Die meiste Zeit verbringt ÖzÖz, ein musikalisches Multitalent aus Istanbul, in ihrem fröhlich bunten Ein-Zimmerapartment in Berlin-Neukölln. Eine Ukulele, ein Piano und etliche andere Instrumente liegen hier überall in der Wohnung zerstreut; ihr Zuhause ist gleichzeitig auch ihr Studio. In den 1990ern kommt sie zum ersten Mal nach Berlin, als deutsche Musiker mit ihr ein Album aufnehmen wollen. Sofort verliebt sie sich in Berlin und beschließt schließlich Istanbul zu verlassen. Mit einem großen Lächeln erzählt sie von ihrer Jugend, ihrer Entscheidung nach Berlin zu ziehen, ihrer Musik – und warum sie Istanbul nicht vermisst.
Du möchtest ÖzÖz genannt werden. Warum eigentlich?
Mein eigentlicher Name ist mir zu melancholisch und gehört der Vergangenheit an. Meine Freunde nannten mich schon immer Özzy oder Öz. Öz hingegen passt meiner Meinung nach besser zu meinem Charakter. Allerdings habe ich die Entstehung meines Künstlernamens ÖzÖz Facebook zu verdanken; das Ding wollte einfach nicht den Namen Öz akzeptieren. ÖzÖz war dann aber völlig ok (lacht).
Was macht Öz denn anders als dein altes Ich?
Öz hat erst in Berlin ihr wahres Ich entfaltet. Hier in Berlin kann sie endlich die Musik machen, die sie schon immer machen wollte.
In Istanbul war das nicht möglich?
In Istanbul war ich nicht glücklich. Die Engstirnigkeit vieler Menschen und die fehlende Offenheit für alternative Musik machten mich schier verrückt. Sowohl musikalisch als auch privat fühlte ich mich nicht wohl. Als ich jung war, war für mich Vieles einfach verboten, sowohl Zuhause als auch in der Schule. Ich wurde sogar einmal von der Musikschule verwiesen worden, weil ich keine klassische Musik spielen wollte. Ich durfte dann drei Tage lang nicht am Unterricht teilnehmen. Zuhause verbot mir mein Vater, der selbst Pianist war, etwas anderes als klassische Musik zu hören. Klassische Musik war mein Käfig, aus dem ich entkommen und nach Berlin geflüchtet bin.
Wie stark hat sich dein Leben nach Istanbul verändert?
Sehr stark! In Berlin habe ich mich selbst gefunden. In der Türkei musst du perfekt geschminkt und super vorbereitet sein, wenn du auf die Bühne gehst. Falls du das nicht machst, empfindet es das Publikum als Respektlosigkeit. In Berlin kannst du in jedem Zustand auf die Bühne gehen, vorausgesetzt, du machst gute Musik. In Istanbul bekam ich auch öfters zu hören, man könne meine Musik nicht einordnen, ich solle mich doch endlich für etwas Konkreteres entscheiden. Ich wollte mich aber in keine Schublade stecken lassen. Seit dem ich in Berlin bin, kann ich tun und lassen, was ich will. Hier sind die Menschen offener für das noch Unbekannte.
Wenn man sich deine Musik auf Soundcloud anhört, merkt man, wie facettenreich deine Musik ist; von Rap bis Elektro über Soul und sogar Filmmusik ist alles dabei. Besonders beliebt sind derzeit deine vom Soul und Jazz angehauchten Interpretationen traditionell anatolischer Musik. Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Die Idee, so etwas zu machen, kam mir in Istanbul, doch damals wusste ich noch nicht, wie das Ganze aussehen sollte. In Berlin angekommen, wollten andere Musiker sofort von mir erfahren, wie türkische Musik funktioniert. Am Konservatorium in Istanbul hatte ich jedoch eine klassische Musikausbildung erhalten. Ich kam ziemlich schnell ins Stottern und machte mir selbst Vorwürfe, dass ich mich vorher noch nie mit den musikalischen Wurzeln meiner Heimatregion auseinandergesetzt hatte. Ich begab mich auf die Suche nach Wegen, meinen Frust musikalisch auszudrücken. Meine Lösung war dann Soul, Blues oder elektronische Musik mit traditioneller türkischer Musik zu vermischen.
Heißt das, dass du dich vorher nie tiefer mit der Türkei auseinandergesetzt hast?
Bevor ich nach Berlin kam, hatte ich mich nicht so sehr mit der Identität der Türkei befasst. In der Türkei leben mehr als vierzig verschiedenen Ethnien; Kurden, Lasen, Tscherkessen, Aramäer und viele mehr. Das hatte ich in meiner Musik nicht berücksichtigt. Somit hat mit meiner Interpretation von “Uzun Ince bir yoldayım” (Original: Âşık Veysel) für mich ein neuer musikalischer und sehr persönlicher Abschnitt begonnen.
Wie verhält es sich dann mit den Sprachen, in denen du singst?
Ich bin gezwungen, auf Türkisch zu komponieren, weil für mich das Musikmachen immer noch eng mit der Muttersprache verbunden ist. Ich singe aber auch Songs in anderen Sprachen und habe damit kein Problem, solange ich den Inhalt des Liedes kenne. In meinem neuen Projekt werde ich die einzelnen Lieder in ihrer Originalsprache singen und das Ganze dann mit elektronischer Musik unterlegen. Verschiedene Sprachen, verschiedene Instrumente und verschiedene Musikrichtungen – das alles brauche ich einfach, um keine Langeweile zu verspüren.
Abwechslung und Veränderung sind dir also wichtig. Machst du deshalb auch Theatermusik?
Ja, das ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Seit Jahren mache ich Musik für Theaterstücke in Istanbul. Auch in Deutschland ist die Nachfrage groß. Ich habe u.a. einige Stücke für Aufführungen am Maxim Gorki Theater komponiert. Für Deniz Utlu’s Buchprämiere „Die Ungehaltenen” haben wir uns beispielsweise zusammen die Begleitmusik für den Abend überlegt.
Ich mache aber nicht nur Theatermusik, sondern komponiere auch Kinderlieder für verschiedene Projekte. Kinderlieder zu schreiben, bedeutet für mich totale Kreativität, ohne mich an zu viele Regeln halten zu müssen. Das mag ich sehr. Mit Filmmusik verhält es sich ähnlich. Darauf hätte ich in Zukunft auch mal Lust.
Und worauf willst du dich in Zukunft noch konzentrieren?
Ich kann mich nicht auf eine Sache beschränken (lacht)! Aber auf jeden Fall möchte ich ein ganzes Album aufnehmen, auf dem ich traditionell anatolische Songs mit elektronischer Musik vermische. Ich könnte mir auch vorstellen, mehr Jazz oder Klassik zu machen, und bin immer offen für neue Inspirationen und Kooperationen. Ich bin halt stets auf der Suche, damit es bloß nicht langweilig wird!