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Bühne & Schauspiel

Der Traum vom Schafe hüten

Zu Gast bei Burak Yiğit

Der Berlinale-Film Victoria hat diesen Sommer mit seinem Echtzeit-Shooting alle in Atem gehalten. Burak Yiğit spielt eine der Hauptrollen im Film. Als Blinker macht er mit den drei anderen sympatisch-abgedrehten Jungs die Kreuzberger Nächte unsicher. Wir sind mit dem Schauspieler in seinem Kiez um die Häuser gezogen. Bei einem Bierchen in der Sonne sprachen wir über die außergewöhnlichen Dreharbeiten, sein Kreuzberg und persönliche Träume.

Fühlst du dich noch immer wohl in deinem Kreuzberger Kiez?

Ich bin glücklich hier, ich kenne keine andere Heimat als Kreuzberg. Man könnte sagen, das ist meine Identität. Ich bin müde von der Diskussion über deutsche oder türkische Zugehörigkeit. Fuck it, ich bin Kreuzberger. Klar, Gentrifizierung, Hipstertum usw., aber das ist der Wandel der Zeit. Was soll man machen? Ich würde nicht, wie es Rio Reiser einmal tat, sagen, dass die Seele Kreuzbergs sich verändert hat.

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Hast du dir am Anfang deiner Schauspielkarriere mal vorgestellt, dass du in Filmen mitwirkst, in denen es um das Leben in Kreuzberg geht?

Definitiv. Das war sogar mein Plan. Es ist immer noch ein Traum von mir, einen Film über die letzten 30 Jahre in Kreuzberg zu drehen. Die Entwicklung von den 70ern bis 2000. Dann wird man nämlich feststellen: In den 80ern haben Türken mehr berlinert als heute.

Welche Rolle hat dich bisher am meisten herausgefordert?

Victoria war schon das Anspruchsvollste, was ich bisher gemacht habe. Schauspieler legen eine gewisse Eitelkeit an den Tag. Die musste ich komplett ablegen. Wir mussten durchgehend volle Power geben, permanent im selben Aggregatzustand bleiben. Du kriegst keinen Fokus, aber du bleibst in der Rolle. Es gibt keine Verschnaufpause. An der Stelle zum Beispiel, wo Freddy (A.d.R.: Frederik Lau) und Laia Costa im Café sitzen, hören wir auch nicht auf zu spielen. Das ging nur so: „Man, wann ruft der denn an?! Bruder, gib mir noch ’ne kleine Nase!“ Man darf da nicht aufhören.

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Victoria ist ein beeindruckender Film. Das ganze Filmteam hat viel geleistet, oder?

Ja, ich muss sagen, der Kameramann ist einfach nicht von dieser Welt. Ich finde, er hat Poesie gemacht mit seiner Kamera. Er war der Künstler! Wie er das eingefangen hat, einfach Hammer. Er hat nicht umsonst den Preis auf der Berlinale gekriegt. Eigentlich ist er so ein lieber, sanfter Typ aus Norwegen. Was wir da abgezogen haben, unsere ganze Kommunikation, war eine ganz neue Welt für ihn. Und was zwei einhalb Stunden Drehen körperlich bedeuten, kann sich auch niemand vorstellen. Ein Marathon war das.

Hast du auch im echten Leben so eine Männerfreundschaft, in der man nachts durch die Straßen zieht und alles füreinander tun würde?

Klar. Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht bei mir vor allem, wenn ich die Leute seit meiner Kindheit kenne und man eine Geschichte teilt. Vielleicht nicht ganz so aufbrausend wie die Motherfuckers im Film! Bei mir sind auch ein paar Waldorf-Hippies dabei, mit denen ich ab und an Party machen gehe. (lacht) In der Schauspielszene Freundschaften zu schließen ist eher schwierig. Man sollte abseits des Business Freunde haben, sonst verliert man sich in dem ganzen Scheiß. Aber einige gibt es natürlich, wie Bruder Freddy (A.d.R.: Frederik Lau) und Kida (Kida Khodr Ramadan) zum Beispiel!

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Der einzige Moment, in dem man etwas über deinen türkischen Background erfährt, ist wenn du zum Türsteher „Kusura Bakma“ (Deutsch: „Entschuldige“) sagst. War das geplant oder improvisiert?

