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Bühne & Schauspiel

Wenn politische Fragen im öffentlichen Raum künstlerisch verhandelt werden

Mit Mirza Metin und Hicran Demir über das Theaterkollektiv Şermola Perfomans und die Grenzen des Theaters

Als kurdischer Autor und Regisseur hielt Mirza Metin mit seiner künstlerischen Arbeit zwanzig Jahre lang der staatlichen Unterdrückung in der Türkei stand. Er schrieb kurdischsprachige Theaterstücke und brachte sie auf die Bühne. 2018 kam der Autor und Regisseur mit einem Stipendium nach Deutschland und lebt seitdem in Köln. Hier führt er seine künstlerische Arbeit fort und wird bereits von etlichen kulturellen Institutionen gefördert. Ebenfalls vor drei Jahren taten er und Schauspielerin Hicran Demir ihre Kräfte zusammen und produzieren seitdem in Köln als Şermola Performans Theaterstücke. #DatingWithTheatre ist das neueste Konzept zur Vermittlung der Stücke von Mirza Metin, gemeinsam mit Hicran Demir: Sogenannte „Stories of the Displaced“ werden an neuen gesellschaftsrelevanten Orten erzählt. Was geschieht, wenn politische Fragen im öffentlichen Raum künstlerisch verhandelt werden? #DatingWithTheatre erkundet die Grenzen des Theaters und sucht nach Möglichkeiten, Theater anders erfahrbar zu machen. Auch inhaltlich beschreitet das Projekt andere Wege und stellt den etablierten Perspektiven der deutschen Theaterlandschaft neue Erzählungen entgegen. So rücken unterrepräsentierte Biografien und Blickwinkel ins Zentrum.

Wir trafen uns mit Mirza Metin und Hicran Demir vom Theaterkollektiv Şermola Perfomans und unterhielten uns über deren aktuelles Projekt #DatingWithTheatre, Diversity im Theater und die Herausforderungen, die kurdischsprachiges Theater (insbesondere in der Türkei) mit sich bringen.

© Mehmet Eren Bozbaş

Was bedeutet Şermola?

Mirza: Es ist eigentlich der Name einer Theateraufführung. Im Original heißt das Stück “Komara Dînan Şermola” (kurdisch), welches im Deutschen“Die Republik der Verrückten“ bedeutet. In dem von Erdal Ceviz regiegeleiteten Theaterstück geht es um die Erzählungen von Helim Yusiv, welches noch 1988 im Teatra Jiyana Nû als Schauspieler ihre Rollen inne hatten und 1999 vom Gouvernement in Ankara verboten wurden. Das Verbot des Theaterstücks ging bis zum europäischen Gerichtshof für Menschrechte und erst im Jahre 2007 wurde die Türkei wegen ihrer Zensur- und Verbotsmentalität verurteilt. Außerdem ist Şermola eine Ortsbezeichnung für einen Hügel, der für Geisteskranke und Friedhöfe bekannt ist und sich in der Stadt Amûdê, im nordsyrischen Rojava befindet. Eigentlich steckt hinter dem Theaterstück eine sehr tragische Geschichte, die aber eher verborgen bleibt, da der Fokus auf die Macht der Theatralik gerichtet ist – nämlich das, was in unserer Wahrnehmung, Seele und unserem Gedächtnis einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Zudem glaube ich auch, dass es unserer Stimme mehr Macht und Wirkung verleiht, gerade weil wir sehr hartnäckig an einem kurdischen Theaterprojekt festhalten.
Darüber hinaus hat Şermola noch eine weitere Bedeutung. Es symbolisiert für uns ein Fantasiehaus. Darin können wir träumen und versuchen, diese Träume zu verwirklichen. Träume zu haben ist wie Freiheit. Wir sind der Überzeugung, dass Träume haben und gleichzeitig Theaterstücke kreieren ein Streben nach Freiheit ist. Wir betrachten das Theater als ein Dreiecksgebilde, welches aus Leben, Kunst und Politik besteht und eine Art ästhetisches Widerstandsfeld darstellt. Mag sein, dass diese Zuschreibungen für etliche Menschen sehr abgedroschen klingen, aber es ist die gelebte Wahrheit kurdischer Künstler:innen.

