Cem Yilmaz verfolgte nie einen großen Plan, sondern ließ Dinge passieren. Und doch fügte sich am Ende alles zusammen. Seit 1998 legt er als DJ Cem in Köln auf und steckt hinter dem erfolgreichen Veranstaltungslabel „Beatpackers“. Bei einer Tour durch seine Läden einen Nachmittag hat er uns von dem Privileg erzählt, Menschen mit seinem Musikgeschmack glücklich machen zu dürfen, von der „Pussyness“ mancher Künstler und einer Reihe von Zufällen, die ihn zum Besitzer eines Kulturbedarfsladens, einer Bar und eines Clubs gemacht haben.
Veranstaltungsbüro, Kulturbedarfsladen, Bar, Label, Club und dann auch noch auflegen – Wie kam es zu all dem?
Ich habe zuletzt Pädagogik studiert und relativ schnell gemerkt, dass das Studium nichts für mich ist. Ich hab mich exmatrikuliert und angefangen hier und da aufzulegen. Damit habe ich meine Miete gezahlt, war aber eigentlich immer pleite – vom Kaiser zum Bettler zum Kaiser zum Bettler im Wochenrythmus. Wenn ich einen größeren Job reinbekommen habe, wurde das erst einmal richtig gefeiert. Eine Woche später war kein Geld mehr für die Miete da. 2002 habe ich dann angefangen, im Subway aufzulegen. Das ganze ist immer erfolgreicher geworden. Irgendwann habe ich angefangen dort Konzerte zu veranstalten. Das ist auch Jahr für Jahr größer geworden. Das war eine Mischung aus Glück, Zufall und richtigen Entscheidungen.
Mit dem Auflegen hat also alles begonnen – was magst du an deinem Job als DJ?
Ich kann einmal die Woche genau die Musik spielen, auf die ich Bock habe. Ich bin wahnsinnig glücklich darüber, dass ich meinen Musikgeschmack anderen Leuten auf die Nase binden darf, die dafür Geld bezahlen und das auch noch gut finden. Das ist echt ein Privileg.
House-Musik aufzulegen war zu ungesund für mich.
Was legst du am liebsten auf?
Am Anfang habe ich vor allem Soul, Funk & Reggae und Black Music von 1965-1974 aufgelegt – mit fünf Plattenkisten und dann auf größeren House-Veranstaltungen. Das war mir aber irgendwann zu anspruchslos. Ich habe mich gelangweilt und angefangen wahnsinnig viel zu trinken, weil ich einfach nichts zu tun hatte. Bei House Musik baut sich die Musik über Loops auf. Da gibt es keinen Rapper nach acht Takten, sondern eine Minute High Head, dann kommt die Base Drum und dann noch eine Baseline – in der Zeit hast du vier Minuten rumgestanden und zwei Cuba Libre getrunken. Das war zu ungesund für mich. Hip Hop habe ich schon immer gehört. In der Veranstaltungsreihe Beatpackers habe ich keine Vorgaben und mache das, was mir gefällt. Und das sind nach wie vor Hip Hop, Soul Funk und Reggae.
Wie wählst du die Künstler für Deine Veranstaltungen aus?
Nach persönlichem Geschmack. Ich habe noch nie jemanden nur aus wirtschaftlichen Gründen gebucht. In den letzten Jahren habe ich keine Band engagiert, von der ich nicht vorher schonmal etwas aufgelegt habe.
Neben nationalen, bringst du auch internationale Künstler auf die Bühne. Hast du einen Favoriten?
De La Soul war einer der größeren Namen, die wir eingeladen haben. Das Konzert war der Hammer. Mein persönliches Lieblingskonzert hat die französische Hip Hop Band Hocus Pocus gegeben – sehr exklusiv, 600 hardcore Fans aus ganz Deutschland. Da war eine Stimmung – sowas habe ich vorher noch nicht erlebt. Die Zuschauer sind ausgerastet. Ich habe Jahre später Leute in Stuttgart getroffen, die meinten: „Wir sind mit drei Autos hingefahren. Das war das geilste Konzert, das wir je in unserem Leben gesehen haben!“. Das liebe ich an meinem Job: Leute erleben etwas, das lange in Erinnerung bleibt.
Hast du eine besondere Geschichte auf Lager, die du in deinen Booking-Zeiten erlebt hast?
