Man kann das Werk des Künstlers Mustafa Boğa kaum besser umschreiben als er selbst es in einem Interview aus dem Jahr 2015 tat:
„Meine Arbeit untersucht den schmalen Grat zwischen Dokumentation und Kunst, Berichterstattung und Prosa, Drama und Scripted Reality“
Denn Boğas Filme, Fotografien, Collagen, Installationen und Performances sind ein bisschen von allem – poetisch und politisch, ästhetisch und kritisch. Best of both worlds sozusagen.
Nachdem Mustafa Boğa in Istanbul Journalismus studierte, zog er nach London, um sich dort an der Greenwich University und am Central Saint Martins College zuerst der Kinematografie und anschließend der bildenden Kunst zu widmen. Mittlerweile stellt der Siebenunddreißigjährige europaweit aus und hatte zahlreiche Residencies in Museen und Galerien inne. Dieses Jahr wurde Boga als „Highly commended Artist“ für den Ashurst Emerging Artist Prize ausgezeichnet.
Mustafa Boğa beschäftigt sich in seiner Arbeit mit Identität. Dazu zählt vor allem die Frage, inwieweit diese in Hinsicht auf Gender, Sexualität, politische Gesinnung und Religion überhaupt definiert werden kann oder muss. Und wie glücklich man sich schätzen darf, wenn man dazu eben nicht gezwungen wird.
Die zwei Gesichter von Sicherheit
Auch seine Herkunft spielt in Boğas Werken immer wieder eine Rolle: In seiner Arbeit The War Heirlooms (dt.: Die Erbstücke des Krieges) beschäftigte sich der Künstler mit dem yorgan, einer traditionell handgearbeiteten Steppdecke, die in einigen Regionen der Türkei ein fester Bestandteil jedes Familienhaushalts ist. Ein yorgan wird oft von Generation zu Generation weitergegeben, mit ihm sind Geschichten und Erinnerungen verknüpft. Für viele ist er deshalb eine Metapher für Schutz und Geborgenheit. In The War Heirlooms wälzt Boğa nun diese Bedeutung von Sicherheit um, indem er die traditionellen Blumenmuster in Symbole des Krieges transformiert. Er zeigt somit, welchen Preis Familien manchmal auch für „Schutz“ zahlen müssen. Und gleichzeitig wirft seine Neuinterpretation des yorgans die Frage auf, wie lange feste Strukturen uns überhaupt Sicherheit geben oder ab wann sie einengen.
Subjekt und Objekt
Die Beziehung zwischen Mensch und Gegenstand ist ein immer wiederkehrendes Thema in Boğas Arbeiten. In der Fotoserie Extraneous Objects (dt.: Belanglose Objekte) aus dem letzten Jahr stehen sich je eine Person aus seiner Heimatstadt Adana und ein Gegenstand auf einem Sockel gegenüber. Es entsteht eine seltsame Spannung zwischen einer Objektifizierung der Menschen und der Aussagekraft eigentlich alltäglicher Dinge, die vor ihnen stehen.
Mustafa Boğa bricht in seiner Kunst mit Stereotypen und Klischees, er experimentiert mit den Verständnissen von Menschsein auf dieser Welt und Individuumsein in der Gemeinschaft. Seine Werke hinterlassen viele Fragen in uns, manchmal aber beantworten sie uns sogar eine.
Text: Lisa Genzken
Bildrechte: Mustafa Boğa