adressarrow-left Kopiearrow-leftarrow-rightcrossdatedown-arrow-bigfacebook_daumenfacebookgallery-arrow-bigheader-logo-whitehome-buttoninfoinstagramlinkedinlocationlupemailmenuoverviewpfeilpinnwand-buttonpricesine-wavetimetwitterurluser-darwinyoutube
Gesellschaft & Geschichten

Liebeserklärung an den verhassten Damenbart

In den letzten Jahren gelang der Body-Positivity-Bewegung ein Durchbruch. Frauen tragen inzwischen Achselbehaarung mit Stolz, rasieren sich eine Glatze als politisches Statement zur Gleichberechtigung, demonstrieren ihr Periodenblut via Instagram oder streuen Glitzer auf ihre Dehnungsstreifen, die sie selbstbewusst Tiger Stripes nennen. Mehrgewichtigkeit unterliegt inzwischen weniger einem Stigma. Die Vielfalt an Brustformen und -größen wird frei gezeigt. All Bodies are beautiful! Authentizität ist der neuste Schrei.

Viele Leute nutzen diese unverfälschten Schönheitsbilder als feministisches Statement, einige feiern es einfach als Modeerscheinung. Ganz gleich, was das Ziel dahinter ist: Die Gesellschaft durchlebt einen radikalen Perspektivenwechsel bezüglich des westlichen Schönheitsideals. Lange genug dominierte in den Medien folgende Frauenschablone: weiß, schlank, unbehaart (außer natürlich als Haupthaar) und frei von jeglicher körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung. Das ist das gängige Schönheitsideal und wir sehen es im Fernsehen, auf Werbeplakaten und in Magazinen. Woher dieses Bild von Schönheit stammt?

Das westlich geprägte Schönheitsideal ist ein Abbild der kolonialen Macht und der darauffolgenden Kolonialisierung Amerikas. Optische Merkmale wie eine schmale Taille und helle Haut zeigten vor Jahrhunderten in Lateinamerika ausschließlich die Kolonialist:innen auf. Mit der kolonialen Macht setzte sie auch Standards für Schönheit. Insbesondere schwarze, mehrgewichtige Frauen litten unter diesem gesellschaftlichen Blick für Schönheit. Für diese Frauen bedeutete das westliche Schönheitsideal sozial und ökonomisch benachteiligt zu werden. Einige dieser Frauen gründeten später die Body Positivity Bewegung, um den ökonomischen und sozialen Ausschluss auszudrücken.

Lass‘ dein Haar herunter, Rapunzel!

Doch trotz dieser unglaublich wichtigen Veränderungen und der lockeren Auslegung von Ästhetik scheinen einige Themen weiterhin schambehaftet und tabuisiert zu sein. So zum Beispiel weibliche Gesichtsbehaarung außerhalb des bunten Karnevals der Sozialen Medien. Damenbart, Härchen am Kinn, Augenbrauen zwischen den Augenbrauen und Koteletten bleiben am Ende im Real Life für die meisten Leute fragwürdig. Achselhaare sind ok, sobald sich jedoch ein dunkler Schatten zwischen der Oberlippe und der Nase abbildet, ist Frau offenbar gar nicht mehr so passend für das öffentliche Leben und für ihren Arbeitsplatz. Damenbart gilt als ,,falsche Körperbehaarung”. Wir sehen Haare überall, aber die Mehrheitsgesellschaft ist nicht bereit für haarige Authentizität bei Frauen.

Was symbolisiert der Bart? Der Bart am Mann repräsentiert Macht, Würde, und Weisheit. Der Mann hat die Möglichkeit mit seinem Bart ein politisches, religiöses oder modisches Statement zu setzen. Am Mann gilt der Bart als natürlich. Frauen hingegen, die ihre Stoppeln über der Oberlippe oder am Kinn einfach so stehen lassen, werden von der Mehrheitsgesellschaft als ungepflegt oder gar hässlich bezeichnet. Diese Antipathie gegenüber Frauenbärten ging so weit, dass im 18. und 19. Jahrhundert bärtige Frauen als Unterhaltungsobjekt in „Freak-Shows“ vorgeführt wurden. In Deutschland wurden diese Shows übrigens in den 1930ern verboten. Das zeigt uns, wie kontrovers dieses Thema schon seit jeher ist. Einer der Gründe sei laut dem Autor Dr. Allan Peterkin, dass eine Geschlechtsgrenze gebrochen wird und der gewohnheitsliebende Mensch bei dem Anblick einer bärtigen Dame plötzlich aus seiner Komfortzone gerissen wird. Denn dabei kommt mitunter die Frage auf: Wie umgehen mit einer Frau, die sich traut, den Bart, der sonst dem Manne zusteht, für sich zu vereinnahmen?

