„Kick it like Kreuzberg“

Zu Gast bei der Türkiyemspor Berlin e.V. Mädchen- und Frauenabteilung

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Mit der Gründung eines Teams der D-Jugend im Jahr 2004 begann die Erfolgsstory der Mädchen- und Frauenabteilung des bundesweit bekannten Fußballvereins Türkiyemspor Berlin. Heute besteht die Abteilung aus acht Mädchen- und drei Frauenteams mit insgesamt über zweihundertfünfzig Spielerinnen und vierundzwanzig Trainer*innen. Für ihr Engagement und ihre Nachwuchsförderung wurde sie mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Integrationspreis des Deutschen Fußball-Bundes 2007. Murat Doğan, Abteilungsgründer, sowie Annika Schauer und Ghoufrane Bouzergoun, beide Spielerinnen und Trainerinnen im Verein, erzählen uns mehr im Interview.

Einige der Spielerinnen der 2. Frauen Türkiyemspor Berlin

Im September fanden die Bundestagswahlen statt. Seitdem wird wieder vermehrt über Fragen von Teilhabe, Diversität und Identität diskutiert. Welchen Beitrag kann Fußball in und für Demokratien leisten?

M: „Fußball verbindet“ ist zwar eine Floskel, aber es entspricht der Wahrheit. Sport verbindet Menschen, egal, wo sie herkommen oder wie sie aussehen. Das ist so besonders, auch an Fußball. Es steht jedem offen.

A: Das ist allerdings auch ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist das Verbindende schon im Fußball angelegt, weil du in der Lage sein musst, in deinem Team zu funktionieren. Fußball hat also viel positives Potential. Aber er ist auch ein Spiegel der Gesellschaft. Fußball trennt auch oder wird dazu benutzt, zu trennen. Es ist eher die Frage, was wir machen, als die, was der Fußball macht. Wir sind ein guter Verein mit guter Arbeit, und deswegen hilft hier der Fußball, Demokratie zu stärken.

Mit dem Schritt in die Oberschule setzt oft eine Art Selektion ein. In dem kleinen Raum unseres Fußballvereins können die Mädchen in Kontakt bleiben.

Murat Doğan, Abteilungsgründer (Mitte), Annika Schauer (links) und Ghoufrane Bouzergoun (rechts), beide Spielerinnen und Trainerinnen im Verein
Ghoufrane Bouzergoun in Aktion

Murat, was bewegte dich dazu, 2004 eine Mädchen- und Frauenabteilung bei Türkiyemspor Berlin e.V. zu gründen?

M: Ich habe damals die Vereinsgeschäftsstelle mitgeleitet. Dort sammelt sich alles, von Eltern über Kinder bis hin zu diversen Anfragen. Es gab schließlich vereinzelt, gerade auch von Vätern, die Anfrage, ob es bei uns ein Fußballangebot für Mädchen gibt. So sind wir auf die Idee gekommen.

Was war euch wichtig bei der Gründung und dem Ausbau der Abteilung?

M: Definitiv zentral war, die Abteilung von unten nach oben aufzubauen. Wir hatten damals oft beobachtet, dass es in Berlin mehr Frauenteams als Mädchenteams gab. Deshalb wollten wir ein richtiges Fundament bauen, mit dem wir dann auch wirklich über Jahre hinweg Mädchen- und Frauenfußball anbieten können. Uns war auch wichtig, den verbindenden Charakter des Fußballs herauszustellen. Gerade in unserem Kiez konnte man beobachten, dass bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund, die gemeinsam in die Grundschule gegangen waren und viel miteinander geteilt hatten, mit dem Schritt in die Oberschule eine Art Selektion einsetzte und sie komplett den Kontakt zueinander verloren. So kam uns die Idee, dass die Kinder zumindest in dem kleinen Raum unseres Fußballvereins zusammen bleiben könnten. Ganz wichtig war nicht zuletzt auch die Idee „von Frauen für Frauen“.

„Von Frauen für Frauen“?

A: Fast mein ganzes Leben bin ich von Männern bzw. Vätern trainiert worden. Was mich überzeugte, als ich zu Türkiyemspor kam, war, dass mir dieses Angebot gemacht wurde. Die Abteilung bildet die eigenen Spielerinnen zu Trainerinnen aus, und schafft so den Raum für sie im Fußball. Inzwischen sind wir achtzehn Trainerinnen in der Abteilung, von denen einige schon Lizenzen beim Berliner Fußball-Verband haben.

M: Dafür muss man kämpfen und sich engagieren. Mittlerweile gibt es auch viele andere Frauenvereine, die mit uns gemeinsam in einem Bündnis versuchen, diese Räume in Vereinen aber auch auf Verbands- und Berlin-Ebene zu schaffen.

G: Ich finde auch, dass eine Trainerin die Mädchen besser verstehen kann und ganz genau weiß, wie sich eine Frau auf dem Spielfeld oder dem Schulhof fühlt. Es gibt immer noch Menschen mit der Meinung, eine Frau solle keinen Fußball spielen oder dass das nur etwas für Männer sei. Das haben wir ja alle hier schon einmal durch. Ich kann mich in eine Spielerin, die bei mir trainiert und mit mir über ihre Erfahrungen spricht, hineinversetzen und ihr meine Meinung oder Erfahrungen mitteilen.

Männer nehmen oft so einen Raum ein, gerade beim Fußball, egal wie viel Ahnung sie tatsächlich haben. Ich finde es cool, das so zu verändern.

Ghoufrane und Annika, ihr beide seid aktive Spielerinnen und ehrenamtliche Trainerinnen im Verein. Was gibt euch euer Engagement?

