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Gesellschaft & Geschichten

Alt werden im fremden Land

Wie eine 94-Jährige in einem deutschen Altenheim sehnsüchtig auf ihre türkische Heimat blickt

Hatice Y. kommen die Tränen, wenn sie von ihrer Heimat erzählt. Sie nimmt sich ein Taschentuch aus ihrer Strickjacke und wischt sich die Tränen weg. Sie schaut sehnsüchtig aus der Balkontür. Ihr Sessel steht direkt daneben. Mittlerweile ist sie 94 Jahre alt, aber sie kann sich noch sehr gut an die alten Zeiten erinnern. Hatice Y. wurde in Tunceli geboren und lebte in Istanbul bis sie mit ihrem Mann 1977 nach Deutschland zog. Von da an führte sie ein Leben in der Sehnsucht nach der Heimat.

„Ich vermisse meine alten Freunde, den Urlaub am Strand, das Shoppen in der Stadt. Ich vermisse wirklich alles.“ sagt sie.

„Früher habe ich nie das Essen von anderen gegessen. Ich habe immer selber gekocht – vor allem Fleischgerichte. Keiner konnte so gut kochen wie ich. Manchmal rufen mich Verwandte an und fragen nach Rezepten. Ich habe alles noch im Kopf. “Hatice Y. vermisst ihr eigenes gutes Essen. Sie kann nicht mehr kochen, ihr Alter lässt es nicht mehr zu. Und in ihren eigenen vier Wänden lebt sie auch nicht mehr. Seit über einem halben Jahr hat sie ein Zimmer im Seniorenzentrum „Haus am Sandberg“ in Duisburg, das zum Deutschen Roten Kreuz gehört.

Das Seniorenzentrum hat sich schon vor 20 Jahren vor allem eins zur Aufgabe gemacht: Kultursensible Altenpflege. Konkret bedeutet das, auf die Bedürfnisse von Menschen mit Migrationsgeschichte einzugehen und ihnen entsprechende Räumlichkeiten zu bieten. Im Seniorenzentrum gibt es beispielsweise Gebetsräume für Christen und für Muslime und eine türkische und eine deutsche Bibliothek. Zudem werden neben christlichen Feiertagen auch muslimische Feiertage gefeiert. Das multikulturelle Konzept zeigt sich auch an den Mitarbeitern und Bewohnern: Die Hälfte der Mitarbeiter und ein Viertel der Bewohner haben ausländische Wurzeln.

Einmal die Woche gibt es türkisches Essen. Hatice Y. isst es, aber mögen tut sie es nicht. „Wenn man sein Essen nicht selber macht, kann man es nicht essen“ sagt sie und erzählt von den Böreks, die vor einigen Tagen verteilt wurden. Der Käse sei doch viel zu hart gewesen, sagt sie. Sie hätte das besser gemacht. Manchmal bringt ihr ältester Sohn ihr weichen Käse oder Suppe mit. Dann freut sie sich, aber dennoch sei es nicht wie früher, als sie noch selber kochen konnte.

„Ich hatte das Gefühl, dass das Glück mir gehört.“

„Die schönste Zeit in meinem Leben war, als ich bei meinen Kindern war und sie noch zur Schule gegangen sind. Ich hatte das Gefühl, dass das Glück mir gehört“, erinnert sie sich. Sie lebte mit ihrer Familie in Istanbul, machte Urlaub mit Freunden am Strand und bekochte ihre Familie. Hatice Y. hat drei Söhne, einer davon verstarb als er 54 Jahre alt war. Ihr ältester Sohn lebt in Duisburg, der Jüngere in Frankreich.

