Kerem ile Aslı

Die Liebesgeschichte, die selbst Shakespeare zum Weinen bringen würde

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Romeo und Julia ist wahrscheinlich die tragischste und am weitesten verbreitete Liebesgeschichte der Welt. Doch die Frage stellt sich: Wie sieht das im nahöstlichen Raum aus? Denn auch hier gibt es Liebesgeschichten zuhauf. Aber die Frage, welche die berühmteste ist, lässt sich nicht leichtfertig beantworten. Eine der ältesten Liebesgeschichten der nahöstlichen Welt ist Kerem ile Aslı. Die Geschichte beschreibt die dramatische Liebe zwischen Aslı und Kerem, welche unerfüllt bleibt. Geschichten wie diese gibt es unter weiteren Namen wie Leyla ile Mecnun oder Hüsrev ü Şirin. Und ihr habt es richtig erraten: alle enden mit dem Tod. Zusätzlicher Spoiler: Diese Lovestorys sind schon viel länger im Umlauf als Romeo und Julia.

Same same but different?

Kerem ile Aslı ist jedoch keine gewöhnliche Liebesgeschichte, in der zwei Verliebte aufgrund der Rache oder Fehden der Familien getrennt werden. Nein, diese Geschichte basiert auf der interreligiösen Freundschaft und dem geteilten Leid zwischen einer muslimischen Adelsfamilie und einer christlichen Familie. Denn beide Familien haben keine Kinder, wünschen sie sich aber sehnlichst und kommen aufgrund dessen in Kontakt. In vielen Ausführungen der Geschichte schenkt eine alte Frau den beiden Frauen jeweils eine Hälfte eines Apfels oder Samen für einen Baum, aus denen Asli und Kerem ‚heranwachsen‘ sollen. Beide Frauen versprechen sich, dass – sollten sie Kinder bekommen – sie heiraten dürfen, trotz der Religionsunterschiede, da sie beide Hälften eines Ganzen wären (elmanın iki yarısı zwei Hälften eines Apfels: eine Redewendung, um ein harmonisches Paar zu beschreiben). Kurze Zeit später werden beide Frauen schwanger. Die muslimische Adelsfamilie bekommt einen Jungen, Kerem, und die christliche Mönchsfamilie Aslı. Beide Kinder wachsen auf, ohne etwas voneinander zu wissen und haben keinerlei Kontaktpunkte. Nach Jahren erblicken sich Kerem und Aslı zum ersten Mal und verlieben sich unsterblich ineinander. Kerems Vater steht dieser Bindung nicht im Weg und leitet direkt Feierlichkeiten ein, jedoch sieht der Mönch Kerem als ungeeignet für seine Tochter an aufgrund der Religion. Diese Aversion führt zur Flucht der Mönchsfamilie. Kerem, der unendlich verliebt ist, leidet unter dieser Trennung und entschließt sich mit seinem treuen Begleiter Sofu, Aslı nachzureisen und sie schlussendlich zu heiraten. Man könnte jetzt sagen „hach, wie romantisch!“, aber die Geschichte hat einen tragischen Verlauf. Nach Jahren des Suchens findet Kerem Aslı, indem er sich als Patient ihrer Mutter ausgibt und seine gesunden Zähne ziehen lässt, nur um seinen Kopf auf Aslıs Schoß legen zu dürfen, da sie dort ihrer Mutter aushilft. Jedoch möchte sie nichts von Kerem wissen, da sie ihre Eltern nicht enttäuschen möchte. Nach Kerems leidenschaftlicher Deklarierung seiner Liebe kann Aslı jedoch nicht mehr fernbleiben und sie entschließen sich zu einem Treffen.

Ist endlich ein Happy End in Sicht?

