Eine kurze Geschichte des Sella turcica

Nicht der Sattel trägt dich, sondern du trägst den Sattel

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Wahrscheinlich haben die Wenigsten den Begriff Sella turcica (lat.), zu deutsch Türkensattel bzw. türkischer Sattel, schon einmal gehört. Die Mediziner*innen unter uns sind aber womöglich im Neuroanatomiekurs schon mal über diese Begrifflichkeit gestolpert.

Vielleicht hat sich die eine oder der andere gefragt, was sich hinter diesem sonderbaren Ausdruck verbirgt. Im ersten Augenblick schwebt vielen sicherlich die Sitzvorrichtung für Reittiere, insbesondere für Pferde, vor Augen. Aber was genau ist denn nun ein Türkensattel und woher kommt der Begriff?

Nicht der Sattel trägt dich, sondern du trägst den Sattel – im Kopf!

Sella Turcica
Türkischer Sattel im Kopf © Wikimedia Commons

Die Sella turcica ist eine sattelförmige Knochenstruktur auf der Innenseite des Keilbeins in der mittleren Schädelgrube. Sie befindet sich in etwa auf Höhe der Nase. Das bedeutet, dass jeder – egal ob türkisch oder nicht – einen Türkensattel im Kopf mit sich trägt.  Sie gilt als Schnittstelle, mit der das Gehirn Vorgänge wie Wachstum, Sexualtrieb, Schlaf-Wach-Rhythmus und Stoffwechsel regelt.

Es gibt viele medizinische Begriffe, die seit Jahrhunderten gebräuchlich sind – und trotzdem weiß niemand genau, wann oder wie sie entstanden sind. Sella turcica ist ein solcher Begriff. Der Hauptgrund für die Wahl dieses Namens ist jedoch offensichtlich – die anatomische Form ähnelt einem Sattel, wie er einst von den Osmanen benutzt wurde.

Wer rastet, der rostet

Während die Griechen und Römer damit beschäftigt waren, ihre Reittechniken zu verbessern, entwickelten die Türken und andere Steppenvölker den Sattel, der, um die Überwindung großer Entfernungen möglichst bequem zu machen, typischerweise eine hohe Rückenlehne und ein großes Vorderhorn besaß. Die Türken stammen ursprünglich aus dem kargen Steppenland in Zentralasien und migrierten von dort aus bis nach Anatolien und Europa. Dabei galten Pferde als ihr wichtigstes Fortbewegungsmittel.

Türkischer Sattel auf einem Pegasus als Karte Asiens (Quelle: Badisches Landesmuseum/Tekiner, Halil et al. “Sella turcica: an anatomical, endocrinological, and historical perspective.” Pituitary 18 (2014): 575-578.)

Ein goldener Sattel macht einen Esel noch nicht zum Pferd

Seit Mitte des 16. Jahrhunderts tauchten in Lehrbüchern der Anatomie verschiedene Ausdrücke auf, die dem heutigen Begriff sehr nahe kommen, wie etwa Sphenoidis sella (dt. Keilbeinstuhl), Sella equina (dt. Pferdesattel) oder Ephippium (dt. Satteldecke). Die Bezeichnung Sella turcica existiert seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.

Türkischer Sattel
Inspiration für den Namen des kleinen Knochen, hier ein Modell aus dem MET Museum © Wikimedia Commons

Medizinische Eselsbrücke.

Der flämische Anatom, Chirurg und Botaniker Adrianus Spigelius verglich in seinem Werk De Corpora Humanis Fabrica (1627) die Vertiefung mit einem türkischen Sattel. Wie er auf die Idee zu diesem Vergleich kam, lässt sich lediglich mutmaßen. Womöglich hat die erste Belagerung Wiens im 16. Jahrhundert durch die Türken einen wesentlichen Einfluss bedeutet. Auch war die Stadt Padua, in der Spigelius lebte, berühmt für seine Academia Dellia, eine Reitschule.

Der Vergleich fand in der medizinischen Welt derartige Anerkennung, dass der Begriff seither fester Bestandteil der medizinischen Terminologie ist. Die Sella turcica stellt ein interessantes Beispiel dafür, wie medizinsche Ausdrücke aufgrund ihrer Ähnlichkeiten mit verschiedenen Objekten aus der Außenwelt geprägt werden – stets mit dem Ziel, den Menschen für den Menschen verständlicher zu machen.

Autor: Aykut Kaya

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