Über die Leinwand flimmern an diesem Abend immer wieder kuriose Szenen aus türkischen Filmen und Musikvideos der 60er-, 70er- und 80er-Jahre. Auf den Tischen stehen reichlich mit Rakı gefüllte Gläser und Meze, die dazu traditionell servierten türkischen Beilagen. Und die Gäste versuchen sich auf der Bühne an Phrasen der an Berlin-Neukölln angepassten deutsch-türkischen Jugendsprache. Unwissend, was uns eigentlich erwartet, besuchten wir die sechste Ausgabe von „Turkish for Hipsters“ und sprachen mit Oz, der die Gäste durch den Abend führte.
Özgür, kannst du dich kurz den renk.-Lesern vorstellen?
Ich wurde geboren in Istanbul und bin aufgewachsen in Holland. Seit einigen Jahren lebe ich in Berlin. Eigentlich habe ich Sozialpsychologie und Soziologie studiert, leite aber meine eigene Animationsagentur „Boogie & Burke“. Zum Glück habe ich nebenbei noch genug Freizeit für Dinge wie „Turkish for Hipsters“.
Was hat es mit „Turkish for Hipsters“ auf sich, und wer kommt eigentlich zu deinen Veranstaltungen?
„Turkish for Hipsters“ hat an meinem Geburtstag im Jahre 2013 als Dinnerparty für meine Freunde angefangen. Ich wollte ihnen ein bisschen Türkisch beibringen, wie man sich beispielsweise begrüßt und verabschiedet, oder Dinge, die man in einem Supermarkt sagen kann. Ich habe gedacht, dass es auch meinen deutschen Freunden zugute kommen könnte, wenn sie ein paar türkische Worte und etwas über die türkische Kultur lernen. Die Dinnerparty lief so gut, dass ich das nochmal für Freunde meiner Freunde gemacht habe. Und so ist das langsam gewachsen. Mittlerweile melden sich regelmäßig mehr als 40 Leute an. Trotzdem versuchen wir noch ein kleines intimes Event in einem Café oder einer Bar daraus zu machen.
Warum hältst du es für wichtig, Leuten, die keinen Bezug zur türkischen Kultur haben, diese näher zu bringen?
Es melden sich vor allem viele Neu-Berliner aus dem In- sowie Ausland, weshalb ich das Event auf Englisch abhalte. Und meine Meinung ist: Wenn Neu-Berliner richtige Berliner werden wollen, dann sollten sie Berlin kurz aus der türkischen Perspektive betrachten. Denn in Berlin macht es Sinn, auch ein bisschen türkisch zu sein … umgekehrte Integration eben. Das scheint für viele eine interessante Erfahrung zu sein, und viele haben den Wunsch geäußert, noch mehr über Türken in Berlin lernen zu wollen. In Berlin gibt es dieses Bedürfnis, aber oft fehlt der Zugang zur türkischen Gemeinschaft oder Kultur.
Abgesehen davon, dass man vom Rakı vielleicht nicht mehr ganz nüchtern ist. Was nehmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im besten Fall mit bei „Turkish for Hipsters“?
Im Endeffekt hoffe ich, dass man eine positivere Verbindung zur türkischen Kultur, der Türkei oder den Türken in Deutschland herstellen kann. Ich bin eigentlich auch als Holländer nach Berlin gekommen und habe gemerkt, dass man mit so vielen Klischees zu kämpfen hat. Aber wenn man mit Humor an ein Thema herangeht, ist die ganze Auseinandersetzung viel ehrlicher und lockerer. Wenn man also etwas entspannter über die türkische Gemeinschaft reden kann, dann ist das schön. Humor ist dabei ein effektiver Weg und eine universelle Sprache, die sowohl Berliner als auch Nicht-Berliner verstehen.
Du beschreibst deine Veranstaltungen ironischerweise als besten Rückintegrationskurs der Stadt. Wer soll hier wohin rückintegriert werden?
Es wird immer gefordert, dass Türken besser Deutsch lernen sollen. Aber ich glaube, einige Berliner würden auch gerne ein bisschen Türkisch Lernen. Berlin ist die größte „türkische Stadt“ außerhalb der Türkei. Deswegen macht auch ein bisschen umgekehrte Integration Sinn. Ich denke, dass Integration keine Einbahnstraße ist: Es sollte stets von beiden Seiten ein Schritt gemacht werden, um sich in der Mitte treffen zu können.
Du willst auf deinen Events auch auf verschiedene, weniger bekannte Elemente der türkischen Kultur aufmerksam machen. Kannst du uns ein paar davon nennen?
Es hat angefangen mit viel Musik und mit Yeşilçam-Filmen. (Yeşilçam beschreibt die ehemalige türkische Filmindustrie – d. Red.) Beides ist für viele der Gäste oft überraschend, da sie solche Musik und Filme aus der Türkei gar nicht erwarten. Dabei hat die türkische Kulturindustrie viele interessante Persönlichkeiten hervorgebracht wie Barış Manço, Bülent Ersoy, Zeki Müren und andere – nur kennt sie heutzutage niemand mehr. Die Istanbuler Yeşilçam Sokağı war eine Straße mit Filmstudios, in der von den 60ern bis in die 80er teilweise jährlich mehr als 360 Filme produziert wurden. Es gibt Schauspieler aus dieser Zeit, die in vielleicht 3000 sehr schnell produzierten Filmen mitgespielt haben. Eigentlich basierte die türkische Filmindustrie zu dieser Zeit darauf, einen Film zu produzieren, der eigentlich nur eine Kopie eines amerikanischen Hollywoodstreifens war. Aber wir spielen auch Spiele bei den Veranstaltungen wie das „Deadly Döner Disco Drama“ oder das „Rakı Death Match“.
Um noch eine letzte Frage zum Abschluss: Ist „Turkish for Hipsters“ wirklich nur für Hipster?
Den Titel darf man nicht ganz ernst nehmen. Man könnte dass Event auch „Turkish for Dummies“ nennen, aber das würde wiederum zu abwertend klingen. Meine Gäste verstehen das ja eh als Ironie. Der seltsame Effekt ist der, dass die echten Hipster bisher wegblieben. Das war nicht meine Absicht, ist aber nicht weiter schlimm, denn das Publikum war bisher einfach perfekt.
„Turkish for Hipsters“ (Facebook-Seite) findet in unregelmäßigen Abständen an verschiedenen Orten in Neukölln, Kreuzberg und im Wedding statt.
Credits
Interview: Tarık Kemper
Fotos: Sarah Ungan