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Gesellschaft & Geschichten

Aus sieben Monaten wurden sieben Jahre

Eine Zeit in Izmir

Dilan B. war 17 Jahre alt, als sie auswanderte. In die Türkei, die Heimat ihrer Eltern und Großeltern. Eigentlich wollte sie nur sieben Monate bleiben, die sich schnell in 7 Jahre verwandelten. Wie so viele stand sie zwischen zwei Kulturen und war nicht mehr glücklich in Deutschland. Mit der Hoffnung auf Akzeptanz und Zugehörigkeit zog sie in ihre erste eigene Wohnung in Izmir. Wurde dort das erste Mal politisch aktiv, absolvierte ihr Studium und stellte schnell fest, dass sie auch hier vor unerwarteten Problemen und Vorurteilen stand.  Dilan erzählt uns über das Leben in Izmir, insbesondere über Frauen- und Polizeigewalt in der Türkei.

Wie war die erste Zeit für dich in dem Land, das du nur aus dem Urlaub kanntest?

Es war  komisch, aber auch schön, ungewohnt und aufregend. Ich hatte noch nie in meinem Leben eine eigene Wohnung gehabt. Es war Winter und sehr kalt. Ich fing an mich darüber zu beschweren. Irgendwann fingen meine Freunde an mich als die „kleine Prinzessin“ oder die „verwöhnte deutsche“ zu bezeichnen und alle meinten, ich sei abgehoben. sie fingen an, mich als arrogant zu betiteln, weil ich viele Sachen nicht kannte oder vieles mir  seltsam vorkam. Und ehe ich mich versah, war ich auf einmal die „reiche Deutsche“. Manchmal saßen wir zum Essen auf dem Boden und einer sagte: „Sie ist Europäerin, sie kennt sowas nicht. Vielleicht isst sie besser am Esstisch, sonst kriegt sie noch Rückenschmerzen und beschwert sich darüber“. Ich begriff dann langsam, dass die sogenannten Freunde auf einmal nur noch kamen, wenn sie was brauchten. Doch ich wurde nicht nur als die „reiche Europäerin“ gesehen, sondern auch diejenige, ,,die mit jedem Kerl in die Kiste steigt“.  Ich habe sehr oft mitbekommen, wie sich junge Männer mit Touristinnen getroffen haben und auf Türkisch zueinander meinten: „Die schleppe ich noch ab“, und dass, obwohl die Mädels direkt daneben saßen. Da fing ich an, vieles zu hinterfragen.

„Ich merkte ab einem gewissen Zeitpunkt, dass ich nicht mehr alleine unterwegs sein sollte, und es auch nicht mehr wollte“

Wie wurdest du politisch aktiv, und  was waren die prägendsten Ereignisse?

Ich war in der linken Szene sehr verankert. Ich kann versichern, das waren schreckliche Erlebnisse! Das war der Moment wo ich die andere Seite der Türkei kennen lernte. Ich habe zum ersten Mal Polizeigewalt erfahren.  Wir waren auf einer Demo, und die eskalierte schnell. Die Polizisten liefen auf uns zu und wir vor ihnen weg. Ich war wirklich am Ende. Ich versteckte mich hinter einem Auto. Mein damaliger Partner kam, riss mich mit und schrie: „Steh auf, du kannst doch jetzt nicht schlapp machen!“. Und er hatte recht! Ich dachte an meine Familie. Ich hatte solche Angst. Ich dachte nur, wenn die Bullen gleich auf mich zukommen, dann könnte ich sterben. Wollte ich wirklich dort sterben?!Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie sie Leute zu Tode geprügelt haben! Einige wurden verhaftet und du hast sie nie wiedergesehen.

Einfach weg! Eine Freundin von mir sucht noch bis heute ihren Bekannten. Ich kann dir sagen, den gibt es nicht mehr. Was ich aus Filmen kannte, wurde zur Realität. Ich bin wortwörtlich um mein Leben gelaufen. Dann aber nahm die Gewalt gegen Frauen zu. Ich meine, die gab es schon immer, aber sie wurde immer heftiger.  Die Nachrichten über getötete Frauen kamen immer häufiger. Ich merkte ab einem gewissen Zeitpunkt, dass ich nicht mehr alleine unterwegs sein sollte, und es auch nicht mehr wollte. Man hat von Vorfällen gehört, wie: Eine Frau aus der Nachbarschaft ruft beim Handwerker an; er kommt zu ihr nach Hause und sie wird vergewaltigt. Was für eine kranke Welt!, dachte ich mir. Und ich merkte, wie ich immer mehr von der Gesellschaft in meiner Freiheit eingeschränkt wurde.

