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Gesellschaft & Geschichten

Was uns verbindet, was uns trennt

Vom Scheitern einer Beziehung
LIEBE

Wo beginnen, wenn man vom Ende erzählt? Egal wie einvernehmlich eine Trennung verläuft, so ist sie doch oft die Anerkennung der Unvereinbarkeit zweier Leben, die ein gemeinsames zu sein versuchten.

Bei Laura und Serhad war neben allen persönlichen Verstrickungen auch die andere Kultur Teil der gescheiterten Beziehung. Was bleibt nach der Trennung von der Kultur des anderen?

Ich hatte Serhad 2014 während eines Studienaufenthaltes in Istanbul kennengelernt. In diesen Tagen war die Stadt ein Erlebnis, und es erging mir wie vielen anderen, die sich verliebten in junge Türkinnen und Türken, die etwas von ihrem Land und ihrem Leben wollten. Auch wenn Studienaufenthalte begrenzt sind, Beziehungen sind es häufig nicht und so blieben wir ein Paar, als ich die Türkei nach eineinhalb Jahren wieder verließ.

Aller Anfang ist leicht. – Symbolbild

In Deutschland dann weckte der Satz „Mein Freund ist Türke“ eine Reihe von Assoziationen, derer ich mir während der Anfänge unserer Beziehung in Istanbul nicht bewusst gewesen war.

In den kommenden Jahren wurde die vermeintliche kulturelle Differenz meines Freundes von Außenstehenden immer wieder kritisch beäugt und übergriffig kommentiert.

Die orientalistischen Fantasien mancher Mitmenschen waren immer ein ärgerlicher Teil unserer Beziehung, auch für mich, die nur indirekt betroffen war. Doch als Jahre später dann auch unsere Trennung vor diesem Hintergrund bewertet wurde, kam ich ins Grübeln.

Ich fragte mich, ob nicht vieles von dem, was uns trennte, doch außerhalb unserer Paarbeziehung zu suchen war.

„Außerhalb“ meint hier: nicht unmittelbar in uns als Person begründet, sondern in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unserer Beziehung. Aber natürlich ist es komplizierter, denn nie waren wir von diesen Bedingungen unabhängig. All unsere Prägungen, biographischer und kultureller Art, wirken in uns und durch uns in unsere Beziehungen. Vieles davon können wir uns bewusst machen und miteinander verhandeln, und so habe ich erfahren, was sich überbrücken lässt und wo Grenzen verlaufen.

Blick aus dem Busfenster: Aufbruch in die Fremde Heimat.

Blick aus dem Busfenster: Ein Foto auf dem Weg zur Stippvisite in der Fremde.

Beim ersten gemeinsamen Besuch bei den Eltern meines damaligen Freundes habe ich gelernt, wie sehr Menschen in interkulturellen Begegnungen aufeinander zugehen können, wenn sie miteinander auskommen wollen. Zunächst war dieses Kennenlernen ein lang erwarteter, lang vermiedener Moment. Es hat fast vier Jahre gedauert, bis wir uns auf den Weg machten in ein kleines Dorf im Westen der Türkei, das jedoch viel weiter entfernt lag, als die paar Stunden, die der Reisebus braucht.

In dieses Dorf der Großeltern waren die Eltern zurückgekehrt, nachdem der Vater aus der Fabrik in Rente gegangen war. Wie viele Familien der Arbeiterschicht hatte auch diese Familie für die besseren Schulen der Städte einen Umzug in Kauf genommen, denn gute Bildung versprach sozialen Aufstieg. Aus der Grundschule schickte man den Sohn, der die nötigen Punkte beim Eintrittsexamen bekam, auf ein bekanntes Lise nach Istanbul und von da aus auf die Universität, wo wir uns kennenlernten.

Als der Tag des Besuchs dann bevorstand, war ich sehr nervös, weil ich wusste, dass die Mutter sehr religiös, der Vater stramm kemalistisch-patriachal und noch dazu wortkarg war. Ich war überzeugt, dass ich allen vermeintlichen Erwartungen an eine gute potenzielle Schwiegertochter nicht gerecht werden würde. Ich erwartete Fremdheit und Distanz.

Arbeiter auf ihrem Weg von Deutschland nach Istanbul, 1978. (AP Photo/Rolf Boehm) – Symbolbild

Auf dem trostlosen Busbahnhof wurden wir dann von einer sehr kleinen Frau mit Kopftuch und einem großen, kräftigen Mann in Jackett erwartet. Die Eltern hatten sich für uns ganz „modern“ zurecht gemacht. Die Frau trug ein buntes, geometrisch gemustertes Kopftuch und über der Kleidung eine schwarze Lederjacke und konnte mir vor lauter Rührung nur mehrmals still den Arm drücken. Daneben der brummige Ehemann, dessen schlechtsitzender Anzug sein Leben harter Arbeit nicht verbarg.

