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Musik & Tanz

Mu Tunç und die Liebe zum Punk

Mainstream gegen Subkultur

„Ich denke, allein du selbst zu sein, bedeutet in der Türkei, Punk zu sein. Denn ein Individuum zu sein, ist Rebellion.”

In einer konservativen Gesellschaft aus der Reihe zu tanzen ist nicht schwer. Weichen die persönlichen Interessen und Geschmäcker vom Mainstream ab, steht man schon abseits. Regisseur Mu Tunç habe sich nach eigener Aussage komisch gefühlt, wenn er in der Schule seine Converse-Schuhe trug. Die Vorliebe für Punkmusik hat man in seinem Umfeld nie ganz verstehen können. Er hat sich diesem Thema nun filmisch intensiv angenommen.

Obwohl Tunçs Vater selbst ein aufstrebender Musiker war, gab er seine Leidenschaft, der finanziellen Sicherheit wegen, auf. Auch für seine Söhne, besonders für den ältesten Sohn Orkun, der wie sein Vater Musiker werden wollte, wünschte er sich eine bodenständige Ausbildung. Orkun schlug eine völlig andere Richtung ein. Eine zufällig gefundene Kassette öffnete das Tor zu einer neuen Welt — dem Hardcorepunk.

Tunç mit einer Darstellerin aus ARADA © diaryofmu

Als kleines Kind beobachtete Tunç noch, wie sein großer Bruder seine Leidenschaft verteidigte. Auseinandersetzungen im Hause Tunç waren an der Tagesordnung. Vater Tunç sah keine sichere Zukunft in dem Vorhaben Orkuns. Ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft hätte Orkun in seinen Augen so nicht werden können. Orkun rebellierte mit Erfolg. Mit seiner Band Turmoil zählte er nämlich zu einer der ersten, die in der Türkei offiziell eine Punkkassette herausbrachten. Tunç hat viel Zeit damit verbracht, die Auftritte seines Bruders und das Leben in einer Subkultur durch Videoaufnahmen zu dokumentieren.

Die Lieder handelten nicht von der Rebellion gegen das System oder anderem vermeintlich gefährlichen Gedankengut. Themen wie Menschenrechte, Tierrechte sowie Umweltschutz standen im Vordergrund. Lediglich die Art und Weise, wie sie ihre Meinung zu den Themen zum Ausdruck brachten war eine andere. Sein Bruder als Vorbild hat Tunc in jungen Jahren bereits enorm darin bestärkt, Dinge selbst in die Hand zu nehmen und seine persönlichen Ziele zu verfolgen.

Trotz Widerstand den eigenen Weg gehen

Mit 19 drehte Tunç seinen ersten Werbespot und wurde nach seinem Studium zu einem der jüngsten Creative Directors in der Türkei. Durch seine Arbeit bei verschiedenen Werbeagenturen, bestieg er als Regisseur für Kampagnen namhafter Marken wie Coca-Cola, L’Oreal, MasterCard oder Starbucks die Karriereleiter.  Eine beneidenswerte Karrierelaufbahn, die ihn aber auf Dauer nicht zufriedenstellte. Am Beispiel seines Vaters sah er, was ein sicheres, aber unerfülltes Leben aus einem machen kann – einen verbitterten Menschen.

Widerstand als kreatives Mittel © diaryofmu

Tunç entschied sich, das zu tun, wofür er wirklich im Leben brannte. Wie im persönlichen Umfeld, stießen neue, experimentelle Ideen jedoch in der Arbeitswelt ebenfalls auf Widerstand. In der türkischen Filmszene wollte man nichts Neues wagen und lieber auf der sicheren Seite bleiben. Denn das Gewohnte hat sich bewährt und ist bequem. Das Volk würde etwas anderes gar nicht annehmen. Die Filmszene ist zudem nicht groß. Sie besteht aus einem kleinen Kreis, der die gleiche Meinung vertritt und sich gegenseitig unterstützt. Neue Ideen durchsetzen? Schwierig, denn Neues wird als Gefahr wahrgenommen.

Inspiriert durch die Free Cinema Filmkultur, Underground Filmszenen und dem starken Drang zu experimentieren, begann Tunç dennoch ab 2010, die Videoreihe „Diary of Mu“ zu drehen. Eine Vlog-Reihe, die bekannte Persönlichkeiten, wie Melissa George, Asia Argento, Roisin Murphy und Francesco Carrozzini auf einer ausgefallenen Art und Weise darstellt. In nur 13 Tagen drehte Tunç 2018 den ersten türkischen Punk-Film „Arada“ (Zu Deutsch „Zwischen“).

Der autobiografische Film basiert auf Mus eigener Geschichte und wurde in zahlreichen internationalen Filmfestivals und Museen, unter anderem im MAD Museum of Arts and Design New York und dem Rome Independent Film Festival, vorgeführt. Darauf folgte das zweiteilige Video „Istanbul Punk“, das einen Einblick in die Anfangsphase des Punks in der Türkei gewährt und die damit verbundenen gesellschaftlichen Probleme zum Ausdruck bringt.

Koexistenz verschiedener Kulturen fördern

Punk ist für Tunç nicht nur eine Musikrichtung oder ein Lebensstil, um zu rebellieren. Viel mehr ist es eine Art und Weise sich in einer Gesellschaft auszudrücken. Die junge Generation ist auch heute noch zerrissen und steht zwischen zwei Stühlen. Viele wollen sich nicht für einen bestimmten Lebensstil entscheiden müssen. Tunç sieht sich als Teil dieser Generation und möchte die Jugend mit seinem Film dazu anregen, ihren eigenen Weg zu gehen. Außerdem hofft er, den hartnäckigen Vorurteilen und Barrieren in der türkischen Gesellschaft entgegenwirken zu können.

Die Menschen in der Türkei seien zum größten Teil verschlossen und abgestumpft. Sie wollen keine Energie aufbringen, um Neues kennenzulernen, findet er. Das soll sich, durch die Förderung der Akzeptanz anderen Kulturen gegenüber, von Grund auf ändern.
Der experimentelle Film verbindet dafür beispielsweise verschiedene Musikrichtungen, wie Techno und türkische Kunstmusik (Türk Sanat Müziği), mit Punk. Damit zeigt er, dass sowohl verschiedene Musikrichtungen als auch Menschen, zusammenpassen können.

Der Film habe laut Tunç für viel Verwunderung gesorgt, denn es gab viele, die von Subkulturen wie Punk in der Türkei nichts wussten. Sie haben es nicht für möglich gehalten, dass in der Türkei überhaupt andere Kulturen bestehen können. So könnte Tunç als Pionier den Stein in der türkischen Filmbranche ins Rollen bringen. Er hat das Potential, in Zukunft dadurch den Weg für andere kreativen Köpfe mit außergewöhnlichen Ideen zu ebnen.

Text: Melis Özgüc

Fotos: diaryofmu.com

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