Seit 2008 fasziniert und ekelt uns dieser 1.80 m große, 100 kg schwere und stark behaarte Mann an, der durch seine Monobraue, sein orangegelbes, breitgestreiftes Hemd und seine spitzen Lackschuhe zur Kultfigur des zeitgenössischen türkischen Filmtheaters geworden ist.
Ein Macho in der Metropole
Durch die erfolgreiche Filmkomödie “Recep Ivedik“ haben viele ZuschauerInnen im Kino die Lachmuskeln trainiert. Die gleichnamige Hauptfigur wird vom türkischen Komiker Şahan Gökbakar, der gleichzeitig auch Produzent des Films ist, verkörpert. Die Filme handeln vom Leben und den lustigen Abenteuern des fiktiven Charakters, der in Istanbul lebt und alle Macken eines hinterwäldlerischen Paschas darstellt – kurz gesagt ein fluchender und aggressiver Macho in der Metropole.
Die Filmreihe hat sowohl in der Türkei als auch im Ausland an den Kinokassen Rekordergebnisse eingespielt. Dadurch ist Recep Ivedik zu einem kommerziell erfolgreichen, popkulturellen Phänomen geworden, weshalb weitere Fortsetzungen produziert wurden. Zuletzt lief 2019 Recep Ivedik Teil 6 in den Lichtspielhäusern an.
Nun fragt man sich, warum nahezu alle Türk*innen Recep Ivedik lieben und ihn sympathisch finden. Über seine derben und unter die Gürtellinie gehenden Sprüche und Witze lacht nicht nur die ganze Türkei, auch in internationalen Kinosälen schmeißen sich die Besucher*innen lachend vom Sessel.
Er verkörpert einen ganz bestimmten Stereotypen, der das anatolische sowie tief im Osten verankerte Sozialverhalten wiederspiegelt. Sein Aussehen, seine Kleidung, seine Alltagssprache und seine zwischenmenschlichen Beziehungen scheinen uns so sehr vertraut zu sein.
Doch woher rührt diese breitflächige gesellschaftliche Akzeptanz von Recep Ivedik sowohl in der Türkei als auch der im Ausland lebenden Türk*innen?
Was fällt uns ein, wenn wir “Kıro“ oder “Maganda“ hören?
Bei einer Straßenbefragung in der Türkei wurde auf diese Frage mehrheitlich mit Recep Ivedik geantwortet. In einer weiteren Frage wurde das Wort “Kıro“ durch “Maganda“ ersetzt und auch hier gaben mehr als die Hälfte der Befragten Recep Ivedik an. Dabei sollte man zunächst eine semantische Unterscheidung beider Begriffe machen. Unter “Kıro“ versteht man den einfachen, aus dem tiefsten Osten der Türkei stammenden Mitbürger, der im Zuge der Landflucht in die türkischen Metropolstädte wie Istanbul, Ankara oder auch Izmir zugezogen ist und sich u.a. durch seine Kleidung, seinen Akzent und sein Verhalten kenntlich macht.
Der Begriff “Maganda“ bezeichnet jene Person, die zwar die gleichen Merkmale wie ein “Kıro“ hat, aber sich durch sein pöbelhaftes, ungebildetes Sozialverhalten und seinem ungehobelten zwischenmenschlichen Umgang besonders kenntlich macht. Übrigens stammt die maganda-Karikatur aus türkischen Satiremagazinen der 1980er Jahre. Interessanterweise verkörpert Recep Ivedik in seinen Filmen genau die beiden Stereotype, die jedem Großstädter in der Türkei vertraut sind. Folglich ist er die fleischgewordene Karikatur eines Menschenschlags, den man in der Türkei “Maganda“ oder “Kıro“ bezeichnet.
Allerdings haben diese Zuschreibungen oftmals eine negative Konnotation, da sie Landflüchtlinge bezeichnen, die sich nicht an das moderne Leben in der Metropole anpassen konnten – ein Typ, der weder Landmensch, Provinzler noch richtiger Großstädter ist. Er ist frustriert über seine ärmlichen Verhältnisse und die Nichtakzeptanz durch die städtischen Eliten sowie der bürgerlichen Mittelschicht („weiße Türken“). Genau dies alles verkörpert Recep Ivedik und rebelliert gegen die gesellschaftliche Ausgrenzung, indem er eigene Verhaltensregeln aufstellt und diese dann den Leuten aufzwingt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass er grob, chauvinistisch, homophob und menschenverachtend ist.
Was die Migrationsgeschichte mit Recep Ivedik zu tun hat
Die Parallelen zur Lebensgeschichte des fiktiven Charakters Recep Ivedik und seiner großen Beliebtheit bei den Türk*innen in Deutschland werden durch einen geschichtlichen Exkurs verdeutlicht. So begann die Landflucht in der Türkei in den 1950er Jahren, als die Industrialisierung vorangetrieben wurde. Jedoch vollzog sich dieser Wandel aber nur in den Metropolen und deren Umland. In der Folge wurden die ländlichen Regionen vernachlässigt und im Prinzip wird dort noch bis heute nach feudalen Prinzipien gelebt.
Von den Menschen, die in die Großstädte abwanderten, gingen auch etliche weiter nach Deutschland. Dies führte zu einer Ghettoisierung und es entstanden die sog. gecekondular (dt.: über Nacht gebautes Haus – ohne behördliche Genehmigung). Man könnte sie als die türkischen Favelas bzw. Banlieues bezeichnen, Gebiete, die nicht zur städtischen Infrastruktur dazugehören.
