ZWISCHENHALT // ARA DURAK // RAWESTGEHARAF ist die dritte Produktion von 4Projekte Istanbul. Das Theaterstück des deutschen Regisseurs Frank Heuel mit Texten des kurdischen Autoren und Schauspieler Mirza Metin feierte am 17.02.17 seine Premiere in Istanbul. Humorvoll und gleichsam mit der notwendigen Ernsthaftigkeit verhandeln die drei Schauspieler und Protagonisten verschiedener Nationalitäten die Themen Sprache, Identität und Herkunft und beleuchten politische Missstände und die damit einhergehenden Sorgen und Wünsche.
Sprache
„Jeder kümmert sich um seine eigenen Sorgen, keiner versteht den anderen.“
Irgendwo im Nirgendwo treffen sich diese drei Männer an einer Bushaltestelle. Sie alle haben das gleiche Ziel: weg aus der Türkei und am liebsten nach Deutschland. Sie möchten fliehen, weil ein unaufhaltsamer Sturm droht. Aber der einzig angesetzte Bus zum Flugplatz mit weiterem Ziel nach Deutschland kommt einfach nicht. In der sich wie Kaugummi ziehenden Wartezeit unterhalten sich die Männer – zumindest versuchen sie das. Niemand spricht die Sprache des anderen, ein paar Brocken Englisch helfen der Kommunikation auch nicht auf die Sprünge.
Körpersprache
Im Laufe von Zwischenhalt wird eines klar: Die Männer scheinen zu verstehen, dass sie irgendwie alle das gleiche wollen. Ihre Körpersprache wird effektiv Mittel zum Zweck. Die Schauspieler folgen den körperlich formulierten Zeichen der anderen und lauschen dem nonverbalen Dialog. Ein Aufruf zum „sich mal wieder Zuhören“ wird dem Publikum übermittelt.
Davonlaufen
„Vom Konsulat kam eine SMS – ich soll vorm Sturm fliehen.“
Der deutsche Protagonist Dav wird vom Konsulat aufgefordert das Land zu verlassen, um dem Sturm zu entkommen.
Die Metapher des Sturmes könnte in der Inszenierung für eine sich anbahnende oder schon vorhandene Bedrohung stehen. Ein tobender Sturm reißt die Baumkronen nieder, die Wurzeln aber bleiben im Boden verankert. Im Grunde ändert sich nichts. Die Bäume werden nachwachsen. Die Protagonisten stehen offenbar vor der Frage: Bleiben und Widerstand leisten oder davonlaufen und weit weg vom Geschehen auf Besserung hoffen? „Reden wir nicht über sie, sie könnten uns belauschen“, sagt der Türke Hay. Das Publikum wird offensichtlich mit Ängsten und Gedanken der Paranoia konfrontiert.
Die Stadt
„In diesem Land verschwinden Städte, niemand versteht einander“.
Mit diesem Zitat vom türkischen Protagonisten Hay, weist der Regisseur auf Istanbul als Stadt mit seinen zahlreichen Baumaßnahmen hin.
Noch mehr und noch größere Baustellen in Taksim, Tarlabaşı und Cihangir prägen das Stadtbild. Und auch die Menschen und Gesellschaften verschwinden. Niemals zuvor wie aktuell, bemerkte ich so viele „Kiralık“ (Türkisch, auf Deutsch: „zu vermieten“) Schilder an Fenstern und Häusern.
Nicht nur die Städte an sich werden in Dauerschleife niedergerissen und mit weiteren größenwahnsinnigen Projekten renoviert, auch die Menschen verschwinden. Ein Gesellschaftsaustausch findet nach und nach, langsam oder schnell, aber regelmäßig statt. „Ich begreif’s nicht, die Stadt ist weg“, sagt einer der drei Männer.
Verbindung unterbrochen
In einer der letzten Szenen von Zwischenhalt fängt – von den Protagonisten lang ersehnt –, ein Handy an zu vibrieren. Verzweifelt suchen die Männer nach einem anhaltenden Telefonempfang, um die Nachrichten vom deutschen Konsulat zu erhalten.
Dieser immer wieder abbrechende Telefonempfang könnte unter anderem als eine Metapher für den Zugang zum Internet in der Türkei stehen. In den letzten anderthalb Jahren waren in politisch besonders brisanten Momenten bestimmte Internetseiten wie Facebook nicht selten für einen gewissen Zeitraum einfach nicht zugänglich. Persönliche Freiheiten werden eingeschränkt und Kontrolle waltet über eigenen Interessen.
Das Warten auf gute Neuigkeiten scheint ein Ende zu haben: Der Anruf wird endlich durchgestellt. Eine Computerstimme begrüßt die Wartenden mit banalen Fragen und stellt sie in die Warteschleife. Frustration kommt auf und der unerträgliche Rhythmus des Wartens wird deutlich. Angekommen, aber irgendwie auch nicht. Die deutsche Bürokratie legt hier die Steine in den Weg.
Frank Heuel beleuchtet in Zwischenhalt aus verschiedenen Perspektiven die Situationen seiner Charaktäre und nimmt kritisch Stellung zu persönlichen Geschichten mit übergeordneten Sehnsüchten der Menschen. Das Stück liefert Denkanstöße, wirft Fragen auf und beantwortet diese nur bis zu einem Grad, der Raum für die eigene Auseinandersetzung offen lässt. Besonders spannend ist der mehrsprachliche Diskurs, der ein Spannungsfeld zwischen Publikum und Bühne erzeugt.
ZWISCHENHALT // ARA DURAK// RAWESTGEHARAF
von Mirza Metin
In Zusammenarbeit mit ŞERMOLA PERFORMANS
Mit Sermet Yesil, Mirza Metin, David Fischer
Regie Frank Heuel
Premiere 17. Februar 2017, Istanbul
Der Regisseur Frank Heuel ist freischaffender Regisseur und künstlerischer Leiter des fringe ensembles Bonn. Die Produktionen 4Projekte Istanbul entstanden im Rahmen eines Artist in Residence Programm der Kunststiftung NRW und wurden vom Goethe-Institut Istanbul unterstützt.
Text: Darwin Stapel
Fotos: Pressematerial