Die Aufnahmen von Osman Balkan, einem jungen Fotografen aus Berlin, zeigen zumeist junge Männer, deren Gesichter zwei Sprachen zu sprechen scheinen: Hinter der Stärke, die der Betrachter im ersten Moment wahrnimmt, verbirgt sich immer auch eine Art Angreifbarkeit. Warum das so ist, hat Osman uns verraten.
Lieber Osman, stellst du dich kurz vor?
Mein Name ist Osman, ich bin 26 Jahre alt und wohne und arbeite in Berlin. Ich habe mich auf die Arbeit mit Models, Mode, Musikern und Schauspielern spezialisiert und arbeite sehr viel im freien Bereich, aber auch als Gun for hire für Aufträge. Fotografie ist für mich weniger eine Leidenschaft oder ein Beruf, als eine Art zu Leben und das findet sich in meinen Bildern wieder.
Fragt man Fotografen, wann sie begonnen haben zu fotografieren, sprechen sie in den meisten Fällen von ihrer ersten Spiegelreflex-Kamera. Wie ist das bei dir?
Ursprünglich benutzte ich Pinsel und Stift, um mich auszudrücken. Da ich aber zeitweise, ein sehr ungeduldiger Mensch sein kann, oder in einigen Fällen ein technisch langsames Medium dem Werk und seiner Idee nicht gerecht wird, musste die Kamera her. Das gefiel mir jedoch so gut, dass ich dabei blieb und herausfand, dass ich mich wesentlich besser über den Film ausdrücken kann. Natürlich könnte ich auch mit einer romantischen Geschichte kommen, dass mein Vater eine alte Canon AE1 hatte und ich in sie verliebt war. So war es nicht. Ich bin einfach froh, dass ich dafür nicht auch noch Geld ausgeben musste. Also keine romantische Geschichte. Für mich ist die Kamera reines Mittel zum Zweck. Ich habe natürlich dennoch Lieblingskameras.
Deine Bilder zeigen oft die Portraits junger Männer. Aber man findet auch Stadtaufnahmen von New York und Istanbul. Außerdem bist du mit Asaf Avidan (Anm. der Redaktion: Asaf Avidan, isral. Folk-Rock Musiker) auf Tour. Wie würdest du deine Art zu fotografieren beschreiben?
Ich kann natürlich nur beschreiben, was die Fotografie bisher für mich war oder was ich von ihr denke. Sie spiegelt verschiedene Phasen und Zustände meiner eigenen Person wieder. Dinge, die mich zu einer bestimmten Zeit interessiert haben, rücken mit den Fotos in den Mittelpunkt. Das beginnt beim Auffangen meiner eigenen Emotionen und endet bei der Dokumentation von Lebenssituationen anderer Menschen. So trieb es mich über die Zeit, von Portraits über Stadtreportagen, welche meinen betont subjektiven Blick widerspiegeln, bis hin zu Touren mit Asaf Avidan durch ein ganzes Land. Meine Fotografie ist sehr abwechslungsreich. Sie drückt dennoch immer meinen Blickwinkel aus und spricht meine eigene Sprache. Fotografie bedeutet für mich Freiheit. Die Freiheit mich zu äußern. Es ist das, was ich am besten kann.
In vielen deiner Portraits steckt meiner Meinung nach eine Mischung aus Monumentalem und Intimen. Sehe ich das richtig und wenn ja, kannst du das erklären?
Ja, das trifft sehr wohl zu. Es geht mir darum, einen Blick unter die Oberfläche zu werfen. Ich möchte zeigen, dass unter jeder harten Schale ein weicher Kern steckt und dass das absolut normal ist. Oft zeigen Menschen ihr aufgebautes und antrainiertes Wunschbild von sich selbst, aber mich interessiert viel mehr, was wirklich hinter der Fassade steckt. Ich möchte einen intimen Blick auf Menschen werfen und diese exponiert zeigen. Ich möchte es schaffen, dass der portraitierte Mensch sich mir offenbart! Ich halte nicht viel von inszenierter Hochglanzportraitfotografie. Wenn Inszenierung notwendig ist, zum Beispiel bei Fotos für die Mappe eines Schauspielers, versuche ich dennoch einen Blick hinter die Inszenierung zu werfen.
Sind deine Bilder trotzdem Selbstportraits, auch wenn du selbst nicht zu sehen bist? Hat das etwas mit Identifikation zu tun?
Natürlich. Meine Bilder sind reine Selbstreflexion. Zu jeder Zeit. Wenn ich ein Foto von einer Kerze mache, erscheint das im ersten Moment belanglos. Ich erfahre dabei jedoch, was mich in jenem Moment interessiert hat. Ich könnte nun anfangen darüber nachzudenken was in mir vorgeht. Mein Sujet sind aber andere Menschen und nicht ich selbst. Die Art und Weise wie ich einen Menschen darstelle, sagt sehr viel über mich aus. Im Nachhinein betrachtet ist es manchmal sehr interessant zu sehen, wie ich ein Foto umgesetzt habe und denke mir oft: „Man Junge! Was war nur los mit dir damals?!“ So finde ich natürlich auch heraus, wo ich stehe und wer ich zu sein scheine. Oder zumindest bilde ich mir das ganz gerne ein. In regelmäßigen Abständen sehe ich dadurch eine innere Entwicklung. Man könnte sagen, dass die Fotografie für mich eine Art Tagebuch ist.
