Unsere Lieblingsredensarten auf Türkisch – Teil 2

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Achtung, nun kommt der nächste Teil unserer Lieblingsredensarten. Teil 1 der türkischen Atasözleri (dt.: Redewendungen) löste bei unseren Lesern eine Flut von Kommentaren aus: Viele schrieben uns weitere Sprichwörter aus der türkischen Sprache, die ihnen im Laufe der Jahre ans Herz gewachsen sind – schließlich haben wir sie immer wieder von unseren Müttern eingetrichtert bekommen. Redewendungen sind mehr als auswendig gelernte Sprüche – sie gewähren einen Einblick in die kulturellen Eigenheiten und Werte des jeweiligen Landes. Und nicht zuletzt geben sie wieder, welche linguistischen Möglichkeiten eine Sprache bietet. Kurzum: Atasözleri schärfen unseren Blick und schaffen es, den Alltag aus einer türkischen Perspektive wahrzunehmen und uns treffender auszudrücken, als wir es manchmal im Deutschen können.

Werfen wir doch mal einen näheren Blick auf unser frisch vermähltes Pärchen aus Teil 1, dem wir wünschten, dass sie »bir yastıkta kocasınlar«. Während sie nun schon eine ganze Zeit lang versuchen auf einem gemeinsamen Kopfkissen zu altern, erreicht uns die frohe Botschaft einer Schwangerschaft!

Ye tatlıyı doğur atlıyı, ye ekşiyi doğur Ayşe’yi.

 
Die Nachricht einer Schwangerschaft wird voller Freude gefeiert. Während alle auf die Ultraschalluntersuchung im fünften Monat warten, um zu erfahren, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, wissen unsere Mütter es schon längst: »Ye tatlıyı doğur atlıyı, ye ekşiyi doğur Ayşe’yi«. Allein die Essensgelüste einer Schwangeren verraten das Geschlecht des Ungeborenen: Wenn sie Gelüste nach Süßem habe, dann werde sie einen berittenen Krieger (einen Sohn) zur Welt bringen und wenn sie Gelüste auf Saures habe, dann werde sie eine Ayşe (also ein Mädchen) auf die Welt bringen.

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Analı babalı büyüsün.

 
Nach neun langen Monaten ist das Kind endlich auf der Welt. Diesem Kind wünschen Familie, Freunde und Bekannte gerne ein von Herzen kommendes: »Analı babalı büyüsün«. Zu Deutsch: »Möge es mit Mutter und Vater aufwachsen«. Man wünscht dem Kind, dass es kein Waisenkind wird, dass Mutter und Vater ihr/sein Leben begleiten und immer für sie/ihn da sein werden.

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Ҫam sakızı, ҫoban armağanı.

 
Zur Geburt des Kindes stehen unzählige Besuche an. Nachbarn, Familie und Freunde pilgern in Scharen ins Krankenhaus, sitzen teetrinkend von morgens bis abends bei den frischgebackenen Eltern und bringen unzählige Geschenke mit – ein Türke kommt nie mit leeren Händen zu einem wichtigen Ereignis! Der Höflichkeit halber überreichen wir unsere Mitbringsel mit dem Satz »ҫam sakızı, ҫoban armağanı« (dt.: Harz, ein Hirtengeschenk). Es ist nur eine Kleinigkeit, aber eine, die dafür von Herzen kommt.

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Ayının apalak sevdiği gibi

 
Während wir nun zu Besuch sind und das kleine Kind bewundern und gebetsmühlenartig wiederholen, wie süß und hübsch es ist, kommt es früher oder später zu dem Punkt, an dem der frischgebackene Vater/Opa/Onkel/irgendjemand vermeintlich zu grob mit dem kleinen Wonneproppen umgeht. Und schon erschallt ein entsetztes: »Ayının apalak sevdiği gibi!« – als würde ein Bär seinen Nachwuchs liebkosen.

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Oğlan dayıya, kız halaya ҫeker.

 
Alle Anwesenden fragen sich nun natürlich, wie das Kind wohl werden wird? Welchen Charakter wird es haben? Wie wird es aussehen, wenn es groß ist? – Aber eigentlich wissen wir das schon längst. Es ist überhaupt keine Frage, denn »oğlan dayıya, kız halaya ҫeker«, also ein Junge kommt ganz nach dem Onkel mütterlicherseits und ein Mädchen ganz nach der Tante väterlicherseits!

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Bir elin nesi var, iki elin sesi var.

 
Gerade jetzt, wo es frischen Nachwuchs gibt, betonen die Großeltern, wie wichtig der familiäre Zusammenhalt doch sei. Man solle alles gemeinsam anpacken, so könne man sich Aufgaben und Pflichten teilen und auch schöne Stunden miteinander haben. Um ihrem Argument besonderen Ausdruck zu verleihen, bekräftigen unsere Großeltern das mit ihrer Lieblingsredewendung: »Bir elin nesi var, iki elin sesi var« (dt.: Was kann schon eine Hand, wenn man mit der zweiten Klatschen kann?!).


 

Doğduğun yer değil, doyduğun yer.

 
Wer weiß, vielleicht wird das neugeborene Kind, das mit Mutter und Vater aufwachsen soll, dem wir Baumharz geschenkt haben, das wir liebkost haben wie ein Bär seinen Nachwuchs und das nach Onkel oder Tante kommt mit seinen Eltern auswandern. Es wird sich selbst immer sagen, wo (zumindest nach türkischer Redensart) die Heimat eines jeden Menschen ist, nämlich »doğduğun yer değil, doyduğun yer«, also, dass wir nicht in unserem Geburtsort zu Hause sind, sondern dort, wo wir satt werden. Man könne sich also überall heimisch fühlen, wo man einen Job hat und sesshaft ist.

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Autor: Umut Özdemir

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