Heimat vor – ein altbekanntes Motto aus den Schulen. Das kennen wir doch alle. Die Frage, woher wir „wirklich“ kommen, schwingt immer wieder mit. Rassismus in der Schule ist für viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund leider eine Realität. Ob es das Verbot der Muttersprache in den Pausen ist oder sogar schlechtere Noten sind, ist nicht von Bedeutung für das Problem selbst. Wichtig ist jedoch zu erkennen, dass diese Diskriminierung und Benachteiligung stattfindet und das Leben und den Werdegang der Betroffenen negativ beeinflussen kann.
Wie sollte antirassistische Bildungsarbeit in der Schule stattfinden?
Nun stellt sich aber die Frage, was man dagegen tun kann. Sensibilisierung und Bildung für Lehrkräfte, Antirassismus-Workshops oder Fortbildungen wären Teil der Lösung, sind jedoch nicht überall verfügbar. Diese Form der Lösung ist aber nicht unbedingt antirassistisch, sondern nur rassismuskritisch, da das Thema Rassismus nur besprochen wird, anstatt Handlungsmöglichkeiten zu bieten. Natürlich ist die rassismuskritische Perspektive sehr wichtig für den Kampf gegen den Rassismus, da sie anspricht, wie, wann und weshalb Rassismen entstehen. Konsequenzen rassistischer Strukturen werden ebenfalls betrachtet. Ziel der Rassismuskritik ist die Analyse von Unterscheidungen, die auf Konstruktionen von ‚Rassen‘ beruhen und die Abschwächung dieser. Schlussendlich geht es hier um die Entwicklung und Förderung des Bewusstseins für Ungleichheit. Denn dieses ist nötig, um überhaupt antirassistische Bildungsarbeit zu leisten.
Das Forscherteam Mecheril und Melter (2010) gliedern rassismuskritische Bildungsarbeit in sieben Schritte:
- Reflexion bildungsinstitutioneller Prozesse und Strukturen
- rassismuskritische Handlungen
- Verstärkung von rassismuskritischen Handlungen
- Schaffung eines Bewusstseins für Rassismus
- Thematisierung von Zugehörigkeitserfahrungen
- Reflexion rassistischer Zuschreibungsmuster
- Abbau eindeutiger Unterscheidungen
Antirassistische Bildungsarbeit basiert zwar auf diesen Schritten, wird aber ergänzt durch die stetige (Selbst-) Reflexion der Beteiligten, die institutionelle Rahmenbedingungen berücksichtigen. Die Auseinandersetzung mit Ideologien oder Aspekten institutionellen Rassismus in Diskursen, in denen die eigene fragende Haltung und Widersprüchlichkeiten in der eigenen Einstellung und Argumentation berücksichtigt werden, schafft eine Basis für eine rassismuskritische Schulpädagogik.
Wie können diese Schritte aber in der Schule umgesetzt werden? Gibt es überhaupt Projekte und Initiativen, die Rassismus in der Schule aktiv und erfolgreich bekämpfen? Und was hilft nicht?
Halbherzige Versuche der Besserung. Denn was klar ist, ist, dass Programme multikultureller Erziehung, die nur kulturelle Vielfalt zelebrieren, nicht geeignet sind, um kulturelle Toleranz sowie Verständnis zu fördern, besonders wenn Institutionen anhand ihrer (re-)produzierenden Strukturen zum Problem Rassismus beitragen. Denn jede*r von uns erinnert sich bestimmt an die eine Woche aus der Schulzeit, in der man das eigene Herkunftsland vorstellen durfte und es als exotisch gehandhabt wurde. Die Fragen, ob man als Frau bauchtanzen kann oder wieso man kein Kopftuch tragen muss, sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Vermeintlich positive Aussagen wie „du hilfst bestimmt super im Haushalt mit!“, „dass deine Eltern dich schulisch fördern, ist so toll“ oder „du kannst aber gut Deutsch reden und schreiben“ spiegeln rassistische Denkmuster unmittelbar wider. Die Schule gilt so zum einen als ein Ort der Entwicklung und des Lernens und zum anderen als ein Ort der Sortierung, Beurteilung sowie Homogenisierung, auch wenn Heterogenität in den Klassenräumen existiert. Bildungsinstitutionen wie die Schule bevorzugt aufgrund der hohen Effektivität homogene Gruppen, da sie durch Differenzen und der damit einhergehenden Diversität überfordert ist. Der Gedanke, dass alle dieselben Voraussetzungen haben, um schulisch erfolgreich zu sein, ist ein Witz in diesem Kontext.