Beide waren in ihrem Aufzug irgendwie unpassend festlich und doch würdevoll und ich fühlte mich an meine eigene Familie erinnert. Auch diese Frauen und Männer hatten im Leben hart arbeiten müssen und gingen nur dem Anlass angemessen ausstaffiert vor die Tür. Nachlässigkeit und Understatement sind der Luxus der Angekommenen, die sich um den guten Eindruck nicht mehr kümmern müssen.

Diese Leute hingegen waren es gewohnt, sich im Leben zu bemühen. Sie bemühten sich unseretwegen, und das rührte mich. Und so verbrachten wir einen unerwartet vergnüglichen Tag, mit vielen Leckereien und noch mehr Tee, natürlich. Als es an der Zeit war, schlafen zu gehen, führte uns die Mutter zu unserer Überraschung gemeinsam in ein Schlafzimmer – mit einem einzigen Bett.

Schnell huschte sie zu den Vorhängen, zog sie wortlos zu und ging hinaus. Ein Skandal. Unverheirateten, jungen Leuten ein Ehebett zu überlassen. Ich hatte mich schon auf die Wahrung keuschen Scheins eingestellt und war überrascht. Doch später sah ich in dieser Geste die wahre Bedeutung von Gastfreundschaft:

Es ist die Hingabe, den fremden Gast nach seinen Bedürfnissen zu beherbergen, auch wenn es einem unverständlich oder sogar unmoralisch erscheint.

Diese Frau wusste, dass es so unsere Art war zu leben und sie wollte uns unseren Besuch so angenehm wie möglich machen. Ich kann es nur vermuten, doch für mich lag darin die wortlose Hoffnung ausgedrückt, uns bald wieder und hoffentlich öfter zu beherbergen.

Ein Miteinander ist möglich, auch bei großen kulturellen Differenzen. Womit sich schlecht verhandeln lässt, ist unsere Welt, die lieber trennt als verbindet.

Und so hatten wir trotz ähnlicher familiärer Hintergründe ganz unterschiedliche Voraussetzungen im Leben, denn meine Eltern profitierten ganz konkret vom deutschen Wirtschaftswunder, wohingegen Serhads Eltern sicher genauso hart arbeiteten, doch ohne den Rückenwind eines historischen Zufalls.

Lange vor unserer Zeit, könnte man meinen, doch konkret bedeutete das: Bei Serhads erstem Besuch in Deutschland, überhaupt seiner ersten Reise außerhalb der Türkei, musste, wie so oft in den Jahren danach, ein Visumsantrag gestellt werden. Und obwohl den Vertreterinnen des deutschen Staates gegenüber alles offengelegt wurde – Einkünfte, Besitz, Arbeitsverträge und Studienbescheinigung, wurde geraten, auch noch eine offizielle Einladung beizulegen.

„Türkisch bleibt für mich die Sprache der Liebe.“ – Symbolbild

Meine Eltern bürgten also bei der Ausländerbehörde für alle Kosten, die dem deutschen Staat im Zusammenhang mit diesem Aufenthalt entstehen könnten. Damals war das kein großes Thema zwischen uns, doch ich denke heute, dass schon diese erste Erfahrung von Abhängigkeit das Motiv eines gemeinsamen Lebens in Deutschland gesetzt hat.

Die erste Einwanderergeneration hat es nie leicht in der Fremde ein neues Leben aufzubauen, doch ich habe über die Jahre verstanden, dass sich die deutsche Gesellschaft auch nicht besonders große Mühe gibt, die Selbstverwirklichung ihrer Einwander*innen zu ermöglichen.

Serhad, der einen beruflichen Ausdruck für sich finden wollte, erkannte nach und nach, dass er sich mit seinen begrenzten Mitteln nur schwer etwas würde aufbauen können. An diesen Fragen einer gemeinsamen Existenz zerbrach unsere Beziehung. Das sehe ich nun in großer Klarheit vor mir, doch zu jener Zeit wollte ich davon nichts wissen. Mein Widerwille war sicherlich Ausdruck meiner Privilegierung, die mich gegenüber manchen Hürden blind gemacht hat, und Ausdruck junger Liebe, die von Grenzen nichts wissen will.

Und so halte ich allen Unterstellungen, dass unsere Beziehung nur an kultureller Differenz gescheitert sein kann, entgegen, dass uns nicht die Kulturen voneinander trennen, sondern gesellschaftliche Ungleichheit. Und was wurde nun aus der Kultur des anderen? Die halte ich mir als Schatz im Herzen, und Türkisch bleibt für mich die Sprache der Liebe.

Text & Foto: Laura Knobloch

Weitere Bildquellen: Pixabay, Wikimedia Commons 

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