Das war alles improvisiert, im Prinzip der komplette Film. Es gibt keinen geschriebenen Dialog. Die Spitznamen haben wir schon so gewählt, dass keine nationale Zugehörigkeit suggeriert wird. Einfach „Real Berlin Guys“ halt. Gott sei Dank ist diese Thematik in den Hintergrund gerückt. Es wurde nichts angeteasert. Hätte ich „Cem“ geheißen, wäre schon etwas schief gegangen. Dann geht die Schublade auf. Das gilt für alle Darsteller aus der Jungs-Clique.

Du hast dir den Film schon mehrmals angeschaut. Fällt es dir also leicht, dich auf der Leinwand zu sehen?

Nein. Ich gucke eigentlich nur auf meine Fehler. Aber beim zehnten mal kann man auch die Anderen genauer beobachten. Das ist sehr erfrischend.

Westerland von 2012, in dem du eine der Hauptrollen spielst, handelt von einer Liebe und Abhängigkeit zwischen zwei jungen Männern. Wie bist du zu dieser Rolle gekommen?

Da bin ich über meinen Bruder gelandet. Tamer ist Regisseur und mit dem Autor des Drehbuchs befreundet. Die Romanvorlage hieß ursprünglich Jesús und Muhammed. Davor hatte ich gerade Bis aufs Blut gedreht. Ein Hardcore Typ, den ich da verkörpert habe. Die Leute hatten Angst vor mir. Daraufhin wollte ich zeigen: „Hey Leute, ich spiele euch mal den ganz normalen, ordnungsbewussten, assimilierten Türken.“ Das war ein Ausgleich. Die besten Rollen sind die, wo ich an mein Limit gehen kann. Meine Homeboys sagen immer zu mir: „Buri, du musst einfach alles spielen!“ Gott sei Dank ist es kein Problem mehr, sich solche Rollen auszusuchen.

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Siehst du deine Zukunft eher im Film oder auf der Theaterbühne?

Im Film. Theater ist total wichtig, aber ich habe keinen großen Bezug, denn ich hab vor allem hartes Theater gemacht, zum Beispiel im HAU (A.d.R.: Hebbel am Ufer). Gut, ein bisschen Staatstheater in Wiesbaden, aber ich habe nie das klassische Theater aufgesucht. Am Ende ist es doch zu elitär für mich. Eigentlich sollte es das Spiegelbild der Gesellschaft sein, aber die Konkurrenz untereinander ist so wahnsinnig groß. Ich bin da eher zart besaitet, ich krieg‘ das nicht hin. Da bin ich beim Film besser aufgehoben.

Letztens Jahr hast du im Live-Hörspiel Räuber Hotzenplotz der Figur des Seppel deine Stimme gegeben. Wie kam es dazu?

Neben Victoria ist das für mich die wertvollste Sache, die ich gemacht habe. Der Kanake spielt den Seppel, in einem urdeutschen Stück. Das war für mich wie: ich bin angekommen, ich hab’s geschafft. Das war eine große Anerkennung. Aber ich musste das schon rocken, da darfst du keine Fehler machen. Acht Radiosender waren live dabei und es war hart die Aufmerksamkeit von hunderten von Kindern zu generieren. (Spricht mit Seppels Stimme:) „Ja, isst denn der Kaiser von Konstantinopel jeden Tag Pflaumenkuchen mit Schlagsahne? Dann will ich der Kaiser von Konstantinopel sein!“ Ich habe es geliebt! Ich habe auch mal einen faschistischen Österreicher gespielt in Karl Kraus‘ Theaterstück Die letzten Tage der Menschheit. Das nenne ich Integration!

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Als erstes hast du eine Gärtnerlehre gemacht. Hast du dazu noch einen Bezug?

Meine Eltern haben eine Apfelplantage und da bin ich oft. Mir juckt es regelmäßig in den Fingern. Ich denke, ich werde irgendwann mal Hirte und Gärtner, mit eigener Plantage und drei Schafen, das ist mein Traum. Und die Schafe werden niemals geschlachtet und bekommen natürlich alle einen Namen.

Was wünscht du dir für die deutsche Filmszene?

Mut! Authentischer und ehrlicher sollten die Geschichten sein. Keine Angst haben vor den Sehgewohnheiten der Rentner. Die erschrecken sich sowieso. Die Filme müssten sich häufiger an ein junges Publikum richten. Die schalten sonst sofort weg. Und oft fehlt mir Farbe. Schau dir die deutschen Krimis an, alles grau in grau. Das guck ich nur noch, wenn ich selbst mitspiele! (lacht)

Credits
Text: Wiebke Finkenwirth
Fotos: Ferhat Topal

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