Schließlich leben wir inmitten eines endlosen Kampfs um Würde und Widerstand. So fühlt sich die Staatenlosigkeit an – ein Zustand, den Staatangehörige niemals verstehen werden. All das bedeutet Şermola.

Was wollte man mit der Entstehung der Şermola Performans bezwecken?

Mirza: Theater spielen – und zwar freier. Dies war und ist bis heute noch unser vorrangiges Ziel. Dem können wir aber auch später Weiteres hinzufügen: ein zeitgenössisches kurdisches Theaterstück zu schreiben und sie auf eine internationale Bühne zu tragen, die Erzähltraditionen von Mesopotamien genauer zu erforschen und diese mit einem zeitgenössischen Theater zu verbinden, von Istanbul und Kurdistan aus beginnend, die Zuschauer:innen im In- und Ausland anzutreffen; sich mit aktuellen, historischen und gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen, diese dann auf die Bühne zu bringen und mit den Zuschauer*innen zu teilen.

© Debora Brune

Wie kamt ihr auf die Idee, in Deutschland ein Office zu eröffnen? Wie kam die Entscheidung zu eurer Zusammenarbeit?

Mirza: 2017 habe ich Frank Heuel bei seinem Projektbesuch in Istanbul kennengelernt. Frank hatte schon eine andere Theateraufführung, für die ich das Skript geschrieben habe, gesehen und mich daraufhin kontaktiert. Danach haben wir gemeinsam an dem Projekt “Rawestgeharaf“ (dt. Zwischenhalt) gearbeitet, bei dem die Şermola Performans und das fringe ensemble als Kooperation inbegriffen war. Gemeinsam haben wir in Istanbul und in Deutschland Aufführungen gezeigt. Danach hat mir Frank von einem Stipendium erzählt und mir angeboten, die Bewerbung für mich einzureichen, damit ich so am fringe ensemble für eine Weile als Autor arbeiten kann. Ich habe zugesagt. Nun bin ich mit dem Stipendium hier und konnte auch gleichzeitig die Şermola Performans, die wiederum seit dem versuchten Militärputsch 2016 in der Türkei immer stärker eingeschränkt worden ist, erneut zum Leben erwecken und weiterentwickeln. Ich habe in Köln ein Office eröffnet, um die Zusammenarbeit mit dem Theater in Deutschland zu erweitern und die internationale Produktion sowie Anzahl der Aufführungen zu steigern. Selbstverständlich ist Şermola durch die Anwesenheit von Hicran etablierter geworden. Den ganzen Zeitraum hat sie geführt. Zuerst hat sie bei einer fringe ensemble & Şermola Performans-Kooperation, also bei dem Stück “Anziehungskräfte“ (Erdkêşî), das ich geschrieben und bei dem Frank Regie geführt hat, mitgespielt. Danach haben wir beim kurdisch-deutschen Theater-Netzwerk Nexus zusammengearbeitet. Darauffolgend hat sie bei meinem selbst geschriebenen und Regie geführten Stück „Acht” die Dramaturgie übernommen sowie beim Theaterstück „Unvollkommen“ und „Min’s Monolog” mitgespielt. Die Zusammenarbeit mit ihr war keine durchdachte Entscheidung, sondern hat sich eher organisch entwickelt. Aus unserer Perspektive betrachtet sind das sehr tolle Entwicklungen, da wir in sehr kurzer Zeit ein Theaterstück gespielt, Projektzusammenarbeiten verwirklicht, Fördergelder in Anspruch genommen sowie ein eigenes Team gebildet haben. Aus diesem Grund bewundern wir auch die Hingabe und Wertschätzung Deutschlands gegenüber der Kunst sehr.

