“Du isst Schwein? Ist das nicht verboten im Islam? “
“Guck mal, die Berna trinkt doch Alkohol. Sei doch nicht so ein Spaßverderber!“ “Wieso trägst du eigentlich kein Kopftuch? Ist das nicht eine Sünde in eurer Religion?”
Solche und ähnliche Kommentare haben sich viele Deutsche mit türkischem und kurdischem Migrationshintergrund in Deutschland wahrscheinlich öfters anhören müssen. Dieser Beitrag dient dazu einen groben Überblick über beide Glaubensrichtungen zu erfassen und zu informieren. Natürlich kann die individuelle Lebensweise von Sunnit:innen und Alevit:innen nicht verallgemeinert werden. Dieser Beitrag dient nur als allgemeine Informationsquelle.
Sunnit:innen sind die größte vertretende Glaubensgruppe im Islam. Ungefähr 85 Prozent der Muslime bilden die Sunnit:innen.
Sie folgen der prophetischen Sunna und bilden eine Gemeinschaft. “Sunna” ist ein arabischer Ausdruck und bedeutet “Handlungsweise“, „Tradition” und “Brauch”. Der Prophet Muhammed (Friede sei mit ihm) dient ihnen als Vorbild. Für sie repräsentieren die Prophetengefährten (Ṣaḥāba) sowie die ersten drei Generationen von Muslimen den Islam, der von dem Propheten verkündet wurde. Der Koran und überlieferte Hadithe werden als Wissensquellen genutzt. Zusätzlich existieren vier verschiedene Rechtsschulen: Die hanafitische, schafiitische, malikitische und hanbalitische Schule. Diese gehen auf die vier Imame Abu Hanifa, Imam Malik, Imam Asch-Schafi’i und Imam Ahmad zurück. Traditionssunnit:innen sind verpflichtet einer dieser vier Rechtsschulen zu folgen.
Es bestehen jedoch unterschiedliche sunnitische Strömungen, die alle verschiedene Auffassungen vertreten.
Sunnit:innen leben nach den fünf Säulen des Islams
Sunnitische Glaubenslehre:
1. Der Glaube an Gott
2. Der Glaube an die Engel
3. Der Glaube an die geoffenbarten Bücher
4. Der Glaube an die Propheten
5. Der Glaube an das göttliche Gericht
Alevit:innen
Das Alevitentum ist keine homogene Glaubenslehre. Sie ist naturgebunden sowie humanistisch.
Es gibt unterschiedliche Strömungen, weshalb viele verschiedene Gruppierungen unter Alevit:innen existieren (unter anderem Bektashi, Qizilbas, Yaresan, Nusayri/ arabische Alevit:innen). Zur Zeit des osmanischen Reiches entstand der Bektashi-Orden. Sie sind Anhänger des heiligen Ali, der Vetter und Schwiegersohn von dem Propheten Mohammed. Alevit:innen betrachten Ali als Nachfolger Mohammeds. Sie leben nicht nach den fünf Säulen des Islams und nehmen den Koran nicht wörtlich.
Grundprinzip des alevitischen Glaubens: Der Mensch steht im Zentrum.
Gelübde (Ikrar)
“Eline beline diline sahip ol”= Beherrsche deine Hand, Lende und Zunge
„Eline sahip ol“= Meistere deine Hände. (Stiehl nicht, zerstöre und töte nicht. Füge niemandem Gewalt zu.)
„Beline sahip ol“= Meistere deine Lende. (Lende = Synonym für Triebe. Kontrolliere deine (sexuellen) Triebe und begehe keinen Ehebruch. Polygamie ist verboten.)
„Diline sahip ol“= Meistere deine Zunge. (Keine Unwahrheiten und Lügen verbreiten, keinen Rufmord begehen und keinen Schaden durch Gerede hinzufügen)
Wird das Gelübde gebrochen, wird man der Initiation verbannt.
Im Gegensatz zum sunnitischen Islam und Christentum wurde die Glaubenslehre nie schriftlich vereinheitlicht, weswegen das Alevitentum nicht zu den Buchreligionen zählt. Es bestand keine Notwendigkeit für eine solche Vereinheitlichung, da das Alevitentum nie Staatsreligion war.
Gebet
Sunnit:innen besuchen die Moschee. Vor dem Gebet wird eine rituelle Waschung (Wudhu) vollzogen, um die Reinheit herzustellen. Auch ist es wichtig saubere Gebetskleidung zu tragen. Sie verrichten fünf Pflichtgebete am Tag. Das Freitagsgebet ist für Männer verpflichtend in der Moschee zu beten. Ansonsten können alle Gebete an allen sauberen Orten verrichtet werden. Der Gebetsruf und die Gebete selbst werden weltweit in arabischer Sprache durchgeführt.
Alevit:innen versammeln sich in einem Versammlungshaus namens Cemevi. Sie beten nicht in Moscheen und pilgern auch nicht nach Mekka. Sie vollziehen einen rituellen Gebetstanz (Semah) mit musikalischer Begleitung. Dabei drehen sich Männer und Frauen und bewegen sich in Kreisform. Dieser rituelle Tanz symbolisiert das Universum. Das Semah wird in der Regel nur im Cem verrichtet. Welches jedoch nicht unbedingt in einem Cem-Haus verrichtet werden muss, weil im Alevitentum aufgrund der Naturverbundenheit die ganze Welt als Gotteshaus angesehen wird. Sie beten in der Sprache, die sie bevorzugen. Es werden keine besonderen Zeiten zum Beten befolgt.
Fasten
Sunnit:innen: fasten 30 Tage zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang am Ramadan. Wird am Ende mit dem Zuckerfest zelebriert. Das Fasten ist Pflicht und zählt zu den fünf Säulen des Islams.
Alevit:innen: Zu Ehren der zwölf Imame fasten Alevit:innen 12 Tage im Monat Muharrem und feiern es am Ende mit einem Ashure-Fest. Es ist keine Pflicht zu fasten.
Leben nach dem Tod
Sunnit:innen glauben an Himmel und Hölle. Das richtige Leben fängt erst im Jenseits an. Nur der Körper stirbt, die Seele bleibt. Am Tag der Auferstehung wird die Seele Allah begegnen und zur Rechenschaft gezogen werden.
Aufgrund der unterschiedlichen Strömungen der Alevit:innen haben sie verschiedene Vorstellungen von dem, was nach dem Tod passiert. Viele glauben an eine Wiedergeburt nach dem Tod. Einige an Himmel und Hölle. Andere wiederum besitzen keine Vorstellung vom Jenseits.
Text: Betül Kelez & Rojda Comak