In Deutschland stammen die meisten Mitbürger*innen der türkischen Gastarbeitergeneration aus Ost-, Südost- und Zentralanatolien. Dementsprechend ist es vielleicht nicht ganz verwunderlich, dass viele Türk*innen in Deutschland mit der Figur Recep Ivedik sympathisieren, da sie selbst in Deutschland wegen ihrer Kleidung, Sprache und ihrem Sozialverhalten gesellschaftliche Ausgrenzung erlebten.
Bis heute noch bestehende soziale Benachteiligung erfahren, beispielsweise bei der Wohnungssuche oder auch bei Bewerbungen mit ausländischem Namen. Natürlich soll dieser Vergleich von Gemeinsamkeiten mit der Figur Recep Ivedik nicht bedeuten, dass die Gastarbeiter-Vorfahren genauso grob, pöbelhaft und homophob waren.
Kultstar oder einfach nur anstößig?
Auch wenn die Kunstfigur Recep Ivedik große Popularität genießt, gibt es auch einige kritische Stimmen, die seine Rolle und sein Verhalten anstößig finden. Zum einen ist er eine Verniedlichung bzw. eine liebenswertere Variante der Leute, die als “Maganda“ karikiert werden. Verdeutlicht wird dies in Teil 5 des Filmes, in dem Recep einige LKW-Fahrer zusammentrommelt, um ein Team für einen internationalen Sportwettbewerb im Ausland zusammenzustellen. Grundsätzlich werden diese LKW-Fahrer für Leute gehalten, die nach Ärger aussehen und der türkischen Mittelschicht Angst machen.
So erscheint es durchaus problematisch, wenn der Film folgendes Bild entwirft: Alle Leute, die behaart sind, die durch ihre Klamotten ein gefährliches und bösartiges Image pflegen, sind so und verhalten sich auch dementsprechend ungeniert. So setzt Ivedik beispielsweise seinen Willen mit der Androhung von Gewalt durch, indem er Backpfeifen und Kopfnüsse verteilt. Zwar kommen andere Formen von Gewalt in den Filmen nicht vor, da alle Gewalt immer nur von „diesen nicht integrierten Halbaffen“ (Kritikeräußerung) ausgeht, jedoch führt diese filmische Darstellung zu einer Stigmatisierung der oben genannten Personengruppen.
Zum anderen dominiert Recep Ivedik in jeder Szene das Geschehen. Dementsprechend findet eine Heroisierung des Ivedik-Typen statt, die die Zuschauer*innen und Fans prägt. So ahmen viele Kinder und Jugendliche sein obszönes Verhalten und seine vulgäre Sprache nach. Der Outsider Recep Ivedik symbolisiert gleichzeitig eine ambivalente Figur. Deswegen schämt er sich nicht, macht einfach alles so, wie es ihm passt und kommt damit noch erfolgreich an sein Ziel. Viele Kritiker bezeichnen die Recep Ivedik-Filme als niveaulos und sagen, dass er die Jugend zu Rücksichtslosigkeit, Gewalt und schlechten Manieren animiert, da er Rülpsen, Furzen und Abführen, welches man aus Trashfilmen kennt, in der Öffentlichkeit normalisiert.
Geschmacklosigkeit als eine Form des Widerstands?
Gleichzeitig steckt in der Figur Recep Ivedik ein anarchisches Potenzial, das gegen seinen sozialen und gesellschaftlichen Ausschluss aufbegehrt. Demonstriert wird dies im ersten Film, als Recep Ivedik einen Geldbeutel findet und diesen seinem rechtmäßigen Besitzer wieder zurückbringt. Seine aufrichtige Hilfsbereitschaft wird belohnt und er wird in ein Ressorthotel in Antalya eingeladen, wo er unter den „weißen Türken“ als einziger „schwarzer Türke“ lustige Abenteuer erlebt.
Für ihn ist klar, dass dieser Ort nicht seine Welt ist, da er Leuten begegnet, die Opportunisten und Schleimer sind. Seine Verachtung für solche Leute bringt unser Held mit verbalen Attacken und obszönen Sprüchen zum Ausdruck.
Im Grunde genommen sind es die Leute, über die sich Recep Ivedik lustig macht und denen er gleichzeitig zum Heldentum verhilft. Sie verherrlichen ihn. Viele Fans von Recep Ivedik, auch hier in Deutschland, sind größtenteils Leute, die den ganzen Tag türkisches Fernsehen schauen, das meist mit dem inhaltlichen Unterhaltungsniveau von RTL und RTL2 gleichzusetzen ist. Die Zuschauer*innen lachen über platte, diskriminierende Witze und gehen glücklich aus dem Kino nach Hause. Genau hierfür liefert der Komiker und Produzent Şahan Gökbakar mit Recep Ivedik das passende Format.
Zudem wird in Teil 5 des Films „Türkiye“ gesungen. Erschreckend, dass der Film diesmal einen nationalistischen Unterton besitzt, denn den gab es vorher nicht. So zeigt sich der Nationalismus auch in der Konkurrenz mit einer griechischen Mannschaft. Leider reduziert Recep Ivedik hier oft auf „Griechen gegen Türken“ und „Cacık gegen Tsatsiki“. Dadurch wird vieles auf den einen plumpen türkischen Nationalismus beschränkt.
Text: Dilek Kalın
Illustration: Yasmin Anılgan