Vor über 15 Jahren starb Cem Karaca, der vielleicht bekannteste Vertreter des Anadolu Rocks. Seine Musik lebt weiter, vor allem im Ruhrgebiet. Die Geschichte eines Mannes, dessen Musik die Konzerthallen immer noch füllt und aktueller nicht sein könnte.
Aus dem Mikrofon ertönt: „İşçisin sen işçi kal, giy dedi tulumları“, was auf Deutsch etwa bedeutet: „Du bist Arbeiter*in, bleib Arbeiter*in. Zieh wieder deine Arbeitskleidung an“. Der Song handelt von einem verliebten Werkstattmitarbeiter, dessen Chef ihm erklärt, dass er niemals mit einem Mädchen zusammen sein könnte, das nicht Teil seiner Klasse ist.
Cem Karaca, der den Song erstmals 1975 veröffentlichte, machte mit diesem Song auf die Unterdrückung der Arbeiterklasse aufmerksam und zog auf seinen Konzerten eine typische Werkstattkleidung und einen Hut an. Von Motoröl verschmutzt, sang er die wohl bekanntesten Zeilen seines Songs „Tamirci Çırağı“ (Deutsch: Handwerker-Lehrling) und solidarisierte sich mit der Arbeiterklasse.
Pott-Protest-Songs
Jahre später, genauer gesagt im Sommer 2019, wird dieser Song wieder auf einem Konzert gespielt, dieses Mal in Duisburg. Der Frontsänger trägt aber weder eine typische Werkstattkleidung, noch einen Hut , sondern ein schwarzes Hemd. Auch die rauchige und tiefe Stimme, die bezeichnend für Cem Karaca ist, fehlt ihm. Aber immerhin: Er trägt denselben Nachnamen und spielt mit der Band Moğollar, mit der sein Vater jahrelang auftrat. Emrah Karaca, Sohn und einziges Kind Cem Karacas, lässt seinen Vater auf der Bühne weiterleben.
Als „Tamirci Çırağı“ entstand, war Emrah Karaca noch nicht einmal geboren. Dennoch füllt er mit dem Lied, das durch das Thema sozialer Ungleichheit an Aktualität nicht verlor, und seinem leidenschaftlichen Gesang, noch immer die Konzerthallen. Moğollar ist nicht die einzige Band, die Cem Karacas Songs weiterleben lässt. Auch Kurtalan Ekspres, die ehemalige Band Barış Manços oder die Cover-Band Necati ve Saykolar treten regelmäßig im Ruhrgebiet auf und singen über Cem Karacas Vaterlandsliebe, die Arbeiterklasse und seine Kritik an der damaligen Regierung.
Es begann mit Elvis
Cem Karaca ist in den 1945er Jahren in Istanbul als einziges Kind des Schauspielerpaars Irma Felegyan und Mehmet Ibrahim Karaca geboren. Die Mutter hat armenische und der Vater aserbaidschanische Wurzeln. Mit der Musik kam er schon sehr früh durch seine Großtante in Kontakt, die ihm das Klavierspielen beibrachte. Seine Mutter entdeckte seine rauchige und tiefe Stimme und unterstützte ihn von Anfang an. Seinen Vater musste Cem Karaca aber noch überreden.
Dieser erkannte die Liebe seines Sohnes zur Musik jedoch schnell und akzeptierte dessen Leidenschaft. Karacas Begeisterung für Rockmusik entwickelte sich in der Schulzeit, in der er viel Elvis Presley hörte und, um Mädchen zu beeindruckten, selbst Musik machte. Seinen ersten Auftritt hatte er in einem Sportclub, in dem er nur seiner Freund*innen zu Liebe auftrat. Das Konzert im Sportclub war der Beginn einer Karriere, die auch nach seinem Tod andauert.
Bis Anfang der 60er Jahre spielte Cem Karaca vor allem englische Songs mit der Band Dinamitler, die er mit Freunden aus der Schule gegründet hatte. Danach trat er mit der Band Jaguarlar auf, mit der er 1965 am Wettbewerb am Preis des goldenen Mikrofons teilnahm, aber schon in der ersten Runde scheiterte. Anschließend ging er zum Militärdienst, wo sich seine musikalische Karriere schlagartig änderte.
Denn der junge Mann, der sonst nur auf Englisch sang, lernte die anatolische Kultur kennen und hörte Soldaten beim Singen zu, die auf einem Saz (traditionell türkische Gitarre) spielten. Er war so begeistert davon, dass er sich vornahm, nach seiner Rückkehr nach Istanbul auf Türkisch zu singen.
