„Gib uns Hack, wir machen Köfte draus“

Zu Gast bei Rock-Band ARSEN

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Seit 2012 tourt eine junge Berliner Rock-Band durch Deutschland – ARSEN. Ihre teils türkischen Songs mit Einflüssen aus Punk, Metal und Hard Rock durften sie dieses Jahr als Vorband der Toten Hosen auf dem Jamel rockt den Förster, einem Festival gegen Rassismus, zum Besten geben.
Ich treffe Frontsängerin Selime aka Selly, den „Trommelschlumpf“ Dennis und Rhythmus-Gitarristen Norman im Café Kotti in Berlin Kreuzberg. Dort erzählen die drei, wie aus Spaß Ernst wurde, was anders daran ist, zweisprachige Lieder zu schreiben und wie sich türkische Songs für einen Deutschen anhören können.

In älteren Interviews wird behauptet, dass ihr Punkrock macht, weil man sich darin austoben könne. Mittlerweile wird eure Musik eher als Rock betitelt.

Norman
Das war damals mit dem Punk als Attitüde gemeint. Punk ist nicht nur eine Musikrichtung. Das ziehen wir bis heute durch und da gibt uns keiner eine Beschränkung vor. Wir machen wozu wir gerade Bock haben und das ist ein Kernthema von Punk. Also ist das immer noch Punk, nur mit ein paar mehr Akkorden.

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Es ist wahrscheinlich auch schwierig, sich für ein Etikett zu entscheiden, wenn man das gar nicht will.

Norman
Genau deshalb ist es von der Punk-/Metal-Beschreibung zum deutsch-türkischen Rock gekommen, weil es das am besten trifft und von allem ein bisschen ist.

2012 kam euer erstes Album raus. Was hat sich seitdem verändert und was nicht?

Dennis
Die Gesichter in der Band haben sich nicht verändert. Na gut, außer dass sie alle wesentlich älter aussehen, weil Rock ’n’ Roll ganz schön schlaucht.

Seid ihr auch bei interkulturellen Festivals zu sehen?

Norman
Ja, bei so ei
n paar Geschichten, z. B. das Rock für ein buntes Vogtland in Thüringen und das Friedensfest Iserlohn. Das ist schon ganz cool, dass wir mit dem Thema Multikulti unterwegs sind und gerade solche Events da auf uns zukommen.

Selly
Wir waren beim Fête de la Musique, und beim Karneval der Kulturen dürfen wir nächstes Jahr wieder dabei sein. Beim Jamel rockt den Förster haben wir u. a. als Support für die Toten Hosen gespielt.

Norman
Und wir haben auf ihrer Terrasse gecampt! (alle lachen)

Selly
Das war für uns auch ein Highlight des Jahres und eine wichtige Veranstaltung für Toleranz und gegen Rassismus.

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Ihr arbeitet viel dafür, um irgendwann von der Musik leben zu können. Aber noch arbeitet ihr nebenbei oder macht eine Ausbildung, richtig?

Selly
Ja, aber nur um Geld in der Tasche zu haben …

Dennis
Das ist auch etwas, was sich verändert hat. Die Ungewissheit, wie es sein wird, wenn man zwanzig bis vierzig Konzerte im Jahr spielt. Das vorherige Leadgitarrenmitglied ist ausgestiegen, weil er nach der ersten Tour gemerkt hat, dass es für ihn zu viel Aufwand war. Es ist im Grunde ein Doppelleben, was unter der Woche geführt wird, um die Miete zu bezahlen und am Wochenende den Leuten draußen das Gehirn frei zu blasen.

Norman
Am Anfang war der Gedanke, irgendwann davon leben zu können eher ’n Witz. Mittlerweile haben wir ein eigenes Plattenlabel gegründet, drehen Musikvideos, veranstalten eigene Festivals – also da hat sich echt was bewegt! Und in unserer Beziehung ist eine gewisse Ernsthaftigkeit spürbar.

Mal eine persönliche Frage an dich, Selly: Hast du türkische Musikvorbilder?
Ich habe viel türkischen Rock gehört, so hat das Ganze auch angefangen. Vor Deutschland habe ich acht Jahre in der Türkei gelebt und mit der Pubertät kam das Interesse an der Musik. Barış Manço, Murat Göğebakan, Duman, Şebnem Ferah, usw. – direkt beeinflusst wurde ich aber von niemandem. Es kam einfach aus mir heraus. Ich habe mir auch selbst zugehört und gesagt: So singst du, so bist du, so kannst du werden. Ich will nicht klingen wie jemand bestimmtes.

