Lieder wie Aramsamsam und Drei Chinesen mit dem Kontrabass sangen wir damals im Grundschulmusikunterricht alle begeistert mit. Nach der Singsession gab es vielleicht noch eine Lesestunde mit Büchern wie Pippi Langstrumpf. Die Eindrücke und Wörter aus den Liedern und Büchern nahmen wir mit und integrierten diese in unseren Sprachgebrauch. Der Inhalt formte unser Bewusstsein und somit auch unsere Wahrnehmung der Welt.
„Was soll schon dabei sein, wenn im uralten Lindgren-Buch das N*Wort verwendet wird. Das ist doch kein Rassismus!“ Doch, genau dort beginnt Rassismus, denn genau so werden Begriffe verharmlost, die unter anderem konstruiert wurden, um Menschen aus Afrika gefangen zu nehmen und nach Amerika zu verschleppen. Die Verwendung von rassistischen Begriffen zeigt, dass nicht alle Kinder das Recht haben, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, die frei von Diskriminierung ist. Als Kinder fehlte uns die Reflektionsfähigkeit dafür, dass der Inhalt von einigen der Kinderlieder und Kinderbücher rassistische Äußerungen enthält, Stereotype produziert und dadurch Stigma und Klischees aufrecht erhält.
Das stabilisiert eine Gesellschaft, in der keine gerechte Chancengleichheit existiert und Minderheiten verstärkt diskriminiert werden. Als Leser:in und Zuhörer:in werden Menschen ausgeschlossen, indem in den Texten zwischen einem „wir“ und „die“ unterschieden wird. So wächst eine Generation auf, die bewusst oder unbewusst rassistisch ist. Die Autor:innen der Lieder und Bücher waren vielleicht nicht absichtlich Rassist:innen, nutzten jedoch unsensible und rassistische Äußerungen, die bis heute teilweise nicht aus den Kinderbuchklassikern gestrichen oder in eine inklusive und diverse Sprache geändert wurden.
Und was ist, wenn Du die Person bist, die in den Büchern „anders“ ist?
Identitätsbildung geschieht unter anderem anhand von Büchern. Wenn Kinder sehen, dass die in den Büchern abgebildeten Lehrer:innen, Ärzt:innen oder Bäuer:innen durchgehend als weiß abgebildet werden, verinnerlichen sie, dass diese Berufsgruppen für sie ausgeschlossen sind, wenn sie selbst nicht weiß sind. Auch andere diskriminierende Normen und Gedankenmuster werden auf diese Weise aufrecht erhalten, zum Beispiel geschlechtsspezifische Bilder oder bestimmte Körpervorstellungen Die soziale Botschaft dahinter: „Diese Berufe sind nicht für mich gemacht.“ Dadurch werden Rollen gebildet und Machtverhältnisse repräsentiert.
„Aber das ist doch gar kein Rassismus“ – der Blick für rassistische Inhalte ist anders, wenn Du betroffen bist.
Es geht dabei also um viel mehr als die Umänderung des Wortes N*Wortes wie in Lindgrens Buch Pippi Langstrumpf im Taka-Tuka-Land. Es geht darum, dass Stigmata verinnerlicht und reproduziert werden, wenn bestimmte Äußerungen und Rollenbilder nicht verändert werden. Schon immer war das N*Wort eine Beleidigung. Hinter ihm steht eine lange Geschichte der Abwertung.
Wir haben Euch gefragt, welche rassistischen Kinderbücher und Kinderlieder ihr aus Eurer Kindheit kennt. Heute können wir diese Lieder und Bücher kritisch hinterfragen und beleuchten. Lasst uns gemeinsam die Klassiker aus einer anderen Perspektive betrachten und die kommende Generation dafür sensibilisieren, dass es keine Besonderheit ist, dass auch „Indianer und Chinesen lesen lernen“ (Liedzeile aus: Alle Kinder lernen lesen), sondern dass es einfach eine rassistische Äußerung ist, die den Anschein erweckt, dass Bildung von und nur für eine weiße Gesellschaft normal ist.
Kinderbücher:
Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer von Michael Ende, 1945.
Ein sehr ambivalentes Buch. Ein afrikanisches Kind wird in einer Kiste an eine Insel gespült. Die Inselbewohner:innen sind überrascht und rufen: „Ein Baby! Ein schwarzes Baby! Das dürfte vermutlich ein N* sein.“ Das Buch wurde kurz nach dem Ende der NS-Zeit publiziert und untermauert mit dem Begriff N* die Rassentheorie weiterhin.
Pippi Langstrumpf in Taka-Tuka-Land von Astrid Lindgren, 1940.