Aber wenn sie so von ihrem Leben erzählt, kommen ihr oft die Tränen. Sie schaut dann wieder aus der Balkontür in die Ferne. Hatice Y. ist Alevitin. „Ich habe das nie verheimlicht“, sagt sie. Aber das bedeutete in Istanbul vor allem Diskriminierung. „Als wir  dort gelebt haben, wurden wir oft ausgegrenzt, weil wir Aleviten sind. ‚Ihr Kurden‘ wurden wir genannt. Wenn Bayram war und ich meinen Nachbarn etwas zu Essen schenken wollte, haben sie das nicht angenommen. Sie haben gesagt, unser Essen sei dreckig und wir würden uns nicht die Hände waschen“.

Die Diskriminierungen haben nach Atatürk angefangen sagt sie. „Zu Atatürks Zeiten wurden die Menschen nicht so diskriminiert wie heute. Ein Mensch ist ein Mensch, egal welcher Religion oder Herkunft. Gott hat uns alle gleich erschaffen“, sagt die heute 94-Jährige.

1977 kam sie nach Deutschland, ihr Mann ging einige Jahre zuvor nach Hamburg, um dort zu arbeiten. Sie folgte ihm, weil sie Probleme an den Knien hatte und in Deutschland operiert werden sollte. Die Kinder blieben zunächst in Istanbul. Auch in Hamburg hatte Hatice Y. türkische Nachbarn, manche von ihnen wollten nichts mit ihnen zu tun haben, weil sie Aleviten waren, erinnert sie sich. „Mir war das egal, was sie hinter meinem Rücken erzählt haben“, sagt sie in einem scharfen Ton.

Die Einsamkeit des Alltags

Dann schaut sie wieder raus. Die Sonne scheint draußen, aber es ist noch kalt.  Manchmal strahlt sie, wenn sie von ihren Kindern erzählt. Aber oft muss sie dann doch weinen. „Das Schlimmste im Alter ist die Einsamkeit“, sagt sie. Sie nimmt ihre Brille ab und wischt sich mit dem Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht. Hatice Y. möchte wieder zurück. Nach Istanbul, an den Strand, die warmen Sommertage genießen. Auch wenn das Leben in Istanbul für ihre alevitische Familie nicht immer einfach war, so war es ihre Heimat. Und genau dahin möchte sie wieder zurück.

Viele ihrer damaligen Freunde und Verwandte sind schon verstorben. Und Istanbul ist längst nicht mehr das, was es früher war. „Ich habe keinen mehr in der Türkei. Fast alle sind verstorben, meine Geschwister sind auch schon sehr alt. Wir telefonieren manchmal. Aber meine Augen sind sehr schlecht geworden, ich kann kaum noch die Nummer wählen“, sagt sie und schaut auf das Handy auf dem Nachttisch. Sie trägt es immer bei sich. Wenn sie mit ihrem Rollator einige Runden im Heim geht, tut sie das Handy und das Haustelefon in ihre Tasche.

„Meine Enkel rufen manchmal an. Ich will ihren Anruf nicht verpassen“, sagt sie. Ihre glücklichen Momente erlebt sie heute, wenn ihr Sohn sie besuchen kommt oder ihre Enkel.

Vor fünf Jahren starb ihr Mann im selben Seniorenzentrum, in dem sie heute lebt. Sie wünscht sich manchmal jemandem zum reden, jemanden der sie versteht. „Hier gibt es auch türkische Mitarbeiter, sie helfen einem sehr. Aber sie können nicht viel mit uns reden. Schließlich müssen sie auch arbeiten“, sagt sie in einem etwas leiseren Ton.

Hatice Y. ist alt geworden, sie hat mittlerweile schon Urenkelkinder. Im Gegensatz zu vielen anderen in dem Heim kann sie sich aber sehr gut an ihr Leben erinnern. Wie blickt man auf ein Leben zurück, das man 90 Jahre gelebt hat? Hatice Y. scheint ein Leben voller Freude, aber auch voller Schmerz geführt zu haben. Ein Leben zwischen Städten, zwischen Ländern. Und vor allem ein Leben voller Sehnsucht nach der Heimat. Ein Leben in Gedanken an Istanbul.

Text und Fotos: Hatice Kahraman

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