Öğünç Kardelen und Christoph Guschlbauer sind die Band Kent Coda und machen seit zwölf Jahren gemeinsam Musik. Seit vier Jahren treten sie nur noch als Duo auf und bezeichnen ihre Musik jetzt als „Indie-Folk mit türkischen Texten“. Dennoch kann man auch noch einige Elemente aus ihrer Punk-Zeit in der Musik entdecken. Und neuerdings immer mehr türkische Elemente. Ich treffe Öğünç und Christoph an einem Samstagvormittag in dem schönen Café Brussels am Brüsseler Platz in Köln.
Hallo ihr zwei! Stellt euch doch bitte selbst kurz vor!
Öğünç: Mein Name ist Öğünç Kardelen, ich bin Sänger und Gitarrist.
Christoph: Ich bin Christoph Guschlbauer, ich spiele Bass, mache die Percussions und singe die Backing-Vocals.
Wie habt ihr euch kennengelernt?
Christoph: Wir haben einen Sänger gesucht und haben über mehrere Ecken von diesem Typen mit der tiefen Stimme gehört. Öğünç hat in Köln-Braunsfeld gewohnt, in so einer Wohnung, die eigentlich keine war, eher ein Büroraum oder so. Wir sind hingefahren und Öğünç macht auf und ich glaube ungefähr zwei Minuten später, da stand auch ein Schlagzeug herum, haben wir schon angefangen zu spielen.
Wenn man sich eure ersten Alben anhört und eure jetzige Musik, dann ist da schon ein großer Unterschied zu hören. Das eine ist die Sprache – ihr singt jetzt auf Türkisch – das andere die Musik. Wie kam es dazu, dass ihr auf Türkisch gesungen habt?
Christoph: Auf dem Album „Forever or a Minute“ (2004) haben wir ja noch auf Englisch gesungen. Dann hatten wir einen großen Support-Gig in Bochum für Mor ve Ötesi, da hat Öğünç gemeint: Lasst uns doch ein paar meiner türkischen Lieder ins Set einbauen. Das hat gut gepasst und dann haben wir eine EP aufgenommen mit „Sen Başkasın“ und „Aliağa“. Wir hatten für den Gig „Bodrum Bodrum“ gecovert, einen Sommerhit aus den 80er Jahren von MFÖ, eine ganz ruhige Nummer. Öğünç hat da ’ne Punkversion draus gemacht. Das haben super viele Leute gemocht, aber leider konnten wir die Band nicht erreichen, um die Rechte zu klären. Musikalisch war der Zeitpunkt wichtig, als wir nur noch zu zweit weitergemacht haben. Da haben wir gesagt: Der Gesang muss in den Vordergrund und der Rest ist Beiwerk; früher musste oft die Stimme gegen die Instrumente ankämpfen.
Wer sich die punkigen Kent Coda anhören will, sollte sich mal auf der Webseite der Band umschauen. Auf www.kentcoda.com kann man (fast) das ganze Album „Forever or a Minute“ kostenlos herunterladen.
Wie entstehen eure Songs?
Öğünç: Manchmal hab ich schon eine Idee, die ich zu den Proben mitbringe. Meistens sagt Christoph, dass sie scheiße ist (lacht). Oder sie ist super gut und wir arbeiten daran weiter. Er macht die Beats, schreibt den Bass, dann basteln gemeinsam an dem Song. Manchmal lassen wir einen Beat laufen und improvisieren dazu. Dann singe ich darüber so türkische Quatschtexte, die eigentlich nichts bedeuten, aber wie Türkisch klingen.
Christoph: Es gibt Songs wie „Bil ki sen…“ oder „Bu Akşam İstanbul’lu oldum“, die sind voll Öğünç. Da kommt er mit einer fertigen Idee in den Proberaum und ich mache mein Ding dazu. Und dann gibt’s halt andere Songs, wie „Leyla“, oder „Aylara Yıllara“, die sich erst entwickeln.
Öğünç: Was in letzter Zeit vermehrt hinzukommt, sind türkische Einflüsse. Die Musik ist vielleicht normaler Indie-Folk; aber ich hab immer mehr das Bedürfnis, türkische Melodien zu singen, diese „nağme“-Elemente.
Wie macht sich das bei den neuen Songs bemerkbar?
