Song Slam – für mich nutzen. Song Slam ist fast wie Poetry Slam, mit dem Unterschied, dass du anstatt lyrischen Texten mit deinen eigenen Liedern auftreten kannst. Ich habe Lieder immer auf Englisch geschrieben, weil die englische Sprache in der Musik in meinen Augen irgendwie leichter ist. Ich liebe die deutsche Sprache aber deutschsprachige Songtexte sind so tough. Ich habe außerdem Angst davor, ganz schnell in der Pop- Schiene zu landen, wenn ich einen deutschsprachigen Text schreibe.

Vor drei Jahren haben meine Freunde an meinem Geburtstag zusammengelegt und mir ein altes gebrauchtes MacBook gekauft. Meine Freunde meinten: „Nimm das MacBook und einen Mini-Controller und mach deine Mucke!“

Meine ersten Lieder durfte ich als Feature Artist immer mal wieder vorspielen.

Dann kam Jason Bartsch auf mich zu, ein Kollege von mir, der seine erste Tour plante. Er bat mich als Vorband aufzutreten. Ich musste daher meine EP fertigstellen, die durch eine Crowdfunding-Kampagne finanziert wurde. Meine Freunde waren eine große Unterstützung und haben diese Kampagne ohne mein Wissen gegründet. Ich war überwältigt von dieser Überraschung. Durch das Engagement meiner Freunde konnte ich meine Musik produzieren und tatsächlich mit Jason Bartsch touren.

Was ist dir wichtig? Was wünscht du dir für die Zukunft?

Was ich mir wünschen würde, ist dass die „Deutschen“ ernst nehmen, was „Ausländer“ sagen. Ich habe keine Lust mehr, die Quotentürkin zu sein. Oder Komplimente zu erhalten, weil ich gut Deutsch sprechen kann. Deutsch ist meine Muttersprache, obwohl ich auch Türkin bin.

Was ich mir noch für die Zukunft wünsche? Weniger Rassismus in Medien und Institutionen: Es enttäuscht mich zu sehen, dass rassistische Taten als solche nicht bezeichnet werden. Und dass ein psychischer Faktor gesucht wird, wenn es um eine Person geht, die nicht „ausländisch“ ist.

Ich wünsche mir, dass Vorfälle wie Hanau nicht mehr vorkommen. Sie erschüttern mich, da die Angst da ist, dass wo immer meine ich und meine migrantischen Mitmenschen uns aufhalten, etwas passieren kann. Diese Ohnmacht will ich nicht mehr empfinden müssen.

 

 

Interview: Fatima Remli

Fotos: Christopher Horne

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