In Soleen Yusefs Roadmovie Haus ohne Dach entführt die Filmemacherin und Drehbuchautorin in eine szenische Reise, die sowohl persönliche als auch politische Fragen über Krieg, Identität und Heimat aufwirft.
Dabei tragen nicht nur die Protagonist*innen die Geschichte, sondern auch Kurdistan wirkt durch poetische Landschaftsaufnahmen wie eine eigenständige Figur des Films.
In Yusefs Werken bleiben weder Deutschrap, der Mauerfall noch die NSU-Morde aus. Aktuell arbeitet sie an einem Kinderfilm.
In einem Gespräch erzählte sie uns, was hinter ihren Werken steckt, wie es um Feminismus in der Filmbranche steht und wie viel politische Haltung Kunst benötigt.
Warum ist es wichtig im künstlerischen Schaffen politisch zu sein?
Ich finde, jeder Mensch sollte in seiner Grundhaltung politisch sein. Jeder kleine Impuls, den man mit Kunst erschafft, egal, ob sie große politische Auswirkungen hat oder nicht, setzt etwas in anderen Menschen in Bewegung.
Etwas in Anderen, in sich Selbst oder in der Welt zu bewegen, darin liegt auch eine politische Dimension. Dabei kann es sich auch bloß um einen Gedanken handeln, den man freisetzt. Vor allem Kunst kann sich da nicht herausnehmen. Im besten Fall ist sie nämlich ein Spiegel der Gesellschaft. Es resultiert daraus, dass die Umwelt, so wie sie existiert oder wie man sie wahrnimmt, etwas in einem auslöst, was einen Widerspruch oder einen Kampf darstellt. Sie kann aber auch widerspiegeln, wie gut einiges läuft.
Zu deinen bisherigen Werken zählen Skylines, Deutschland 89 und eine NSU-Doku. Nach was suchst du in deinen Filmen?
In erster Linie muss die Geschichte selbst in mir etwas bewegen. Die Figuren, oder was sie verarbeiten, müssen einen politischen oder gesellschaftlichen Kontext haben. Bei meiner NSU-Doku ist es offensichtlich. Haus ohne Dach wiederum war für mich eine Aufarbeitungsgeschichte, ein Patchwork aus vielen Geschichten – meiner, der meiner Familie und den Menschen um mich rum, von Freunden und Verwandten. Bei Skylines sind es die Submilieus, das Anerkennen von migrantischen Kunstformen und dem Einfluss auf deutschen Rap. Bei Deutschland 89 war es Flucht – also die Flucht im eigenen Land, das gespaltene Land und die Thematik von Mauern heute.
Da ist immer etwas, das in mir das Gefühl weckt, dass ich mich damit auseinandersetzen muss um etwas zu kreieren, wohinter ich stehe und stolz sein kann. Wo ich das Gefühl habe, da setze ich auch bei anderen etwas in Bewegung. Ob es eine Vision ist oder eine Erinnerung, ob Wunsch oder Utopie. Ich möchte mich aber nicht festlegen, ich will frei bleiben und immer wieder beweisen, dass ich mehr kann, weil ich mehr will.
Ich möchte mich aber nicht festlegen, ich will frei bleiben und immer wieder beweisen, dass ich mehr kann, weil ich mehr will.
Wie schaust du auf die aktuelle Lage vom deutschen Film, der sich ja gerne als zunehmend diverser darstellt?
Ich sehe die Potentiale. Aber der Begriff Diversity darf nicht als Politikum missbraucht werden. Es braucht Veränderung in den Bereichen, in denen erzählt und produziert wird. Es reicht nicht, bloß eine Regisseurin mit Migrationshintergrund hinter die Kamera zu stellen, um die Kriterien zu erfüllen. Oder eine Figur, die früher Maria hieß, plötzlich Leyla zu nennen, ohne dieser Figur auch eine wirkliche Psychologie dahinter zu geben. Diese Geschichten müssen in einem Kontext erzählt werden. Dafür muss dann auch das Geld in die Hand genommen werden, um daraus große Projekte zu machen statt Nischendinger. Diversität ist kein Pop-Begriff, der benutzt werden kann, weil er aktuell hip ist. Vielmehr ist es eine Lebenseinstellung. Große Produktionsfirmen als auch Förderer müssen darauf achten, wie sie damit umgehen, wer in welchen Gremien sitzt und welche Stoffe entwickelt werden. Es gibt viele junge Filmemacher*innen, die sich divers mit der Welt auseinandersetzen. Ich würde gerne mehr Geschichten sehen, vor allem große Geschichten. Ich ertrage diese kriminellen Inszenierungen von BIPOCs in der Filmbranche nicht mehr. Dabei gibt es so viele Gewinnergeschichten in diesem Land. Wieso wird zum Beispiel der NSU nicht als großes Serienereignis erzählt, um begreifbar zu machen, was das für eine Ungerechtigkeit ist, systematisch, politisch, gesellschaftlich ausgegrenzt zu werden? Warum wird das untergraben? Oder Hanau?
Oder überhaupt die Geschichten der Gastarbeiter*innen, wie das alles begann. Es ist fast wie eine Leugnung dessen, dass diese Menschen ein Teil ihrer Geschichte, ein Teil der deutschen Geschichte sind.
In Haus ohne Dach geht es sowohl um die äußere als auch die innere Reise dreier Geschwister, quasi eine Odyssee. Was war deine Motivation diesen Film zu machen?