G: Am Anfang hatte ich Angst aufgrund der großen Verantwortung beim Training mit Kindern. Mit der Zeit merke ich jedoch, wie ich nach jeder Trainingseinheit sicherer werde und genau weiß, was zu tun ist. Ich freue mich, wenn ich den Mädchen etwas beibringe und sie das dann gleich können oder versuchen, es nachzumachen. Das ist ein schönes Gefühl. Hinzu kommt, dass ich beruflich als Altenpflegerin arbeite. Dieser Wechsel zwischen der Altenpflege und dem Training mit drei- bis sechsjährigen Kindern ist für mich erfrischend.

A: Was ich an mir selbst aber auch an anderen Frauen oft beobachtet habe, ist, dass das, was andere Frauen machen, als nicht so gut angesehen wird wie das, was Männer machen. Wenn da eine Trainerin kam, wurde sie irgendwie nicht sofort so ernst genommen wie ein männlicher Trainer. Das war oft ganz unabhängig von der Kompetenz der Frau und des Mannes, weil Männer oft so einen Raum einnehmen, gerade beim Fußball, egal wie viel Ahnung sie tatsächlich haben. Ich find es total cool, das so zu verändern. Auf einmal sind wir die Vorbilder, und die Mädels nehmen uns ernst. Ich habe auch meinen Blick geändert und achte viel mehr darauf, wie ich denke und schaue. Manchmal ist das sehr anstrengend, dann ziehe ich daraus, dass ich ganz schön stark bin, und manchmal ist es richtig cool, dann trägt es einfach.

Leuchtend durch den Regen.

Unsere Spielerinnen sind eine Mischung aus vielen Nationalitäten. Jedes Team ist wie eine Landkarte.

Was bedeutet es, „Fußballmädchen“ bzw. „Fußballfrau“ zu sein und das Vereinstrikot zu tragen?

A: Es gibt tausend Sachen, die das bedeuten kann. Dazu zählt zu einer Gruppe zu gehören, bei den Freundinnen zu sein oder Teil eines Teams zu sein. Manchmal geht es auch darum, andere Identitäten bekommen zu können, denn ein Fußballmädchen ist gesellschaftlich immer noch anders aufgeladen als eine Balletttänzerin. Fußball ist ein Freiraum, also ganz positiv besetzt. Viele probieren sich da aus. Türkiyemspor ist dieser Riesenverein, der migrantische Geschichte in Berlin geschrieben hat. Dieses Erfolgserlebnis spielt auch irgendwie eine Rolle, und die Mädels identifizieren sich mit der Geschichte des Erfolges.

M: Insbesondere bei den Mädchen ist zu beobachten, dass, wenn sie ihr Türkiyem-T-Shirt oder ihren Türkiyem-Trainingsanzug tragen, sie ganz anders aufgenommen werden. Da steigt automatisch auf dem Schulhof und auf allen Ebenen die Anerkennung, auch in unserem Verein. Während der Mädchenfußball in den ersten Jahren innerhalb unseres Vereins auch ein bisschen belächelt wurde, sind die Mädchen inzwischen total akzeptiert, und es ist selbstverständlich geworden, dass Mädchen Fußball spielen.

Spielerinnen Derya und Hadise
Hadise

Vereine wie Türkiyemspor Berlin e.V. werden aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte auch als „migrantischer Verein“ bezeichnet. Wie positioniert ihr euch zu diesem Begriff?

M: Wir sind ein Berliner Verein, und das ist unsere Identität. Tatsache ist aber auch, dass unser Verein von Arbeitsmigranten gegründet wurde. Natürlich sind wir Migrantenkinder, natürlich ist dieser Verein von türkischen Migranten gegründet, die in den Sechzigern nach Deutschland ausgewandert sind. Das gehört voll mit zu unserer Geschichte, und wir stehen voll dazu.

G: Unsere Spielerinnen sind eine Mischung aus vielen Nationalitäten, was ich schön finde. Jedes Team ist wie eine Landkarte.

A: Das kommt immer darauf an, von welcher Seite die Zuschreibung erfolgt. Wenn zum Beispiel der Deutsche Fußball-Bund von migrantischen Vereinen spricht, dann fühlt sich das an, als würden die etwas Anderes meinen, als wenn die Mädels sagen „wir sind ein Türkenverein“, denn darin liegt etwas ganz Anderes, das ist wie so ein Herzchenluftballon. Ich finde, wir verdienen es, als wirklich heterogener Verein bezeichnet zu werden, denn wir schaffen es, ganz viele verschiedene Typen von Menschen zu vereinen. Wir sind einfach ein Fußballverein. Wer hier wohnt, schickt seine Kinder zu uns, weil wir super sind.

Tutku

Die Mädchen- und Frauenabteilung operiert ehrenamtlich und ist auf Spenden angewiesen. Das klingt herausfordernd.

M: Es ist immer sehr schwierig, Unterstützer für den Mädchen- und Frauenbereich zu finden. Es gibt nicht viele Leute, die uns Geld spenden, und nicht viele Sponsoren in dem Bereich. Es gibt auch nicht viele ehrenamtliche Unterstützer. Das ist eine Heidenarbeit für uns, zum einen Trainerinnen aber auch Unterstützer zu gewinnen. Das kostet viel Kraft.

Euer Motto „Kick it like Kreuzberg!“ steht für dich für…

G: Einen Ort.

A: Einen Versuch, diese komplizierte Wunderbarkeit, die wir hier haben, in Worte zu fassen.

M: Protest.

 

Spieltermine und weitere Infos zur Mädchen- und Frauenabteilung hier.

Text: Ahu Tanrısever

Fotos: Samet Durgun

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