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Gesellschaft & Geschichten

Einmal zupfen bitte!

Was passiert hinter den Schaufenstern türkischer Barbiere?

Bist Du schwul, oder was? Solche oder ähnliche Sprüche mussten sich neo-beautybewusste Türken anhören, wenn sie zum Augenbrauenzupfen zu einem türkischen Barbier gingen. Die Aussage „Ayıp (tr. schändlich)!“ gehört nun der Vergangenheit an, wie der Kölner Barbier Cemil berichtet.

Türkischer Barbier und Friseur „Tiraschci“, Köln

Samstagnachmittag. Reges Treiben auf der legendären Kölner Keupstraße. Neben Kebabrestaurants, Brautmodengeschäften und Import-Export-Läden stechen besonders die skurrilen Namen der zahlreichen Männerfriseure ins Auge. Einer davon der TIRASCHCI. Beim Eintreten schlägt einem ein intensiver Geruchscocktail entgegen. Es riecht nach warmem Haar, Seife, Aftershave und ganz viel Testosteron. Die Einrichtung: Ein auf Hochglanz polierter Marmorboden, ein großes Bild mit der Istanbuler Skyline, Ventilatoren über jedem Frisiertisch, alles in schwarz-weiß, männlich, dominant. Die Spiegel erinnern an Discotoilettenspiegel. Ein bisschen Glitzer und Glamour darf also schon sein. Der Laden ist voll, die Atmosphäre dynamisch, geschäftig und trotzdem entspannt. Überall wird gewaschen, geschnippelt, geföhnt, massiert, gewachst und gezupft.

traşçı – Der, der rasiert

Friseurmeister Cemil, 40, bärtig, tätowiert, kommt ursprünglich aus der türkischen Hauptstadt Ankara und lebt seit 2001 in Deutschland. Seit vier Jahren arbeitet er bei TIRASCHCI. “Der Laden hieß anfangs nur Friseur Mustafa, nach dem Namen des Inhabers benannt“, so Cemil. Später kam dann der Name TIRASCHCI (im türkischen korrekt traşçı – Anm. d. Red.) hinzu. Das bedeutet der Rasierer bzw. der der rasiert. Als deutsch-türkischer Gag wurde es mit dem deutschen SCH geschrieben, was es im türkischen nicht gibt.

Cemil stylt einem Kunden die Haare. Neben dem klassischen Haareschneiden und der Pflege des Bartes und Moustaches wird auch die Haarentfernung wahlweise mit Faden, Wachs und Feuer angeboten. Außerdem gibt es verschiedene Gesichtsmasken, wie Feuchtigkeits- oder Schlammmasken. Die schwarze Peel-Off-Maske gegen Mitesser ist der Renner zurzeit. Von „Ayıp!“ also keine Spur mehr. Die türkischen Männer sind, was Beautybehandlungen angeht, in den letzten Jahren meilenweit über sich hinausgewachsen. Mittlerweile verbringen sie viel mehr Zeit bei ihrem Friseur und erwarten einen hohen Wellness-Faktor. Viele genießen mit geschlossenen Augen eine ausgedehnte Kopf- und Nackenmassage. Die gibt es gratis zur Rundumbehandlung dazu.

Türkischer Barbier und Friseur „Tiraschci“, Köln

Die Haarentfernung mit der Fadenmethode war eines der ersten Dinge, die Cemil während seiner Ausbildung zum Barbier gelernt hat. Diese hatte ihn schon als Kind sehr fasziniert. Er erinnert sich daran, wie seine Mutter regelmäßig diese Methode bei sich anwandte. Seine Mutter war es auch, die ihn zu seinem Beruf animierte. Mehrere Jahre arbeitete er als Geselle und schloss seine Ausbildung mit einer Meisterprüfung ab. Das Ausüben seines Berufes in Deutschland läuft problemlos, allerdings kann er mit seinem Meistertitel aus der Türkei hier kein eigenes Geschäft eröffnen. Dazu müsste er erneut eine Meisterprüfung ablegen. Denn anders als in Deutschland, kann man sich in der Türkei nur auf Männerhaarschnitte und -behandlungen spezialisieren, so wie Cemil es getan hat.