Falsche Körperbehaarung?

Überschminken, rasieren, zupfen, bleichen, epilieren, Waxing, Sugaring, Fadenmethode, IPL-Lasermethode: Glaubt mir, ich habe sie schon alle durch. Es war schmerzhaft, teuer und aufwendig. Ich erinnere mich an einen Exfreund, der mich nach dem Küssen fassungslos fragte, ob ich einen Damenbart hätte, weil meine Oberlippe sich stoppelig anfühle. Auf meine Gegenfrage, ob das dramatisch sei, antwortete überzeugt er mit ‚Ja‘. Ich erinnere mich, wie ich meiner Cousine einen Abend vor einer Hochzeitsfeier mit 500 Gästen den Damenbart waxte. Sie schrie schmerzerfüllt und passend zu ihrem roten Abendkleid trug sie schließlich auch einen roten Waxingstreifen im Gesicht. So viel Stress wegen Nichtigkeiten! Inzwischen ist’s mir egal. Mal zuck ich den Rasierer, mal nicht und dann trag ich meinen Lippenstift auf.

Sexualkunde – Lektion X:

Ganz gleich ob Nord-Europäerin, Südländerin, Asiatin oder Außerirdische: Frauen haben Haare an den krassesten Stellen: am Po, den Zehen, an Fingern, Schultern, dem Steißbein und auch am Bauch. Da war die Gleichberechtigung besonders fair mit uns Frauen. Ausgelöst durch Hormone, Medikamente oder Gene neigen einige Frauen zu vermehrtem und dichterem Haar und einige eben nicht.

Einige Frauen neigen jedoch zu festerem und dichteren Haarwuchs und dieser spielt sich auch in den Gesichtern ab. Das passt gerade weder zum westlichen Schönheitsideal designed by patriarchy noch zu der hippen Body-Positivity-Bewegung auf Instagram. Und nicht mal der globale Frida-Kahlo-Hype spiegelt das Phänomen Damenbart.

Behaarung sollte nicht als Statement oder Fashion betrachtet werden, sondern als natürlicher Teil des Körpers.

Freakshows, schockierte Exfreunde und Waxingstreifen überall. Die Welt sollte sich langsam damit abfinden, dass auch Frauen Haare im Gesicht haben. Bitte, entspannt euch endlich.

Zu guter Letzt: Dehnungsstreifen, Achselhaare, schütteres Haar, Pickel & Co. sind natürlich und normal. Ein Sixpack, symmetrisch aneinandergereihte Zähne und die Körpermaße 90-60-90 sind es nicht. Diversität ist normal. So wie unser Damenbart normal ist. Er ist eine liebevolle, wenn auch fragile Erinnerung an unsere Vorfahr:innen. Trotzdem musst du rausfinden, wie du dich selbst akzeptieren kannst, egal ob im Sinne dieses Plädoyers für weibliche Gesichtsbehaarung oder nicht. Es gibt zig Möglichkeiten, sich die Haare zu entfernen, wenn du dich dadurch wohler fühlst. Es mag toxisch sein, wie das optische Erscheinungsbild von Körpern dank Instagram, Photoshop und Werbung verzerrt und überbewertet wird, aber so ist es nun mal.

Trotzdem, liebe Frauen: hört auf euch für eure Härchen zu schämen! Hört auf, euch zu verstecken oder Knutschen zu vermeiden! Bleibt entspannt und lernt, euren Damenbart zu akzeptieren – früher oder später wächst er eh nach.

Illustration: randnotiz.bleistift
Titelbild: Unsplahs.de | Vika Aleksandrova

 

Nächster Artikel

Sprache & Literatur

„Ich habe so spät angefangen zu schreiben, dass es immer noch zu früh war.“

Im Gespräch mit Meltem Gürle

    Lust auf Lecker Newsletter?