Öğünç: Ich glaube das sind diese Kleinigkeiten, die Melodien, dieses „nağme“.
Christoph: Aber meinst du, wir haben das jetzt auf dem neuen Album auch schon?
Öğünç: Definitiv, bei „Aylara Yıllara“, „Bu Akşam İstanbul’lu oldum“.
Christoph: Ich empfinde es nach wie vor so, dass wir relativ westlich orientierte Musik machen. Also auch was die Melodien betrifft, aber halt mit türkischen Texten, und dadurch bekommen die Songs dann automatisch ’ne andere Note. Das ist ja ganz interessant, dass wir zwei das unterschiedlich empfinden. Bei den letzten Ideen weiß ich genau, was er meint. Da hat sich Öğünç zwei alte türkische Texte vorgenommen und vertont. Ein Lied ist im 9/8-Takt, da ergibt sich alleine dadurch.
Öğünç: Ich denke zum Beispiel in „Aylara Yıllara“ gibt es schon so eine eindeutig türkische Melodie (singt).
Christoph: Ja, ok…
Aber du machst das nicht bewusst?
Öğünç: Ich mache das unbewusst, aber es passiert immer häufiger. Vielleicht weil ich gemerkt habe, dass uns das von anderen Bands abhebt. Ich setze mich nicht hin und denke, ich schreibe jetzt eine türkische Melodie.
Christoph: Ich find das sehr interessant und eigentlich echt cool, dass wir da mal drüber reden. Mir war es vorher nicht bewusst, aber jetzt wo du die Melodie gesungen hast und ich so ein bisschen nachgedacht hab, hast du wahrscheinlich recht. Der Refrain von „Aylara Yıllara“ ist nicht so westlich geprägt, also du würdest jetzt nicht sagen, das ist eine Band aus Detroit oder so.
Hörst du jetzt mehr türkische Musik oder woher glaubst du, kommt dieser Einfluss?
Öğünç: Nicht mehr als früher, aber ich glaube wenn, dann höre ich bewusster. Ich achte mehr auf die Texte, auf die Geschichte hinter der Musik. Ich hab zum Beispiel jahrelang diese psychedelischen Sachen gehört: Barış Manço, Cem Karaca, Erkin Koray und so. Aber ich hab nie darüber nachgedacht, dass diese Menschen vor 30 Jahren auch mit ziemlich westlichen Instrumenten ziemlich türkische Musik gemacht haben.
Als du in der Türkei aufgewachsen bist, hast du denn da auch türkische Musik gehört?
Öğünç: Nein, ich hab nur andere Musik gehört. Außer Barış Manço. Barış Manço habe ich richtig viel gehört.
Christoph: Aber man kriegt ja alles mit. Das inspiriert und beeinflusst einen schon von klein auf.
Öğünç: Ja natürlich, das ist total komisch, das stimmt. Auch dieses Taktgefühl, was für viele super gute Jazzmusiker total schwierig ist, das kann ich einfach mit einem Fingerschnippen machen. Das soll jetzt nicht arrogant klingen. Sogar eine türkische Mama, die nichts mit Musik zu tun hat, kann auf diese Musik einfach tanzen.
Christoph: Ich glaube man hat das bis jetzt immer etwas unterdrückt wenn man gesagt hat: Ich steh‘ eigentlich eher auf Soundgarden, Alice in Chains oder Alkaline Trio. Jetzt schätzen wir das mehr. Vielleicht auch über diese „Singende Holunder“-Geschichte. Weil wir da auch immer bewusst probiert haben, sehr türkische Lieder einzubauen. Das war eigentlich auch das erste Mal, dass Aylin Bağlama mitgespielt hat. Das war ja auch deine Idee als richtig türkisches Element. Denn die Leute kommen da hin, um etwas typisch Türkisches zu hören. Und das mussten wir denen dann auch bieten.
Der „Singende Holunder“ ist ein regelmäßig stattfindendes Mitsingkonzert in der Kölner Kneipe „Weißer Holunder“. Das Publikum bekommt die Texte zum mitsingen und auch eine Übersetzung. Kent Coda sind bereits drei Mal beim „Singenden Holunder“ aufgetreten und haben neben eigenen Songs auch türkische Volkslieder gesungen.
Wie viele Alben habt ihr schon herausgebracht?