In letzter Zeit kursieren auf Instagram und YouTube Videos, wo Männern die Nasenhaare mit Wachs entfernt werden. Cemil warnt vor dieser schmerzhaften Methode: „Die Entfernung der Nasenhaare mit Wachs ist absolut nicht zu empfehlen, weil dadurch empfindliche Blutgefäße in der Nase verletzt werden. Deshalb bieten wir diese Behandlung bei uns nicht an. Bei Nasenhaaren benutzen wir immer einen elektrischen Rasierer.“

Generell werden immer die gleichen Behandlungen gebucht: Haare schneiden, glattrasieren oder Bart und Schnurrbart stutzen und stylen. Seltener kommt es vor, dass jemand eine neue Haarfarbe ausprobieren will.

Ein italienischer Kunde, der sehr mutig war, wollte dass ich ihm ein Herz in seine Brusthaare rasiere.

Ungewöhnliche Kundenwünsche umzusetzen, macht ihm besonderen Spaß.

Für den Fall, dass ein Kunde unzufrieden ist, reagieren Cemil und seine Kollegen sehr flexibel und gehen auf den Kunden ein. Im besten Fall können sie ihn direkt entschädigen, indem sie z.B. den Haarschnitt korrigieren. Ist das nicht möglich, verbuchen sie die Behandlung als Reklamation und der Kunde braucht dann nichts zu zahlen.

Türkischer Barbier und Friseur „Tiraschci“, Köln

Meistens redet Mann über Probleme auf der Arbeit oder in der Familie

Stammkunden sind meistens türkische Männer. Doch in der letzten Zeit verzeichnet Cemil einen Zuwachs an deutschen Kunden bei TIRASCHCI. Sie finden die Behandlungen beim Türken umfangreicher und günstiger als bei deutschen Friseuren. Durch die familiäre Atmosphäre kommen sogar Frauen rein, um sich die Augenbrauen zupfen zu lassen. „Die kommen aber meistens mit Ihren Partnern oder gleich mit der ganzen Familie”, sagt Cemil.

Es fällt auf, dass fast alle sich im Raum angeregt unterhalten. Friseure sind ja bekanntlich Ersatzpsychologen und das persönliche Gespräch mit den Kunden gehört zum Service. Man erwartet automatisch hitzige politische Debatten und skandalösen Klatsch und Tratsch. Aber weit gefehlt. Meistens redet Mann über Probleme auf der Arbeit oder in der Familie. Da die Kundschaft größtenteils der jüngeren Generation angehört, interessiert sie sich noch nicht so sehr für Politik.

“Wir möchten auch nicht, dass hier über Politik geredet wird. Das würde die entspannte Atmosphäre zerstören. Wir wollen, dass unsere Kunden sich bei uns rundum wohlfühlen und entspannen können. Deswegen wechseln wir lieber das Thema und erzählen ein paar Witze”, sagt Cemil und lächelt verschmitzt.

Türkischer Barbier und Friseur „Tiraschci“, Köln

Über noch etwas wird viel geredet: Die Liebe. Wie überwinde ich meinen Liebeskummer? Wie beeindrucke ich meine Traumfrau? Womit kann ich meine Freundin überraschen? Sowieso und überhaupt wird alles nur für die Frauen gemacht. “Viele unserer Kunden kommen zu uns am Wochenende, um sich für ihre Dates und fürs Feiern stylen zu lassen. Sie möchten für ihre Partnerinnen gut aussehen, oder planen eine neue Eroberung”, sagt Cemil mit einem Augenzwinkern. Dann wendet er sich wieder seinem Kunden zu und gibt seinem Styling den letzten Schliff.

 

Credits

Text und Fotos: Vildan Çetin & Erdal Erez

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