Als schwierig erachte ich momentan nur das Hindernis der kurdischen Sprache, da nicht alle Stücke auf Kurdisch gespielt werden können und ich meine eigene Vorstellung eines ästhetischen Theatergebildes nicht ausreichen umsetzen kann sowie in den Medien kaum berichtet wird. Solange sich dies nicht ändert, werden alle unsere Konzeptionen auf lokaler Ebene bleiben. Unser künstlerisches Schaffen wird des Öfteren als Kulturunternehmung begriffen. Ganz im Gegenteil sollte es aber sein, denn wir sind keine Kultur- oder Solidaritätsinitiative. Wir sind Theater und kreieren Ästhetik. Mit unserer Ästhetik, theatralischen sowie politischen Perspektive wollen wir in der kommenden Zeit mehr Sichtbarkeit schaffen.

Die Wichtigkeit von Diversity findet so langsam auch beim Theater Resonanz. Wie beurteilst du als Theaterspielerin diesen Wandel? Wie war das deutsche Theater damals und wie ist es heute?

Hicran: Es fühlt sich gut an, zu sehen, dass sich langsam etwas ändert. Die Betonung liegt auf langsam, weil es echt lange gedauert hat. Ich finde es sehr gut und wichtig, dass man endlich darüber offen redet, weil auch wir Künstler*innen die Bühne bekommen und über unsere Rassismuserfahrungen in Deutschland sprechen und diskutieren können. Es muss sich aber noch viel ändern, da in den deutschen Staatstheatern die Ensembles überwiegend immer noch weiß sind. Das Gleiche gilt auch für das Filmangebot im deutschen Fernsehen. In Leitungspositionen sind Attribute wie weiß und männlich nach wie vor dominant. Es sind dort weiterhin zu wenige Frauen vertreten, dementsprechend ist es kaum divers in den Kategorien Gender und Farbe. Für mich war das auch ein wichtiger Grund, warum ich nach der Schauspielausbildung 2009 nicht in Deutschland bleiben wollte und nach Istanbul gezogen bin. Damals dachte ich mir auch, dass ich sehr wahrscheinlich in keinem Ensemble eines Staatstheaters angenommen werde und auf Filmrollen als Putzfrau, Flüchtling oder andere sehr einseitig skizierten Rollen, die stets dazu dienen, im deutschen Fernsehen den Stereotypen der Fremden oder des Ausländers aufrechtzuerhalten, zurückgreifen muss. Natürlich sah die Welt in Istanbul nicht besser aus. In Deutschland bin ich vor dem Identitätsproblem “mit Migrationshintergrund“ (Ich konnte das Wort auch irgendwann nicht mehr hören) geflohen und in der Türkei mit einem anderen Identitätskonflikt, der ebenfalls durch Rassismus geprägt war, konfrontiert worden. Ich dachte mir, dort werde ich nicht die dunkle mit den Locken sein, die einen komischen Namen hat, den man nicht aussprechen kann. Es ist sowieso ein schwieriger Beruf und wenn man dann direkt ausselektiert wird, weil man dunkel ist oder einen „fremden“ Namen hat, dann weiß man sehr lange nicht, was man tun kann oder wie man das ändern soll. Man steht in einem ständigen Konflikt mit sich und dem Markt bzw. dem System. Das ist struktureller Rassismus, der verändert werden muss, damit wir alle freier leben und denken können. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und kannte bis zu einem gewissen Alter keinen anderen Ort und keine andere Realität. Deutschland war und ist der Ort, an dem sich meine Persönlichkeit entwickelt hat.