Doch auch dies wird von den Wachen unterbrochen und Kerem muss sich vor dem Hauptmann rechtfertigen. Dieser Hauptmann ist jedoch eine ehemalige Wache aus Kerems Palast und kennt seine Leidensgeschichte. Erzürnt wird der Mönch herbeigerufen und muss sich nun dem Willen der Liebenden beugen. Kerem und Aslı können schlussendlich heiraten, jedoch ist das Herz des Mönchs so vom Hass besessen, dass er eine letzte Intrige plant. Er bittet seine Tochter, eine verhexte Corsage in der Hochzeitsnacht zu tragen und Aslı willigt natürlich ein, da sie denkt, endlich den Segen ihres Vaters zu haben. Was sie jedoch nicht weiß, ist, dass die Corsage so verzaubert ist, dass sie sich nicht öffnen lässt. Jedes Band, welches gelöst wird, knotet sich wie von Geisterhand wieder selbst zu. In der Hochzeitsnacht bittet Aslı Kerem, die Corsage aufzuknöpfen, allerdings gelingt es ihnen nicht. Kerem durchblickt, dass dies die Machenschaften des Mönchs sind, um die Liebenden für immer voneinander zu trennen. Wie von Sinnen beginnt Kerem seine leidenschaftlichen Gefühle zu leben, was dazu führt, dass seine Augen beginnen, vor Herzschmerz zu brennen und das Feuer auch in Aslı entfacht wird, sodass beide in ihrer Hochzeitsnacht in dem Brand ihrer unerfüllten Liebe sterben.

Überirdische Lieben

Ähnliches Schicksal erfahren auch die Liebenden in der Geschichte Leyla ile Mecnun. Auch diese werden aufgrund der Religion getrennt, jedoch wird Leyla bereits verheiratet, während Kays (später Mecnun genannt) wie ein Irrer durch die Wüste irrt. Dadurch erhält er den Namen Mecnun, da مـجنون ليلى  übersetzt ins Deutsche ‚der von Leyla Besessene‘ bedeutet. Auch er verbrennt am Ende, da er erfährt, dass Leyla bereits verstorben ist. Interessanterweise sterben die Liebenden immer im Feuer ihrer eigenen Liebe und Leidenschaft, ohne fremdes Zutun. Das unterstreicht den Aspekt, der in Geschichten deutlich hervortritt: Sie werden als „hak aşıkları“ betitelt. Das bedeutet, dass ihre Liebe von Gott selbst gesegnet wurde, sodass sie nicht ohne einander leben können und sich eigentlich niemand in ihre Beziehung einmischen, geschweige denn sie trennen, darf.

Wie sieht es aus mit moderneren Versionen?

Wenn wir diese Geschichte mit Romeo und Julia vergleichen, scheint diese nur ein billiger Abklatsch zu sein, dem das Feuer fehlt. Literally. Warum also sind diese Geschichten kaum in der in Deutschland lebenden Community bekannt? Natürlich gibt es Serien dazu, jedoch fehlen all diesen der interreligiöse Aspekt und, wenn wir ganz ehrlich sind, das große Drama der unerfüllten Liebe. Denn diese finden kaum den Weg auf die Leinwand im nahöstlichen Raum, da es fast immer ein Happy End gibt, um die Menschen träumen zu lassen. Wenn heute die Medienlandschaft in der Türkei betrachtet werden würde, würde man in jeder erfolgreichen Serie mindestens eine Beziehung, welche als verboten gilt, Fehden zwischen Familien und das dramatische Happy End finden. Die Prise Mafia darf man auf keinen Fall vergessen. Jedoch schafft es keine*r dieser Serien oder Filme, die tragischen Liebesgeschichten von Kerem, Aslı, Leyla oder Mecnun wirklich einzufangen und ihnen gerecht zu werden.

Was lernen wir daraus?

Dabei sind Geschichten wie diese genau das, was die Welt gerade braucht:

Liebe, welche Religion und Kultur übersteigt und den Menschen zeigt, dass es egal ist, woher man kommt, woran man glaubt oder wie man aussieht, solange der Mensch aufrichtig liebt. Denn Liebende zu trennen, nur weil man selbst mit der Vielfältigkeit der Welt nicht klarkommt, endet, wie es diese tragischen Geschichten zeigen, nie gut.

Text: Zade Ibi
Illustration: Yasmin Anılgan

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