„Und das Schlimme ist: Es gibt niemanden, der dir helfen kann. Die Polizei schon gar nicht. Wahrscheinlich würden sie, wenn man sie, wenn man sie anruft sage: Ist was passiert? Nein? Warum rufst du dann an? Nur weil ein Mann hinter dir läuft.“

Wie hast du persönlich die Gewalt an Frauen erfahren?

Meine Freiheiten als Frau wurden eingeschränkt. Man wird sofort abgestempelt, als die „freizügige Europäerin. Man hört in den Nachrichten, dass eine Frau vergewaltigt und ermordet wurde und was sagen die Menschen? „Ja, aber die hat sich auch echt freizügig angezogen“, oder „Tja, was geht sie auch mit dem Typen in das Hotel. Ist ja wohl klar!“. Wie konnten sie nur sowas sagen? Ich wollte weder raus noch wollte von da draußen etwas mitkriegen. Ich habe es ja selbst erlebt, wenn ich dann mal rausgegangen bin und gegen 23 Uhr auf dem Weg nach Hause war, wurde ich immer belästigt. Und das Schlimme ist, du kannst nichts dagegen tun. Würde ich meinen Verfolger anschreien, so würde ich sein Ego verletzen: am Ende steigt er vielleicht mit mir an der gleichen Station aus und verfolgt mich bis nach Hause und niemand kann mir helfen – Ich meine, solche Gedanken hatte ich. Das ist schlimm. Also überlegte ich immer zehnmal, ob ich ausgehen sollte oder nicht. Du musst dir darüber im Klaren sein, dass du vor allem als Frau ständig einer Gefahr ausgesetzt bist. Und das Schlimme ist: Es gibt niemanden, der dir helfen kann. Die Polizei schon gar nicht. Wahrscheinlich würden sie, wenn man sie, wenn man sie anruft sage: Ist was passiert? Nein? Warum rufst du dann an? Nur weil ein Mann hinter dir läuft.

„Das, was ich früher nicht mochte,  schätze ich jetzt!“

Wie haben deine sieben Jahre in Izmir deinen Blick auf das Leben in der Türkei bzw. in Deutschland verändert?

Was ich zum Beispiel an Izmir sehr mochte, war die warmherzige Art. Im ersten Moment wechselt man gerade mal zwei Sätze, und im nächsten sitzt man schon bei einem Glas Tee zusammen und redet über Gott und die Welt. Aber ich habe auch gemerkt, wie sehr es mich störte, dass meine Grenzen nicht mehr beachtet wurden. Mir fehlte meine Privatsphäre Es war auch schwer, meine Grenzen zu kommunizieren, wie soll man das dann erklären?  Wenn ich jemandem einen Zentimeter zu nahetrete, kriege ich direkt einen bösen Blick – und das ist auch gut so. Ich finde, die Privatsphäre wird eher respektiert. Das, was ich früher nicht mochte,  schätze ich jetzt! Viele sagen, dass wir in Deutschland spießig seien. Ich persönlich mag die Spießigkeit! Und ich merke, dass das Leben in der Türkei mich geprägt hat – positiv, aber auch negativ. Ich schätze beide meiner Kulturen inzwischen sehr.

„Ich trage beide Kulturen in mir und will keine von beiden missen.“

Wie ging es dir, als du wieder zurück nach Deutschland gezogen bist und wo ist „Zuhause“ inzwischen für dich?

Zuhause fühle ich mich in meinen vier Wänden, wenn ich meinen privaten Raum habe, den ich mein Eigen nennen kann. Wo genau das ist, das spielt keine Rolle. Ich merke aber, dass ich mich mittlerweile wirklich heimisch fühle in Deutschland. Ich spüre, dass meine ganz eigenen Wurzeln überwiegend in Deutschland sind.  Abgesehen von der „reichen Europäerin“ war ich in der Türkei auch noch eine links eingestellte Alevitin, und das hat einfach nicht ins Bild gepasst. Dort war ich eine „Minderheit“. Hier spüre ich nichts davon. Aber ich finde, man muss „Zuhause“ nicht unbedingt geografisch einordnen. Meistens ist es ein Gefühl. Lange Jahre dachte ich, ich muss mich selbst über meine und nur eine Kultur identifizieren.  Aber ich merke, ich trage beide Kulturen in mir und ich will keine von beiden missen.

Text: Derya Turkmen
Fotos: Privat

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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