Aber wenn dir dann in diesem Land immer wieder suggeriert wird, dass du fremd bist, fühlt man sich irgendwann auch so, wenngleich das auch nicht stimmen mag. Jeder Tag, an dem ich diesem Beruf nachgehe, merke ich, wie wichtig Narration ist und wie mächtig sie sein kann. Genauso kann es aber gefährlich werden, wenn immer nur dieselben Menschen wiederholt dieselbe Geschichte erzählen. Wenn es keinen Raum gibt für andere Erzählungen und andere Menschen, die Geschichten erzählen, wird diese Illusion schnell zur Wahrheit, denn irgendwann fängt man an zu glauben, was man ständig hört und sieht.

© Debora Brune

Da gibt es eine Anekdote aus meiner Kindheit: In der dritten Klasse waren wir dabei, mit unserer Klassenlehrerin ein Theaterstück vorzubereiten. Schneewittchen und die sieben Zwerge sollten wir für ein Schulfest aufführen und unsere Klassenlehrerin verteilte die Rollen. Sie fragte: „Wer von euch möchte Schneewittchen spielen?“. Ich hob sofort meine Hand und rief: „Ich“. Da ich die Erste war, gab sie mir die Rolle. Ich war sehr glücklich und aufgeregt, doch dann riefen ein paar blondhaarige Mädchen, die ebenfalls Schneewittchen spielen wollten, dass Angela die Rolle spielen möchte, da doch alle Prinzessinnen blond seien! Die Lehrerin überlegte kurz, entschied sich um und gab die Rolle der blonden Angela. Ich konnte es kaum glauben und war nicht in der Lage etwas dagegen zu sagen. Doch dann rief ein Junge aus unserer Gruppe, dass Schneewittchen doch schwarze Haare hätte! Ich dachte nur „Stimmt!“ – aber es war zu spät. So habe ich nichts sagen können, weil es wahrscheinlich auch nicht viel gebracht hätte, denn in dem Moment als der Einwand von den blonden Mädels kam, dachte ich selber kurz – „Ja, Prinzessinnen sind eigentlich immer blond!“. Und genau das meine ich damit – wie wichtig es doch ist, wie etwas erzählt wird und von wem.

Ich will jede Rolle spielen können und möchte nicht auf meinen Migrationshintergrund beschränkt werden. Ironischerweise bekomme ich dennoch häufiger Rollenangebote, bei dem ein „Migrationshintergrund“ verlangt wird.

Ich möchte auch nicht verfälschte Stereotype reproduzieren, aber natürlich kommt es vor, dass man sich trotzdem in diesen Rollen wiederfindet, weil man arbeiten will und überleben muss. Selbstverständlich gibt es auch positive Beispiele im Theater- und Filmbereich, aber das sind immer noch wenige Ausnahmen. Ich bin davon überzeugt, dass es trotzdem andere Wege gibt, auch wenn sie manchmal schwierig zu finden sind. Eine Veränderung findet nur gemeinsam statt, weswegen wir auch diese festgefahrenen und zerstörerischen Strukturen benennen und verändern müssen – sonst werden wir als Gesellschaft immer wieder dasselbe Leid erfahren.

Was steckt hinter dem #DatingWithTheatre-Projekt und was beabsichtigt ihr damit?