Was ist Schönheit für dich und wie wichtig ist sie für deine Arbeit?
Schönheit ist für mich eine variable Mischung aus Einzigartigkeit, Ehrlichkeit, Ästhetik und Anti-Ästhetik. Sie spielt eine zentrale Rolle in meiner Arbeit. Aber ich kenne mehrere Formen von Schönheit, nicht nur jene, die vollbusige, symmetrische Menschen zeigt. Ich suche nach Dingen, Menschen oder Situationen, die ich als schön empfinde. Genau festlegen oder definieren was für mich schön ist, kann ich nicht.
Welche Erfahrungen hast du in der Zusammenarbeit mit Menschen/Modellen gesammelt?
Einige, aber hauptsächlich das es mir Spaß macht! Das ist auch der Grund warum ich dran bleibe. Ich sehe meine Arbeit als eine Art Abenteuer. Ich würde definitiv sagen, dass mich meine Arbeit generell sehr viel mehr gelehrt hat was den Umgang mit Menschen angeht, als das der Fall wäre, wenn ich einen Bürojob hätte. Man muss sich auf die unterschiedlichsten Menschen einstellen und auf die verschiedenen Arten des Umgangs mit ihnen. Das braucht viel Erfahrung und die sammelt man über die Jahre. Manchmal muss man eingreifen und die Situation übernehmen, aber ab und zu muss man es einfach laufen lassen. Ich denke, diese Erfahrungen lassen sich auf jeden Bereich des Lebens übertragen.
Kannst du deine Arbeitsweise beschreiben – angefangen von der Idee bis hin zum fertigen Bild?
Momentan arbeite ich sehr zurückgezogen – ich versuche beim Fotografieren fast unsichtbar zu sein und gebe wenige Anweisungen. Ich lasse mich auf die Situation ein und schnappe mir, was mir vorgesetzt wird. All das kann sich bald wieder ändern. Generell ist dieser Prozess aber dem Motiv und der Idee angepasst. Da muss man flexibel sein. Es ist nach Möglichkeit immer mein Ziel, mich so wenig wie möglich selbst einzubringen oder zu interagieren. Alles mit dem Hintergedanken, so viel Ehrlichkeit und Authentizität einzufangen wie ich kann.
Welche Kameras und Objektive passen am besten zu dir und deiner Arbeit?
Ich arbeite am liebsten mit Hasselblad 500 c/m + 80mm-Objektiven.
Wenn du mit einem anderen Fotografen zusammenarbeiten könntest, wen würdest du dir aussuchen?
Ich würde noch nicht mal gerne mit jemandem mein Badezimmer teilen. Es widerspricht meiner Idee von der Aufgabe der Fotografie, mit einem anderen Fotografen zusammenzuarbeiten. Für mich ist die Fotografie eine Art und Weise zu lernen und daran zu wachsen. Wenn zwei unterschiedliche Sprachen in einem Bild zusammenkämen, empfände ich das eher als irritierend und würde befürchten, dass auch der Betrachter keinen authentischen Zugang mehr dazu finden würde. Das bedeutet aber nicht, dass ich von anderen Fotografen nichts lernen kann oder will.
Auf deiner Facebook-Seite kann man auch deine Comic- und Aquarell-Kunstwerke bewundern. Welche Bedeutung hat das Zeichnen neben der Fotografie für dich?
Wie gesagt, war es schon vor der Fotografie da. Heute hat das Zeichnen für mich aber eine andere Bedeutung. Mit der Zeichnung studiere ich mein eigenes Werk, einzelne Fotografien, Gesichter oder das Licht. Es eröffnet mir einen anderen Blick durch die Kamera. Ich denke dadurch viel mehr in Komposition und minimalistischen Darstellungsmöglichkeiten. Es geht um die Entscheidung was wichtig ist und was nicht. Das Zeichnen und Malen gibt mir die Möglichkeit, einen tieferen Einblick in meine fotografische Bildsprache zu gewinnen und sie so besser analysieren zu können.
Gibt es besondere Pläne für die Zukunft?
Ich möchte mehr mit Musikern und Bands auf Tour gehen und internationaler arbeiten. Nicht an einem Ort festsitzen, sondern mehr von Stadt zu Stadt reisen, das reizt mich. Auch wenn Berlin natürlich eine tolle Stadt zum Arbeiten ist. Ich möchte mich einfach treiben lassen und sehen was in Zukunft auf mich zukommt. Einfach sehen, was das Leben noch für mich bereithält …
Credits
Interview: Nina Simi Madan
Fotos: Osman Balkan