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Gesellschaft & Geschichten

Deutschlands Mahnmale

Straßen und Plätze mit türkischen Namensgebern

Es ist ein warmer Samstagnachmittag, als meine Freunde und ich uns auf ein Astra in einem kleinen Park in Hamburg-Altona treffen. Gegenüber von uns werfen ein paar Jungs Körbe, auf der rechten Seite ragt das Schild „Kemal-Altun-Platz“. „Wie cool“, denke ich mir. Ich saß schon öfter hier, frage mich aber zum ersten Mal, wer eigentlich Kemal Altun ist und hole mein Handy heraus, um es zu googeln. Politisch Verfolgter. Suizid. Traurige Geschichte. Kemal Altun ist aber nicht der einzige Türke, nach dem eine Straße oder ein Platz in Deutschland benannt wurde. In welchen Städten in Deutschland gibt es noch Straßen mit türkischen Namensgebern? Welche Geschichten stecken dahinter? Wieder zurück Zuhause, setze ich mich direkt an meinen Schreibtisch und recherchiere.

Quelle: ln-online.de

Bahide Arslan

Es ist die Nacht auf den 23. November 1992, in der der damals 19-Jährige Lars C. und der 25-Jährige Michael P. Brandsätze in zwei Wohnhäuser in Mölln werfen. Zuerst in das von sechs türkischen Familien bewohnte Haus in der Ratzeburger Straße 13, später in das von der Familie Arslan bewohnte Haus in der Mühlenstraße 9. Mehrere Menschen werden stark verletzt – die 10-Jährige Yeliz Arslan, die 14-Jährige Ayse Arslan und Bahide Arslan, die Großmutter der Familie, überleben nicht.
Nach beiden Brandanschlägen sollen die Männer selbst bei der Feuerwehr angerufen haben. Bei beiden Malen mit den Worten: „In der Straße brennt es. Heil Hitler!“. Michael P. wird zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, Lars C. bekommt zehn Jahre Jugendstrafe. Inzwischen sind beide wieder frei.
Als Zeichen gegen den Rechtsradikalismus und als Gedenken an Yeliz, Ayse und Bahide Arslan wird der Lohgerbergang in Mölln in Bahide-Arslan-Gang umbenannt.
Auch in Kiel und Köln gedachte man an die Opfer dieser Tat. In Kiel liegt der Bahide-Arslan-Platz im Stadtteil Gaarden-Ost, zwischen der Kaiserstraße und der Wikinger Straße. In Köln ist die Bahide-Arslan-Straße in der Nähe vom Westfriedhof im Stadtbezirk Ehrenfeld.
Apropos, die Filmemacherin Malou Berlin drehte den Dokumentrafilm Nach dem Brand. Eine Familie aus Mölln, in der sie sich mit der Familie Arslan beschäftigt, die immer noch mit den Folgen der erlebten Gewalt vor über zwanzig Jahren ringt.

Ramazan Avci

Am 21. Dezember 1985 zieht der 26-Jährige Ramazan Avci mit seinem Bruder und einem Freund los, um sein Auto zu verkaufen. Seine Verlobte Gülistan ist nämlich hochschwanger und mit dem Geld möchte er ein Kinderbett kaufen. In der Nähe der Gaststätte Landwehr in Hamburg, einem damals berüchtigtem Skinhead-Treff, wird er von fünf Skinheads verfolgt. Ramazan Avci wehrt sich mit Pfefferspray, flüchtet und läuft vor ein Auto. Vor das Auto der Skinheads, die sich kurz vorher mit Axtstielen und Gummiknüppeln bewaffnet hatten. Die Skinheads schlagen auf den am Boden liegenden Ramazan ein. Drei Tage später stirbt er an seinen Verletzungen.
Heute erinnert am Ramazan-Avci-Platz, unmittelbar in der Nähe der Tat am S-Bahnhof Landwehr in Hamburg, eine Gedenktafel an das Verbrechen.

Süleyman Tasköprü

Auch der 31-Jährige Süleyman Tasköprü wird zum Opfer von Rechtsextremisten. Am 27. Juni 2001 erschießen ihn der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) in dem Gemüseladen seines Vaters in der Schützenstraße 39 in Hamburg Bahrenfeld. Jahre später wird die Parallelstraße der Schützenstraße von Kohlentwiete in Tasköprüstraße umbenannt.

Quelle: devrimkurtulus.com

Cemal Kemal Altun

Nach einem Putschversuch im Jahre 1980 in der Türkei werden zahlreiche Regimekritiker verhaftet, gefoltert und ermordet. Zu den politisch Verfolgten gehört auch der 23-Jährige Student Kemal Altun, der in der Republikanischen Volkspartei organisiert ist. Kemal flieht nach West-Berlin und beantragt dort Asyl. Allerdings ist er von der Auslieferung durch die Bundesregierung in die Türkei bedroht. Er sieht für sich keinen anderen Ausweg, als Suizid zu begehen. Am 30. August 1983, nachdem er bereits 13 Monate in Haft gesessen hatte, springt er vom sechsten Stock des Oberverwaltungsgericht in Berlin.
Die namenlose Grünfläche nördlich der Ottenser Hauptstraße in Hamburg wird von allen als Kemal-Altun-Platz bezeichnet. Allerdings handelt es sich hierbei um keinen offiziellen Namen, auch, wenn der Bezirk Straßenschilder mit dem Namen an dem Platz angebracht hat. Auch in Kassel trägt der Platz vor dem Kulturzentrum Schlachthof den inoffiziellen Namen Kemal-Altun-Platz.