Mit dem Projekt #DatingWithTheatre werden wir das Stück Unvollkommen in zehn verschiedenen Städten Deutschlands aufführen. Dabei suchen wir gezielt alternative Spielorte wie Cafés, Bars, Galerien oder ähnliche kulturelle Räume aus. Es geht bei dem Projekt auch um folgende Fragen: Was ist Theater? Wo kann es stattfinden? Wer schaut sich Theaterstücke an? Dieses Projekt möchte sich dem Theater auf verschieden Ebenen nähern und dabei hinterfragen, was es ist und was es alles noch sein könnte. Wir hinterfragen das Theater auf philosophischer, ästhetischer und vor allem auf politischer Ebene. Wir hatten uns auch oft und immer wieder mit den Fragen beschäftigt – wer kann auf welchen Bühnen spielen, was wird dort erzählt und wer sieht sich das an? Wir wollten deshalb auch bewusst alternative Räume für Aufführungen wählen, weil es sonst oft mit vielen Hindernissen, zu viel Bürokratie oder sogar bewusste Ausgrenzung zu tun hat, wenn man auf etablierten Bühnen spielen möchte. Dabei stellt man sich auch die Frage, ob man denn überhaupt dort spielen muss. Schließlich sind in kleineren Städten die staatlichen Bühnen sowie ihr Publikum immer noch sehr konservativ. Warum werden immer wieder dieselben Geschichten von denselben Personen erzählt? Wir hatten letztes Jahr Unvollkommen im Kulturbunker Köln gespielt, welches wir für das Café konzipierten. Einige Zuschauer:innen waren überrascht, als sie hörten, dass das Stück im Café gespielt werden sollte. Diese Überraschung war aber auch mit einem Vorurteil verbunden, weil man nach dem Stück sehen und hören konnte, wie unerwartet positiv überrascht sie von dem Stück waren. Es ist interessant zu sehen, mit welchen Erwartungen Menschen zu einer Performance kommen. Dabei spielt der Ort auch eine sehr wichtige Rolle. Wir wollten mit diesen vorurteilsbehafteten Erwartungen spielen. Außerdem ist da noch der andere wichtige Aspekt des Stückes – nämlich der Inhalt. Es wird eine Geschichte erzählt von den „Anderen“, die vor allem auf deutschen Bühnen sonst wenig zu Wort kommen, gehört und gesehen werden. Wir möchten mit #DatingWithTheatre auch Menschen erreichen, die eher nicht ins Theater gehen und sie dort treffen, wo sie es am Wenigsten erwarten würden. Letztes Jahr hatten wir auch Publikumsgespräche nach der Unvollkommen-Aufführung und es gab viele Zuschauer*innen, die berührt waren, weil es eine Geschichte war, die von ihnen erzählte.

© Mehmet Eren Bozbaş

Welches Theaterstück ist im Kontext des vorhin beschriebenen Projekts geplant? Gibt es trotz andauernder Pandemie schon konkrete Vorstellungstermine?

Hicran: Wie bereits erwähnt werden wir mit dem Projekt #DatingWithTheater das Stück Unvollkommen in zehn verschiedenen Städten Deutschlands spielen. Davon werden allein acht Aufführungen in NRW und die restlichen in Berlin sowie Hamburg gezeigt. In dem Stück geht es um eine alevitisch-kurdische Frau namens Semah. Einst hatte sie den Wunsch, Tänzerin zu werden. Doch dann wurde sie Kriegsreporterin und wird wegen ihrer kritischen Berichterstattungen inhaftiert. Die anhaltenden Morddrohungen nach ihrer Entlassung zwingen sie schließlich, das Land auf illegalem Weg zu verlassen. In einem neuen Land ist sie eine Fremde, einsam und sprachlos. Um ihrer Einsamkeit zu entkommen, erfindet Semah eine neue Identität und nennt sie Rosa. Als sie eines Abends einem Mann aus ihrer Vergangenheit wieder begegnet, holt Semahs Vergangenheit schließlich auch Rosa ein. So ist das Stück eine Geschichte über Identität und die dadurch erfahrene Einsamkeit.
Die Tour soll Ende Juli/Anfang August im Kulturbunker Köln beginnen. Alle anderen Termine sind noch in Verhandlung, da wir wegen des Lockdowns nicht wirklich konkret planen können. Zumindest kann man aber alle weiteren Termine und Spielorte auf der Seite von Şermola Performans nachlesen.

Das Theaterstück “Disko 5 No’lu” ist eine Anlehnung an den N°5 Gefängnisaufstand in Diyarbakır und wird seit 2011 sowohl in Deutschland als auch in weiteren Orten gespielt und hat mehrere Auszeichnungen gewonnen. Ich denke, dass ihr euch gerade mit diesem kurdischsprachigen Stück und seinem kontroversen Inhalt sehr viel Ärger ins Haus geholt habt. Welchen Reaktionen und Situationen seid ihr damit begegnet?