Helfen Projekte wie „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage?“
Projekte, um Rassismus zu bekämpfen, gibt es viele. Ein Beispiel wäre Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Dabei geht es darum, dass 70% der zur Schule angehörenden Schülerschaft und Lehrkräfte, ein Schriftstück unterschreiben, das besagt, dass sie nicht rassistisch sind und wenn sie Rassismus beobachten, einschreiten. Durch diese Unterschriften wird der Schule eine Plakette mit dem Namen des Projektes geschickt (SORSMC), welche an der Schule angebracht werden kann. Einmal im Jahr muss in den Schulen ein dazugehöriges Projekt stattfinden. Das Bekenntnis von SORSMC basiert auf Selbstwirksamkeit. Das heißt, dass es abhängig von den Akteur*innen vor Ort ist. Die Gestaltung des Engagements, die Auswahl der Praxis sowie das Ausmaß wird in der Institution entwickelt und ihr komplett überlassen, sodass keine äußere Instanz diese kontrollieren kann. Das bedeutet auch, dass es kein Curriculum gibt oder pädagogische Richtlinien, was das Projekt sehr angreifbar macht. Die Realisierung und der tatsächliche Erfolg ist demnach kaum erfassbar oder bewiesen, da Projekte wie SORSMC zwar nett klingen, aber keine nachvollziehbare Erfolgsrate mit sich ziehen. Besonders für Kinder und Jugendliche könnte es zwar interessant sein, um über Rassismen und Diskriminierungen zu lernen und sich eventuell gegen diese zu engagieren, jedoch würde man das Projekt nicht dem Spektrum der antirassistischen Bildungsarbeit zuordnen können, da es an Kontinuität und einer stabilen Basis mangelt, die von außenstehenden Instanzen gegeben werden könnte, um Schulen mit nötigem Personal und Lehrmaterialien auszustatten.
Wie sieht erfolgreiche antirassistische Bildungsarbeit in Schulen aus?
Es liegt auf der Hand, dass antirassistische Bildungsarbeit mit interkultureller Bildung einhergehen muss, um einen nachhaltigen Erfolg zu gewährleisten. Das bedeutet, dass das Lehrpersonal an Schulen das ganze Schuljahr über interkulturelle Bildung, antirassistische sowie rassismuskritische Bildungsarbeit praktizieren muss, um Diskriminierung aufgrund Rassismen präventiv zu unterbinden. Natürlich kann die Umsetzung von rassismuskritischer und antirassistischer Bildungsarbeit eine Herausforderung für Lehrkräfte darstellen, da sie diese Ansätze durch die Ebene des strukturellen Alltags und durch ihren Unterricht realisieren müssten. Trotzdem ist diese Situation zur gleichen Zeit eine Chance, gegen Rassismen und Diskriminierung vorzugehen, da dem Diskurs dadurch eine Bühne gegeben wird. Das heißt im Umkehrschluss, dass Schulen darauf vorbereitet werden sollten, um gegen jegliche Form von Diskriminierung vorgehen zu können, damit eine Haltung in der Gesellschaft vermittelt werden kann, welche diskriminierungsfrei und antirassistisch ist. Das bedeutet also, dass Projekte und Curricula für Schulen entwickelt werden müssen, die sich mit der Wurzel der Probleme beschäftigen und nicht nur mit den Folgen.
Autorin: Zade Ibi
Lektorin: Reyhan Söğüt
Illustrationen: Yasmin Anilgan