Da gibt es viele Geschichten. Zum Beispiel von einer Band, von der wir eine abgefahrene Bühnenanweisung bekommen haben: Wir sollten zwei Kilo Cashewnüsse besorgen – nicht aus der Tüte, nicht aus der Dose, sondern frisch! Wo kriegst die in Deutschland? So etwas wie Funkmikrophone, was vielen Künstlern wichtig ist, damit sie sich frei auf der Bühne bewegen können, das stand in der Bühnenanweisung nicht dabei – aber zwei Kilo Cashewnüsse. „No Exceptions!“, mit drei Ausrufezeichen. Die „No-Exceptions“-Regel lernt man als Konzertveranstalter schnell kennen. Wenn etwas mit drei Ausrufezeichen versehen ist, dann musst du das Zeug ranholen. Sonst hört man am Ende „Sorry, er tritt nicht auf.“, die Gage nimmt er trotzdem. Natürlich haben wir die Nüsse organisiert: Ab in den Supermarkt, Cashews aus der Tüte geholt, gewaschen und hingestellt. Und wie musste es kommen? Am Ende wurden die gar nicht angefasst! Es gibt aber auch viele positive Geschichten – z.B. wenn Künstler ehrliche Dankbarkeit zeigen und einen richtig geilen Abend hatten.
Wie kam es vom Auflegen und der Eventorga zum Kulturbedarfsladen Greatlive?
Anfangs hatte ich mit meinem Freund und Mitarbeiter Max ein Erdlochbüro mit Tonstudio. Ein siffiges Loch, wo wir den ganzen Tag geraucht und rumgehangen haben. Wir wollten Beatpackers aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades auf ein professionelleres Niveau mit angemessener Arbeitsumgebung bringen: Ein Büro mit Öffnungszeiten und einem Telefon, an das auch jemand rangeht. Also weg von Handy und Laptop im Bett und Verträgen mit Kaffeeflecken. Ich brauchte eine Umgebung, die seriös war und in der ich mich seriös fühlen konnte. Ich wollte nicht mehr nur auflegen, saufen und rauchen, sondern eine echte Arbeit machen, womit am Ende des Tages Leute miternährt werden können. Mir ist irgendwann klar geworden, dass die Kausalkette hinter dem, was ich tue, viel mehr ist als nur ich und mein Verhältnis zu meinem Vermieter und zur GEZ. Auf der Suche nach einem neuen Büro bin ich auf einen ehemaligen Motorradladen gestoßen. Der Vermieter sagte:„Bist ’nen lustiger Kerl, was willst’e denn mit dem Laden machen?“ Da musste ich improvisieren. Ich hab mir in dem Moment das, was der Greatlive Store heute ist, wirklich aus den Fingern gesogen. Der Vermieter fand die Idee super und ich habe den Laden bekommen. Im Herbst 2012 habe ich den Kulturbedarfsladen Greatlive eröffnet. Mittlerweile habe ich 18 Mitarbeiter.
Es gibt Tage, da schließen wir den Laden auf und fragen uns „Was ist das hier eigentlich? Ist das wirklich passiert?“
Was genau ist das Konzept hinter dem Greatlive Store?
Durch das Auflegen kenne ich viele Leute und Künstler in der Stadt. Viele von ihnen wollen ihre Produkte irgendwo präsentieren aber wissen nicht wo. Der Greatlive Store bietet eine Fläche für Leute, die neue Ideen haben und gute Produkte machen. Dieses Jahr starten wir damit, auch eigene Produkte zu platzieren.
Deine Bar Little Lui und der Veedel Club befinden sich in direkter Nähe des Greatlive Store – War das geplant?
In den Räumen, wo sich heute das Little Lui befindet, war vorher eine Bar, die uns und den umliegenden Clubs und Läden viel Ärger gemacht hat. Bei einem Gespräch mit meinem Vermieter, dem die Bar ebenfalls gehört, habe ich in einem Beisatz sehr blumig formuliert „Wenn der Tag kommt, dass die gehen sollten, dann übernehme ich das Ding.“ Fünf Tage später hatte mein Vermieter dem Barbetreiber gekündigt.
Da scheint ab und an auch viel Glück im Spiel gewesen zu sein. Aber wie stemmst du deine ganzen Projekte?
Laden, Beatpackers, Kind, Kneipe, Club, da kriegen andere Leute ein Burnout. Ich habe fähige Leute um mich herum, Freunde mit denen ich zusammen arbeite, das ist das wichtigste. Nur deswegen funktioniert es – denn: kein Schiff, kein Kapitän.
Interview: Teslime Yağmur