Halit Yozgat

Wie Süleyman Tasköprü wird auch der 21-Jährige Halit Yozgat zum Mordopfer des NSU. Am 06. April 2006 werden in seinem Internetcafe in der Holländischen Straße 82 in Kassel tödliche Pistolenschüsse auf ihn abgegeben.
Der Anschlag ist bis heute nicht vollständig geklärt. Der damalige Kasseler Verfassungsschützer Andreas Temme gerät damals unter Verdacht, weil er zu der Zeit des Anschlags am Tatort war. Temme streitet immer noch ab, die Schüsse überhaupt gehört zu haben. Britische Forscher haben erst vor kurzem den Tathergang simuliert, um die Frage zu klären, ob Herr Temme hätte den Mord mitbekommen müssen.
Als Gedenken an Halit Yozgat wird 2012 der zuvor namenlose Platz in der Nähe von der Holländischen Straße 82 und vom Kemal-Altun-Platz in Halitplatz benannt.

Quelle: http://isipeazy.blogspot.de

Hülya Genc

Am 29. Mai 1993, nur ein halbes Jahr nach dem Anschlag in Mölln, wieder ein Brandanschlag auf ein von Menschen türkischer Abstammung bewohntes Zweifamilienhaus. Diesmal in Solingen. Bei dem Anschlag sterben fünf Menschen, darunter die kleine 9-Jährige Hülya Genc.
In Frankfurt am Main im Stadtteil Bockenheim ist ein Platz nach ihr benannt. Am 18. Februar 2017 erhält der Hülya-Platz auch eine Gedenktafel. Über diesen Fall werden außerdem mehrere Dokumentarfilme gedreht, unter anderem 93/13 – Zwanzig Jahre nach Solingen von dem deutsch-türkischen Filmemacher Mirza Odabasi (Vor drei Jahren trafen wir ihn in Düsseldorf und redeten mit ihm über den Brandanschlag und den NSU-Prozess: https://renk-magazin.de/ein-interview-mit-mirza-odabasi/). Auch die Beginner erwähnten den Fall in ihrem Track Stift:

Ich kann hier einfach so ungestraft meinen Scheiß erzählen
Während alle Plattenfirmen gerade Pleite gehen.
Trotzdem ist mir lieber Deutsche brennen Rohlinge
Statt wie früher Menschen in Rostock und in Solingen

Quelle: http://fakirbaykurt.com

Fakir Baykurt

In manchen Straßen oder an Plätzen in Deutschland ragen Schilder mit türkischen Namen, weil man vor allem ein Zeichen gegen den Rechtsradikalismus setzen wollte. Im Falle von Fakir Baykurt jedoch wurde ein Platz in Duisburg in Fakir-Baykurt-Platz umbenannt, um den türkischen Pädagogen und Schriftsteller zu ehren.
Fakir Baykurt hat über 30 Bücher geschrieben, die in zehn Sprachen veröffentlicht und mehrfach ausgezeichnet wurden. Seine Bücher sind gesellschaftskritisch und beschäftigen sich in erster Linie mit den türkischen Menschen vom Land, von denen er selbst einer ist. Nach dem Putschversuch in der Türkei wird er aufgrund seiner Regimekritischen Schriften und Vorträge verhaftet, von einem Militärgericht aber freigesprochen. Nach Duisburg kommt er im Jahre 1979 im Alter von 50, um über das Leben seiner Landsleute als „Arbeitsmigranten“ zu schreiben. 1990 stirbt Fakir Baykurt in Essen an Krebs.
Der Fakir-Baykut Platz befindet sich am südlichen Ende der Schillerstraße im Stadtteil Homberg in Duisburg.
Straßennamen sind als Spiegel der Geschichte zu sehen, werden von uns aber zu selten hinterfragt. Sie scheinen meistens so selbstverständlich. Wenn wir Straßennamen mit türkischen Namensgebern in Deutschland entdecken, ist das schon bemerkenswert. Entweder freut man sich, weil man selbst türkische Wurzeln hat oder weil man meint, dass es ein Zeichen für gelungene Integration sei. Doch wie man hier sehen kann, stecken hinter diesen Namen überwiegend Geschichten vom Hass der Rechtsextremisten. Sie sollten auch heute noch Mahnmale sein. Das, was Menschen wie Arslan, Avci, Tasköprü und vielen anderen Migranten widerfahren ist, darf nie wieder passieren.

 

Text: Yasemin Kotra

Titelbild: zwickautopia.wordpress.com

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