„Mein Vater ist ein „N*“: Das weit verbreitete Kinderbuch mit der unkonventionellen Heldin Pippi beinhaltet nicht nur fortwährend das N*Wort, sondern strotzt vor rassistischen Stereotypen.Afrikanische, argentinische und chinesische Menschen werden von den Kindern wortwörtlich als „anders“, „fremdartig“ und „eigentümlich“ beschrieben und als faule, hibbelige Lügner:innen dargestellt. Hier wird Diversität absolut nicht anerkannt, sondern stigmatisiert.
Kinderlieder:
C.a.f.f.e.e
„C-a-f-f-e-e,
trink nicht so viel Caffee!
Nicht für Kinder ist der Türkentrank,
schwächt die Nerven, macht dich blass und krank Sei doch kein Muselmann, der ihn nicht lassen kann!“
10 kleine N*lein
„Zehn kleine N*, die fuhren übern Rhein.
Das eine ist ins Wasser gefallen, da waren nur noch neun.
Ein klein, zwei klein, drei klein, vier klein, fünf klein N*, Sechs klein, sieben klein, acht klein, neun klein, zehn klein N*.
Neun kleine N*, die gingen auf die Jagd.
Das eine wurde totgeschossen, da waren nur noch acht.
Acht kleine N*, die gingen in die Rüben.
Das eine hat sich tot gegessen, da waren es nur noch sieben.
Sieben kleine N*, die gingen zu ’ner Hex‘.
Das eine hat sie totgehext, da waren es nur noch sechs.
Sechs kleine N*, gerieten in die Sümf.
Das eine ist drin stecken geblieben, da waren nur noch fünf“
Aramsamsam
„A ram sam sam, a ram sam sam
Guli guli guli guli guli ram sam sam
A ram sam sam, a ram sam sam
Guli guli guli guli guli ram sam samA rafiq, a rafiq
Guli guli guli guli guli ram sam sam
A rafiq, a rafi
Guli guli guli guli guli ram sam sam
Arabi! Arabi!“
Das Lied hat den Ursprung in Marokko und stellt die arabische Sprache als ein wirres Durcheinander von Lauten dar. Die arabische Sprache wird dadurch von den nicht arabisch-sprachigen Menschen abgewertet. Zudem werden während des Singens feststehende Wiederholung von Bewegungen durchgeführt, die den Positionen aus dem islamischen Gebet ähneln.
Alle Kinder lernen lesen
„Alle Kinder lernen lesen
Indianer und Chinesen.
Selbst am Nordpol lesen alle Eskimos
Hallo Kinder jetzt geht’s los!“
Wie gehen wir mit diesen Liedern und Büchern um in einer Gesellschaft, in der wir Diversität leben wollen?
Wir können unser Repertoire an Liedern erweitern und Lieder einführen, die eine vorurteilsbewusste Bildung unterstützt, indem sie verschiedenartige Lebenslagen aufgreift, in der keine klassische Bilderbuchfamilie normal ist, sondern die divers sind. Bücher und Lieder, in denen es völlig normal ist, dass Familien mit zwei Vätern oder alleinerziehenden Frauen oder nicht-weißen Menschen als Ärzt:innen, Polizist:innen oder Prinzess:innen abgebildet werden. Bücher und Lieder, die vielfältige Charaktere zeigen und reelle Identifikationsmöglichkeiten für Kinder und Erwachsene bieten. Ebenso solche Texte, die einen realistischen Zugang zu anderen Ländern und Kulturen bieten, um Ängste und Vorurteile abzubauen und ein faires Miteinander zu konstruieren.
Natürlich sind viele von uns in der Kita, in der Schule, vielleicht zu Hause oder bei unseren Nachbarn mit diesen Liedern aufgewachsen und die Erinnerung prägt uns. Vielleicht assoziieren wir mit den Liedern und Büchern einfach immer noch eine schöne Zeit, das ist auch völlig okay. Als Erwachsene können wir nun diese Werke kritisch hinterfragen, auch wenn es damals unsere Eltern und Lehrer:innen vielleicht nicht getan haben.
Für viele junge Eltern ist es schwierig, die Problematik hinter rassistischen Kinderliedern und Kinderbüchern den Erzieher:innen und Lehrer:innen ihrer Kinder zu verdeutlichen. Um einen Zugang zu der Kehrseite dieser Musik und den Liedern zu finden, könnt Ihr diesen Artikel zum Verständnis schicken. Warum? Damit Rassismus nicht mehr verharmlost und aufrecht erhalten wird. Damit Chancengleichheit frei von gesellschaftlich konstruierten Rollen wird. Damit Ängste und Vorurteile abgebaut werden. Damit unsere Gesellschaft bewusster und entspannter wird.
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