Die Tränen im Bild
Nach dem Militärdienst traf er die Band Apaşlar, die eigentlich nur Musik im westlichen Stil machte. Nach der Zusammenarbeit mit Cem Karaca änderten sie ihren Stil allerdings ins anatolische und nahmen gemeinsam 1967 am Wettbewerb des goldenen Mikrofons teil. Sie gewannen mit dem Song „Emrah“, der eine Komposition Cem Karacas aus dem Gedicht „Fidan“ des Dichters Erzurumlu Emrah war, den zweiten Platz.
Ab dann ging seine Karriere steil bergauf, er landete mit seinem Song „Resimdeki gözyaşları“ (Deutsch: Die Tränen im Bild) seinen zweiten Hit, gab in der Türkei und in Deutschland Konzerte und nahm einige Songs auch auf Englisch auf. 1968 erreichte er den vierten Platz bei der Umfrage „Favorite Male Singers“.
Ende der 60 Jahre wurde Cem Karaca immer politischer, was er auch in seinen Songtexten demonstrierte. Die Band Apaşlar war allerdings gegen diesen Wandel und löste sich 1969 auf. Karaca gründete danach die Band Kardaslar und veröffentlichte mit ihnen einen seiner weiteren Hits „Dadaloğlu“, der seine links-politische Einstellung deutlich machte (Dadaloğlu war ein türkischer osmanischer Volksdichter).
Aber auch Kardaslar hielt nicht lange und löste sich nach Meinungsverschiedenheiten wieder auf. 1972 fusionierte Cem Karaca mit der Anadolu-Rock Band Moğollar und gab nur einen Monat nach der Vereinigung ein Konzert mit ihnen. Ende des Jahres 1972 wurden Moğollar als die beste Band des Landes gekürt. Der bekannteste Song, der mit Moğollar entstand, ist „Namus Belası“ (Deutsch: Das Unheil der Ehre).
Im Exil
Cem Karaca trennte sich wegen verschiedener Differenzen von Moğollar und gründete danach noch zwei weitere Bands, mit denen er zeitweise spielte. Karaca politisierte sich weiter und veröffentlicht unter anderem „Tamirci Çırağı“, „Mutlaka Yavrum“ (Deutsch: Auf jeden Fall Baby) und „1 Mayıs“(Deutsch: 1. Mai). Nach dem Militärputsch 1980 wurde gegen ihn ein Haftbefehl erlassen woraufhin er ausgebürgert wurde.
Ihm wurde vorgeworfen, mit seinen Liedern gegen die Regierung zu hetzen, weswegen er bis 1987 in Köln im Exil leben musste. Dies bedeutete jedoch nicht das Ende seiner Karriere. Er veröffentlichte 1982 das Album „Bekle Beni“ (Deutsch: Warte auf mich) , in dem er unter anderem mit den Songs „Alamanya Berbadı“ (Deutsch: Das Deutschland Elend) und „Bekle Beni“ seine Sehnsucht zum Vaterland zeigte.
Er begann auch auf Deutsch zu singen und gab 1984 das Album „Die Kanaken“ heraus, das das Leben der Gastarbeiter*innen in Deutschland aufgriff. Der Song „Mein deutscher Freund“ zeigt, wie sehr er sich ein friedliches Miteinander wünschte:
„Türkisch Kind und deutsches Kind. Ihr sollt unsere Hoffnung sein. Da wo jetzt noch Schranken sind. Reißt sie nieder, stampft sie ein. Baut die Brücken zum Verstehen. Herzen brauchen keine Sprachen.“
Am 29. Juni 1987 konnte Cem Karaca wieder in die Türkei zurückkehren, da der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben wurde. Im selben Jahr erschien das Album „Merhaba Gençler ve Her Zaman Genç Kalanlar“ (Deutsch: Hallo junge Menschen und die, die immer jung bleiben), das zu den meistverkauften Alben jenes Jahres Jahr gehörte. Bis zu seinem Tod am 8. Februar 2004 trat er in verschiedenen Shows, Theaterstücken und Konzerten auf und veröffentlichte insgesamt mehr als hundert Songs.
Cem Karaca starb mit nur 59 Jahren und hinterließ ein musikalisches Werk, das nach wie vor Menschen begeistert und Konzerthallen füllt. Nicht zuletzt erinnern Karacas Lieder an die Unterdrückung von Minderheiten, soziale Ungleichheit sowie gesellschaftliche Schranken.
Das nächste Konzert, auf dem einige Songs von Cem Karaca gespielt werden, ist das Kurtalan Ekspres Konzert in Duisburg am 17. Januar 2020. Tickets gibt es unter Anderem hier.
Autorin: Hatice Kahraman
Fotos mit freundlicher Genehmigung von www.cemkaraca.com