Öğünç: Zwei Alben sind online, aber die sind sehr unterschiedlich.
Christoph: Ein Album hatte nur sechs Lieder. Davon haben wir jetzt drei Songs noch mit auf das neue Album gepackt. „Leyla, Bil ki sen…“ und „Șalter Attığında“, das gab’s noch nicht auf CD. Wir haben jetzt auch ein Plattenlabel. Dadurch steht ein Vertrieb dahinter und man kann unser Album von überall aus bestellen – sei es Berlin, Garmisch-Partenkirchen und halt auch Izmir.
Wovon handeln die Lieder?
Öğünç: Das Album heißt „Ah! Bu Güzel Hayat“ – „Ach, was ist das Leben schön!“ – und es ist tatsächlich wie ein Konzeptalbum über das Leben. Liebe ist zudem ein großes Thema, weil wir beide in letzter Zeit wichtige Dinge erlebt haben. Einige Texte sind entstanden, nachdem das alles in der Türkei passiert ist letztes Jahr. Viel darüber, was Freiheit ist, was Unabhängigkeit bedeutet, gibt es ein Gut und ein Schlecht? Das Lied „Bu Akşam İstanbul’lu oldum“ ist tatsächlich an dem Abend entstanden, als in Istanbul die Proteste anfingen. Das hat mich so berührt, dass diese Menschen, die so apolitisch waren, auf die Straße gegangen sind, um ihre Gedanken zu präsentieren. Der Text handelt von einem 18jährigen Öğünç und was er machen würde wenn er zu der Zeit in der Türkei leben würde.
Aber du hast die Proteste nur von hier aus mitbekommen?
Öğünç: Ja, zum Glück haben zum ersten Mal Facebook und Twitter eine Wirkung gezeigt. Ich glaube, ich war genauso gut informiert über das, was in Istanbul passiert ist, wie jemand aus Izmir. Und auch die Deutschen waren sehr gut informiert, da war ich überrascht.
Haben sich deine Texte damit beschäftigt?
Öğünç: Ja, seitdem schon einige. Wir haben auch alle Texte im neuen Album abgedruckt und auch übersetzt.
Christoph: Die Nachfrage danach war sehr groß.
Was hat euch als Türken und als Österreicher verbunden, als ihr euch in Deutschland getroffen habt?
Öğünç: Uns verbindet auf jeden Fall die Musik. Ich bin in der Türkei aufgewachsen, Christoph in Deutschland, aber wir haben gleichzeitig dieselbe Musik gehört, wir sind also gleich sozialisiert.
Also habt ihr im Proberaum über die Musik kommuniziert?
Christoph: Wenn wir nicht reden verstehen wir uns am besten (lacht).
Öğünç: Ich hatte eigentlich nicht so einen großen Kulturschock, als ich nach Deutschland gekommen bin. Ich war gleich mit vielen Deutschen unterwegs und habe schnell kapiert, wie das hier funktioniert. Der größte Unterschied ist, dass man in Deutschland im Proberaum immer Bier trinkt. In der Türkei trinkt man überall Tee. Auch wenn wir Musik gemacht haben, durften wir in der Türkei kein Alkohol trinken, weil man dort auch zum Proben ins Studio geht. Hier haben wir einen eigenen Proberaum gemietet, in dem wir machen können, was wir wollen.
Christoph, musstest du dich dann auf das Türkische einstellen in der Musik?
Christoph: Ja. Zum Beispiel sind die Taktarten eine richtige Anstrengung für mich. 5/4- oder 9/8-Takt – da hab ich echt üben müssen. Aber ich glaube das geht sogar noch über die Musik hinaus: Öğünç war viele Jahre mit einer Deutschen zusammen, ich bin jetzt mit einer Türkin zusammen, die ich durch ihn kennengelernt habe.
Dann öffnet ihr euch also nicht nur auf der musikalischen Ebene …
Christoph: Wir werden auch manchmal in Interviews darauf angesprochen, dass wir für Toleranz stünden oder so, aber da denken wir nicht drüber nach. Wenn man so will ist da sein Wille, Deutsch zu lernen und jetzt meine Bereitschaft, auf Türkisch zu singen. Das hat sich einfach so ergeben.
Credits
Interview: Mario Müller
Fotos: Leyla Erdoğan