Mirza: Wir haben insgesamt ungefähr 230 Aufführungen gezeigt, von denen die Meisten in Istanbul waren. Dort haben wir keine schlechten Begegnungen gehabt, da wir ausschließlich auf unserer eigenen Bühne gespielt haben. Eine eigene Theaterbühne zu haben, ist sehr wichtig. Schwierigkeiten haben wir aber dennoch, da es in der Türkei besonders hart ist, eine etablierte Bühne aufrechtzuerhalten. So mussten wir 2016 unsere Bühne, die wir 2010 aufgebaut hatten, schließen. Darauffolgend kam es ja zu einem versuchten Militärputsch, sodass es für uns nicht einfach war, eine andere Bühne zu finden. Zuvor war es auch schon relativ schwierig, auf Staatsbühnen Fuß zu fassen, da man gerade in Kurdistan kurdischsprachige Stücke spielen wollte und die Polizei dann immer sofort an der Tür stand. Sie kommen dann rein, filmen alles als Beweismaterial und durchsuchen mit ihren Wachhunden sogar hinter der Bühne die Kulissen. Mich überrascht es jedoch, dass während der Tournee für das Stück “Disko 5 No’lu” solche Vorfälle ausblieben. Nur einmal mussten wir eine Aufführung absagen. In Bursa/Görükle wollten wir zwei Aufführungen zeigen. Eins der Stücke “Dil Kuşu” sollte auf Türkisch und “Disko 5 No’lu” auf Kurdisch gespielt werden. Eines nachts wurde der Glaskasten, in dem die Werbeplakate hingen, kaputtgetreten und nur das Plakat vom kurdischen Stück zerrissen. Die beiden Stücke sollten in einem neu eröffneten Theater stattfinden. Zwar war Görükle für seine sehr konservativen und nationalistischen Bürger*innen bekannt, aber gleichzeitig hatte die Ortschaft auch sehr viele junge Menschen und Student*innen, die sich besonders für Kunst und Theater engagierten. Dementsprechend hatten wir kaum etwas zu befürchten. Aber dieser Vorfall hat uns verunsichert und auch zum Schutze der Inhaber:innen der neuen Kunsthalle haben wir im Einverständnis aller Beteiligten entschieden, die Aufführung abzusagen.

© Debora Brune

2016 wurde eure Bühne in Istanbul aus wirtschaftlichen und politischen Gründen geschlossen. Kannst du uns mehr über diese Phase berichten?