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Habt ihr euch auch gemeinsam türkische Musik angehört?

Dennis
Wir wollten mal ein türkisches Lied covern, dann kam Selly mit drei Vorschlägen an, von denen wir uns einen gemeinsam ausgesucht haben.

Selly
Es wurde dann
Değmez von Özlem Tekin.

Norman
Und ansonsten hat jeder seine Misch-CD dabei, wenn wir auf Tour sind. Da gibt’s auch ein paar CDs mit türkischem Metal drauf, die dann mal im Bus laufen.

Wie entscheidet ihr, in welcher Sprache ihr eure Lieder schreibt?

Selly
Wir planen immer zwei, maximal drei Songs auf Türkisch aufzunehmen. Die Lieder fangen wir als Instrumental an. Ich bin bei den Proben dabei, höre mir das an und frage mich: Welchen Song kannst du nehmen? Was für einen Song willst du daraus machen? Ein Liebessong auf Türkisch muss irgendwie immer dabei sein, z. B. Sensiz. Ich will aber auch kräftige Songs, richtig Text draufknallen, um den Leuten, die Metal hören, ebenfalls etwas bieten zu können. Wir machen nicht nur Rock, sondern auch Auf-die-Fresse-Songs mit türkischen Texten.

Norman
Die Möglichkeit, türkische Texte zu schreiben, erweitert unseren Horizont, weil wir ein Musikstück, auf den ein deutscher Text vielleicht nicht passt, auf andere Weise ausprobieren können.

Was fühlt ihr, wenn ihr türkische Texte schreibt?

Selly
Für mich ist es leichter, obwohl ich gut Deutsch spreche. Ich habe Schwierigkeiten, meine Gedanken in wenigen Sätzen auszudrücken. Wenn ich könnte, würde ich jeden Tag 1 000 Seiten schreiben. Aber ich hab das Talent nicht, das in einem kurzen Song wiederzugeben. Im Türkischen kann ich meine Gedanken besser ordnen. Entsprechende Reime zu finden, die nicht billig, sondern sinnvoll klingen, fällt mir da viel leichter.

Wenn ich türkische Texte singe, habe ich die Freiheit, gesanglich mehr draus zu machen, weil ich absichtlich meine türkischen Gesangsphrasen einsetzen kann. Das ist im Deutschen für mich nicht möglich.

Dennis
Selly gibt uns quasi Hack, und wir machen Köfte draus. (alle lachen)

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Ich persönlich finde, es liegen Welten zwischen den türkischen und deutschen Liedern, besonders wenn Selly singt. Was denkt ihr als Band?

Norman
Also gefühlt ist Selly doppelt so groß, wenn sie Türkisch singt. Ganz klar.

Ich hab das Gefühl, wenn sie auf Deutsch singt, fährt sie immer mit angezogener Handbremse, und ich stelle es mir so vor: Türkisch denken, ins Deutsche übersetzen – und dann singen.

Selly
Eben so ist es nicht! Ich spüre emotional gar keinen Unterschied, ich finde sogar, bei den deutschen Songs, z. B. Worte gegen Krieg, ist mehr Emotion als bei den türkischen.

Ich habe gelesen, dass Menschen, die zwei Sprachen sprechen, unbewusst ihre Persönlichkeit wechseln. So ist es vielleicht auch beim Singen in unterschiedlichen Sprachen. Da ist etwas anders, was für mich eigentlich gar nicht da ist. Die türkische und deutsche Sprache sind sich vom Sprechen her eigentlich ähnlich. Ich muss die Lippen nicht anders bewegen. Deswegen fällt es mir beim Singen auch leichter, ich muss mich nicht verstellen oder tiefer Luft holen.

Habt ihr für das dritte Album schon Ideen, was ihr ausprobieren oder anders machen wollt?

Norman
Wir haben das Muttererde-Album in drei Monaten geschrieben, und das war echt ein Kraftakt. Wenn wir uns die Songs jetzt anhören, denken wir, dass wir uns eigentlich ein halbes Jahr mehr Zeit dafür hätten nehmen können, um das ganze mehr ausreifen zu lassen. Der Plan ist jetzt etwas strukturierter und mit mehr Ruhe ran zu gehen und wirklich schöne runde Songs zu schreiben.

Dennis
Ein guter Whiskey muss reifen.

ARSEN
Gesang: Selly, Dennis: Schlagzeug, Norman: Rhythmus-Gitarre
Arnd: Solo-Gitarre, Gelee: Bass

Credits
Text: Melis Sivaslı
Fotos: Ferhat Topal

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