Ob er denn mittlerweile etwas über die Menschen weiß, die ihn 1976 in die Welt geworfen haben? »Eigentlich habe ich gar nicht vor, meine leiblichen Eltern zu finden«, antwortet Alexander Görlach.
Der Herausgeber des Magazins The European sitzt vor einem Restaurant in Berlin-Mitte am Rosa-Luxemburg-Platz, auf dem Tisch Apfelschorle – typisch deutsch. Görlach stellt sich ein alternatives Leben in einem parallelen Universum vor. »Dort bin ich aufgewachsen als Kind türkischer Gastarbeiter muslimischen Glaubens«, sagt er. Tatsächlich aber ist aus ihm ein rheinhessischer Katholik geworden: Er war Messdiener, hat Fastnacht gefeiert und anderes Brauchtum gepflegt. Das ist Görlachs Prägung. Seine türkische Herkunft leugnet er zwar nicht, aber sie ist nur Nebensache. Mit drei Jahren erfährt er, dass er adoptiert ist, sein Geburtsname lautet Firat Kaya, die türkische Entsprechung von Müller-Meier-Schmidt; im Dorf Wiesoppenheim im südlichen Wonnegau, wo jeder jeden kennt, ist das sowieso offensichtlich – das Kind, schwarze Haare, dunkler Teint, fällt auf.
»Klar, das Türkische ist ein genetischer Fakt« erläutert Görlach. »Aber eben kein sozialer.« Die Kirche im Dorf ist wichtig, das erste Haus am Platz, sauber, wie geleckt, wie Görlach sagt. Der Pfarrer ist engagiert und schafft es, bei dem Jungen die Begeisterung für Religion zu entfachen. Nach dem Abitur folgt ein Studium der katholischen Theologie in Mainz und Rom, zwei Promotionen, ein Forschungsaufenthalt in der Türkei, dann eine Karriere im Medienbetrieb. Görlach ist schnell, redet schnell, denkt schnell, ein Bildungsbürger dazu – mit politischen Überzeugungen. Eine weitere seiner Stationen ist die des stellvertretenden Pressesprechers der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, später erst wird er CDU-Mitglied, er ist es bis heute.
»In unserer Redaktion bin ich allerdings der einzige mit einem CDU-Parteibuch«, sagt Görlach. »Ohnehin spielen parteipolitische Zugehörigkeiten und die Einteilung in Links und Rechts heute doch keine Rolle mehr.« Warum er trotzdem CDUler ist, bleibt offen.
The European versteht sich als ein Debattenmagazin ohne klare politische Orientierung, Meinungen sollen abgebildet werden. Von Wagenknecht bis Steinbach sei jeder eingeladen, dazu beizutragen, erklärt Görlach. »Manchmal halte ich schon meine Faust geballt in der Hosentasche, wenn ich Leute reden höre.« Aber Görlach hält es aus, zu einer Debatte gehören eben gegensätzliche Standpunkte.
In Zeiten sogenannter digitaler Transformation im Zeitungsgeschäft haben die Macher von The European einen ungewöhnlichen Weg beschritten. Zuerst gab es ab 2009 das Internetmagazin, seit 2012 erscheint The European auch gedruckt, für gewöhnlich verhält es sich in der Branche umgekehrt: Zuerst die gedruckte Zeitung, dann das Online-Produkt.
Rund lief es zuletzt nicht gerade für die Berliner Redaktion. Dieses Jahr stieg der Mehrheitsanteilseigner aus, The European kam ins Wanken. Schließlich hat Mediengruppe aus München übernommen, das Blatt scheint vorerst gerettet, viermal im Jahr soll es gedruckt erscheinen. Wie schwierig die letzten Monate für The European war, wird aus dem Vorwort der aktuellen Ausgabe deutlich, von einem »turbulenten Sommer« ist da die Rede.
Ob das Internet dem Zeitungsgeschäft zugesetzt hat? Wird weniger gelesen? »Ich bin kein Kulturpessimist«, sagt Görlach. In analogen Zeiten seien die Leser nicht schlauer gewesen. Görlach glaubt, dass die Tageszeitung bald schon vom Markt verschwinden werde, Wochen- oder Monatszeitungen werden einstweilen bestehen und in Konkurrenz zum Buch treten. Nachrichten und Lesen müssen neu gedacht werden. Görlach hat das Temperament eines Start-up-Unternehmers, seine positive Grundhaltung und Fortschrittsgläubigkeit erinnern ans kalifornische Silicon Valley, wo das Credo gilt: Alles wird besser. Vielleicht ist dies aber auch das Gottvertrauen eines rheinhessischen Katholiken. Wer weiß. Dem Blatt The European bleibt Görlach in jedem Fall erhalten.
Credits
Text: Philipp Fritz
Fotos: Michael Kuchinke-Hofer