Mirza: Es war schon zuvor sehr schwierig, das Bühnenangebot aufrechtzuerhalten, da wir uns nur durch Kasseneinnahmen und private Spenden über Wasser hielten. Zudem ist es kein Geheimnis, dass diese Branche unheimlich viel Geld schluckt. Wenn man keine:n mächtige:n Unterstützer:in parat hat, ist deine Lebensdauer beim Theater sehr kurz. Dementsprechend konnten wir auch nur sechs Jahre überleben. Es kommt schon vor, dass der Staat und kommunale Akteur:innen ein ordentliches Budget für Kunst und Kultur zur Verfügung stellen, das natürlich für Entspannung sorgt. Leider galt das nicht für uns, weil uns kaum ausreichende Mittel zur Verfügung standen und wir davon nicht profitieren konnten. Ein großes Hindernis war natürlich auch der Fakt, dass wir ein kurdisches Theater sind. Selbst bei kurdischen Stadtverwaltungen konnten wir keine finanzielle Unterstützung erhalten. Vor knapp sechs Jahren wollten wir bei einem kurdischen Theaterfestival über den eigentlichen Förderbetrag hinaus mehr Zuschuss bitten, wurden jedoch als gierig beschimpft. Man empfand die von uns geforderten Beträge als sehr hoch. Dabei ist es in der Tat so, dass wir kaum die Miete des Theaters bezahlen – geschweige denn uns selbst Unterhalt auszahlen konnten. Die mickrigen Einnahmen reichten von vorne bis hinten nicht, wir haben sogar deshalb ein Spendenkonzert “Şarkılar Tiyatro İçin” (dt. “Lieder für das Theater”) gegeben. Es kamen viele bekannte Theaterkünstler:innen, die zusammen mit uns auf der Bühne Lieder gesungen haben. Zwar kam etwas Geld zusammen, aber auf Dauer reichte die Summe einfach nicht aus. So mussten wir unsere Bühne einem anderen Theaterprojekt überlassen, um unsere Schulden begleichen zu können. Es hat weder einer gefragt, warum wir unser kurdisches Theater aufgeben, noch hat man Hilfe angeboten – alle verstummten. Stell dir vor, in Istanbul gibt es ein kurdisches Theaterrepertoire, welches nun schließen musste und keinen hat diese Situation gejuckt – wie bitter und enttäuschend zugleich. Außerdem startete zu diesem Zeitpunkt in Beyoğlu eine Stadterneuerung, sodass man von weniger Zuschauerschaft im Theater ausging. Die wirtschaftlich unsichere Lage in der Türkei schreitete weiter voran, eine autokratische Regierungsgesinnung machte sich immer stärker breit. Trotz dessen haben wir innerhalb der sechs Jahre ein kurdisches Theaterrepertoire und eine treue Zuschauerschaft aufgebaut. Diese sind sogar mit den Jahren gestiegen und wir planten unser Konzept weiter auszubauen, indem wir auf größeren Bühnen auftreten wollten. Nachdem wir unsere Bühnenhalle übergeben hatten, haben wir unser erstes Theaterstück “Serencama Qijikan’ı” gezeigt. Obwohl unser Stück beim Istanbuler Theaterfestival zwei Tage hintereinander Premiere hatte, konnten wir es nur noch dreimal aufführen und danach beenden, weil wir für weitere Termine keine freie Bühne mehr finden konnten.

Die große Stadt Istanbul, die für seine unzähligen “demokratischen” Bühnen bekannt ist, konnte ein kurdisches Theaterrepertoire nicht aufrechterhalten.

Nach dem versuchten Militärputsch wurden unsere regierungskritischen Theaterstücke nur noch in den medialen Berichterstattungen zerrissen und auszeichnende Jury-Mitglieder mieden ab sofort unsere Aufführungen. Dies hatte zur Folge, dass wir nun endgültig unsere Bühne schließen mussten und weitere Theaterveranstaltungen auf Eis gelegt wurden.

Spielt ihr noch mit den Gedanken, ein eigenes Theater zu eröffnen? Wie schaut es aktuell aus? Ist dieser Traum sehr nahe oder noch in der Ferne?

Mirza: Zwar hat die Pandemie alle Pläne umgeworfen, aber dennoch haben wir diesen Traum vor Augen. Der Zuzug nach Deutschland hat auch meinen Blickwinkel verändert. Um es metaphorischer auszudrücken – meine seit 2010 vom Türkischsein erblindeten kurdischen Augen, blicken jetzt wieder authentischer. Ich habe immer gedacht, dass ich kein Vertriebener wäre und doch verspürte ich meine Erlebnisse als solcher. Als wir aus Kars, einer Provinz ganz tief im Osten der Türkei, nach Istanbul emigrierten, sprach mein Vater von einer Vertreibung. Dieser Gedanke sollte aus meiner jetzigen Lage heraus genauer betrachtet werden, beispielsweise staatenlos zu sein… Alles fühlt sich momentan wie eine Art Vertreibung an. Auch wenn ich deiner gestellten Frage keine direkte Antwort geben kann, sind dies zumindest meine Eindrücke. Eine Theaterbühne zu eröffnen ist das Gleiche, wie ein eigenes Haus zu bauen. Man könnte es sogar als ein “eigenes Land entwerfen” beschreiben. Ich glaube an die Magie eines Aufbaus und deshalb ist es mir persönlich sehr wichtig, dass man eine genaue Vorstellung davon hat, wie, wo und in welcher Sprache es exakt erfolgen sollte. Vor knapp sechs bis sieben Jahren wollten wir dieses besagte Haus in Diyarbakır aufbauen. Obwohl wir schon den Grundstein dafür gelegt hatten, haben wir uns doch dagegen entschieden, weil wir nicht inmitten zwei politisch verfeindeter Lager unter Beschuss geraten wollten.