Ich habe meine Kindheit in Kurdistan verbracht und hatte immer diese Erinnerungen, wie eine Art Bilderbuch, an einen Heimatort – was auch immer das ist oder sein kann. Ich merkte, dass ich leider in einer Kultur lebe, in der man von Krieg umgeben ist, somit hat mich dieses Thema schon immer begleitet. Auch während meines Praktikums bei Mîtosfilm, die seit Jahren das Kurdische Filmfestival in Berlin organisieren, bei dem hauptsächlich Filme aus dem Nahen Osten gezeigt werden. Da waren diese ganzen sperrigen Kriegsaufarbeitungsfilme und ich fing mich an zu fragen, wann das eigentlich aufhört. Mit jeder neuen Generation werden Bücher gefüllt mit diesen Geschichten, diesen Traumata, und an die Kinder weitergegeben. Die Motivation war eigentlich eine Suche nach Frieden und die Frage, ob es diesen überhaupt geben kann. Fragen nach dem Anfang und was man selbst tun kann, um Frieden zu erreichen. Haus ohne Dach erzählt einen Familienkonflikt, der gleichzeitig den kriegerischen Konflikt einer ganzen Region beschreibt. Alle streiten sich ständig und sind angespannt. Dann kommt eine neue Generation, die drei Protagonist*innen, die durch ihre Sozialisation in Deutschland gelernt hatten, anders mit Konflikten umzugehen. Weil sie Freiheit erlebt haben und den Luxus hatten, sich Gedanken zu machen, vielleicht eine Therapie wahrzunehmen. Sie sorgen dafür, dass alte Konflikte innerhalb der Familie gelöst werden.
Ursprünglich sollte der Film mit einer entspannten und friedlichen Szene enden, in der die ganze Familie zusammenkommt und Kuchen essend ein Fußballmatch schaut. Doch als der IS während des Filmprozesses in den Irak einmarschierte, holte uns selbst der Krieg ein. In dem Moment war mir klar, dass ich das Drehbuch an die neue Realität anpassen musste. Und so entstand tragischerweise eine Parabel – der Film beginnt und endet mit Krieg. Genauso wie diese Familie wieder vom Krieg eingeholt wurde, wurde das auch meine Familie, meine Freunde, die jesidische Bevölkerung. Es fing wieder an. Der Film, der anfangs eine persönliche Aufarbeitung meiner Erfahrungen war, endete mit einem viel größeren politischen Kontext.
Haus ohne Dach ist zwar nicht biografisch, gedreht wurde er aber in Duhok, in der Stadt in der auch du aufgewachsen bist. Wie war diese Reise für dich?
Die persönliche Reise, das Zurückgehen, war krass. Als Kind schaut man durch den Blickwinkel der Eltern auf die Welt. Als Erwachsene jedoch kriegt man dann einen eigenen Zugang, man kreiert eine eigene Welt, mit Freunden, als auch mit der Familie. Auch zu der ganzen politischen Auseinandersetzung, man übernimmt nicht mehr nur wie die Eltern politisch leben, denken oder fühlen. Vielmehr saugt man das mit erwachsenen Augen auf und bildet sich ein eigenes Bild. Tatsächlich spielen viele aus meiner Familie im Film mit: Meine Mutter zum Beispiel spielt die Mutter im Film. Der aufmüpfige Cousin im Film ist mein Cousin, die Kleine an der Tankstelle mit den kurzen Haaren ist meine Cousine. Zusätzlich war die Zusammenarbeit des Teams eine Erfahrung für sich. Die eine Hälfte des Teams war deutsch, die andere Hälfte bestand aus den Menschen dort. So wurde die Arbeit auch über den Film hinaus eine solidarische Zusammenarbeit.
Leider sind Frauen in der Filmbranche immer noch eher die Minderheit, woran liegt das?
Das Problem fängt früh an, schon in dem Moment, an dem Filmhochschulen entscheiden, wen sie aufnehmen. Regisseur war schon immer ein Männerberuf, Frauen hatten vor der Kamera zu stehen. Sie wurden also „ausgestellt“ und ihre Geschichten wurden durch Männer erzählt. Das Frauenbild, welches dadurch kreiert wurde, ist bis heute problematisch. Davon hatte ich die Schnauze voll. Ich war immer umgeben von so starken Frauen, Frauen, die die Welt bewegen, im Großen wie im Kleinen. Wiedergefunden habe ich sie allerdings weder in Büchern noch auf der Leinwand.
Wendepunkt war die Einführung der Frauenquote und die #MeToo Debatte. Anfangs war selbst ich skeptisch, fühlte mich, als ob jemand für mich sprechen müsste. Doch sobald man darauf aufmerksam gemacht wurde, weitete sich der Blick, ich schämte mich fast für die Zustände. Leider sind führende Positionen von alten, weißen Männern besetzt, die vorleben, wie die Welt sein müsste, damit es für sie am besten funktioniert. Ich finde es erstaunlich, dass die Filmbranche nicht von alleine darauf gekommen ist, dass es für ein authentisches Bild Vielfalt braucht.
Ich möchte gegen diese veralteten Bilder angehen und die Kraft aufbringen diese aufzubrechen. Junge Frauen*, aber auch junge Filmemacher*innen überhaupt, brauchen den Glauben daran, etwas bewegen zu können oder ein eigenes Ziel zu haben.
Haltet an euren Visionen fest! Lasst euch von niemandem sagen, was ihr könnt und was nicht. Das wisst ihr selbst am besten.
Vom 8. – 14. Oktober findet das 10. Kurdische Filmfestival statt, wo unter anderem auch Haus ohne Dach gezeigt wird. In diesem Jahr hat das Festival auch ein großes Onlineprogramm – es lohnt sich reinzuschauen.
Credits
Titelbild: Leo Lokai
Setfotos: Mîtosfilm