Um noch einmal auf das Thema Vertreibung zurückzukommen – in Deutschland ist mir der Gedanke der Dekolonialisierung mehr in den Fokus gerückt. Ich nehme mich selbst und alles um mich herum endlich wieder aus der kurdischen Perspektive wahr, mein Zorn spricht die kurdische Sprache.

Diese Rückwandlung befeuert mein kreatives Schaffen und prägt meine Entscheidungen. Seitdem ich in Deutschland lebe, ist Istanbul für mich eine Art Diaspora geworden. Hier kann ich endlich meinen „türkisierten“ Kopf wie eine Prothese ablegen. In der Türkei habe ich mich wie ein Bürger dritter Klasse gefühlt. In Momenten des aufsteigenden Zorns habe ich immer nur naive und passive Kritik geäußert, weil man mir im Umfeld geraten hatte, ruhig und vernünftig zu bleiben. So habe ich mich zu einem umgänglichen und angepassten Gesellen entwickelt, der sich einfach nicht wehren konnte, obwohl er im Recht war. Gegenüber türkischen Intellektuellen und ihrem elitären Umgang habe ich mich unzulänglich gefühlt und wollte immer so sein wie sie. Irgendwann habe ich sogar angefangen türkische Volkslieder mit Freude zu pfeifen, was ich eigentlich ganz tief im Inneren schmerzlich empfinde. Seitdem ich hier bin, versuche ich diese gelebten Eindrücke zu verarbeiten und löse damit regelrecht eine Lawine aus, welches sogar mein Umfeld spürt. Dadurch kommt meine wahre kurdische Identität zum Vorschein.

Ich bin der Meinung, dass die Sprache deine Identität und dein Gedächtnis ist. Man ist mit seinen Gedanken erst ein freier Mensch, wenn die Sprache der Schlüssel zur Freiheit wird – sagt Ngûgî wa Thiong in seinem Buch “Decolonising The Mind”.

Dementsprechend greifen Herrscher die Sprache so heftig an. Da die kurdische Sprache unterdrückt und verboten wurde, haben wir auch unsere Identität verloren. Ein kurdischsprachiges Theaterstück allein kann das Verlorene nicht komplett zurückbringen. In den letzten sechs Monaten habe ich ausschließlich alles rund ums Theater mit dem Auffrischen meines Kurdisch verbracht. All die Jahre habe ich Theaterproben auf Türkisch gemacht, obwohl das Stück dann auf Kurdisch gespielt wurde. Was für ein Widerspruch! Aktuell unterrichte ich die Theorie des Theaters. Leider habe ich noch nicht mal Unterrichtsmaterial auf Kurdisch parat. Daran wird sich nichts ändern, sofern die Türkei auch nicht zu einem Staat der Kurd:innen wird. Im Alltag verdränge ich die türkische Sprache viel stärker und versuche ausschließlich Kurdisch zu sprechen. Hoffentlich wird dies hier auch mein letztes Interview auf Türkisch sein.

Text: Dilek Kalın & Berivan Kaya
Lektorat: Reyhan Söğüt
Fotos: Mehmet Eren Bozbaş & Debora Brune

 

 

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