Disclaimer: In diesem Text wird von Frauen gesprochen. Wir möchten aber darauf hinweisen, dass nicht nur Frauen menstruieren können, sondern auch Personen, die sich nicht als “Frau” identifizieren.
Das Leben besteht manchmal aus unvermeidlichen Begegnungen, von denen man später Anekdoten erzählen kann. Neulich war ich im Drogeriemarkt und habe, während ich in der langen Schlange zur Kasse wartete, heimlich ein sehr bizarres Gespräch zwischen Freundinnen belauscht. Vor mir standen drei Mädchen, schätzungsweise zwischen 15-17 Jahre alt, die sich über weibliche Hygieneartikel unterhalten haben. Zwei von ihnen hielten sogar welche in der Hand, die eine Damenbinden und die andere Tampons. So fragte die dritte im Bunde, warum beide nicht aus umweltfreundlichen Gründen eine Menstruationstasse für ihre Regelblutung benutzen würden. Das Mädchen mit den Tampons in der Hand erklärte ihr, dass sie Cups umständlich und unpraktisch findet und deshalb den gepressten Wattebausch bevorzugt. Die jenige mit den Damenbinden in der Hand schaute verlegen auf den Boden und erklärte mit einer etwas zittrigen Stimme, dass sie außer Binden keine weiteren Alternativen benutzen kann und darf. Nun schauten die beiden anderen Mädchen sie verwundert an und fragten warum. Das Mädchen mit den Binden erklärte, dass ihre Mutter und alle weiteren Frauen in ihrer Familie es so gesagt hätten – sobald man seine erste Periode bekommt, stillt man sie nur mit Binden. Die beiden Freundinnen konnten mit dieser Antwort immer noch nicht verstehen, warum nur Binden und nicht andere Hygieneartikel wie Tampons oder Cups in Frage kämen. Sie hakten erneut nach und bekamen zu hören, dass Tampons verboten wären, da sie noch Jungfrau sei…Das Stigma der “heiligen Jungfräulichkeit“
Das Gespräch der drei Mädchen im Drogeriemarkt verdeutlicht, dass es bei diesem heiklen und bisweilen tabuisierten Thema noch viel Aufklärungsarbeit bedarf. Die Periode einer Frau und ihre Wahl zwischen Binden, Tampons und Cups spiegelt den gesellschaftlich schwierigen Umgang durch das Stigma der “heiligen Jungfräulichkeit“ wider. Für etliche Frauen fühlt sich die Bevorzugung von Hygieneprodukten für die Stillung der Regelblutung noch heute fremdgesteuert und beängstigend an. „Es ist eine von Generation zu Generation tradierte Phobie, die nicht nur allein durch Unwissenheit über den weiblichen Körper aufrechterhalten wird, sondern auch die religiös geprägte Sexualmoral und kulturelle Gewohnheiten scheinen hier großen Einfluss auf die Frau zu haben.“
So wird schon in jungen Jahren der unverheirateten Frau eingetrichtert, dass sie keine Tampons benutzen darf, da sie sonst ihre Jungfräulichkeit verlieren könnte. Zu groß ist die Gefahr, dass durch ein Tampon das Jungfernhäutchen reißt. Dieser Irrglaube wird von Mutter- zu Tochtergeneration weitergegeben. Die unausweichliche Doppelbelastung mit der monatlichen Periode und Sorge um die Jungfräulichkeit schränkt Frauen ein, sich in ihrem Körper wohlzufühlen.
Der blutige Pfad der weiblichen Verdammung
Die blutende Frau und das Verhältnis von Binden, Tampons und Cups im Kontext der Jungfräulichkeit ist wie ein Teufelskreis, der Frauen nicht nur lähmt und demütigt, sondern auch emotional sowie psychisch belastet. Verheerender ist diese sozialpsychologische Belastung, wenn die blutende Frau als abstoßend empfunden und bezeichnet wird. Die biologische Monatsblutung der Frau stößt heute noch auf Abneigung und Verdammnis. Die weibliche Menstruation ist eine hochkomplexe Angelegenheit, die mit Scham und Erniedrigung verdrängt wird. Die Frau gilt als unrein und wird während der Blutungsphase aus einigen alltäglichen und religiösen Bräuchen ausgeschlossen. Perfide wird die Sache, wenn der Frau zudem vorgeschrieben wird, mit welchem Hygieneartikel sie ausschließlich ihre Regelblutung stillen darf.
Das Jungfrauen-Argument wirkt wie ein rotes Tuch
Zunächst wirkt es so, als ob die Regelblutung der Frau ein kulturunabhängiges Tabu-Thema sei und aktuell im Zuge der modernen Frauenrechtsbewegung in Deutschland intensiv diskutiert wird. Taucht man tiefer in den Menstruationsdiskurs hinein, stößt man auf Erfahrungsgeschichten von Frauen aus streng traditionell-patriarchal denkenden Familien, denen mit der Benutzung von Tampons und dem “Mythos Jungfräulichkeit“ Angst gemacht wird. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass einige Frauen sich komplett davor scheuen, Tampons als alternatives Hygieneprodukt zu benutzen. Erstrebens- und wünschenswert wäre die Ablegung von diskriminierenden und stigmatisierenden Glaubensvorstellungen bezüglich des weiblichen Körpers. Es sollte keiner Frau vorgeschrieben werden, welche Monatshygiene sie verwenden darf. „Dabei ist die Sorge um die Jungfräulichkeit obsolet, da das Jungfernhäutchen, welches auch Hymen genannt wird und in der weitverbreiteten Vorstellung die Vagina abschirmt, zumindest in dieser Form nicht existiert.
“Es handelt sich dabei eher um ringförmig angeordnete Schleimhautfalten, die die Vulva nicht ganz abdecken, da sie nämlich die Regelblutung und Körperausscheidungen durchlassen. Dementsprechend kann es auch nicht durch einen Tampon zerstört werden. So ist die Jungfräulichkeit kein anatomischer Zustand und das Jungfernhäutchen kann logischerweise nicht durch die Einführung eines Tampons zerstört werden.
Rückständige Glaubenssätze innerhalb einer aufgeklärten Gesellschaft
Die Situation des Mädchens mit den Damenbinden im Drogeriemarkt bestätigt, dass es innerhalb einer aufgeklärten Gesellschaft wie beispielsweise in Deutschland immer noch rückständige Glaubenssätze bezogen auf die Frau fortbestehen.
Dieses Angstgefühl geht so weit, dass der Hersteller von o.b.-Tampons auf seiner Website zur mehrfach angefragten Angelegenheit: „Können Mädchen auch Tampons benutzen, wenn sie noch Jungfrau sind?“ Stellung nehmen musste. Das Unternehmen weist ausdrücklich darauf hin, dass die Angst um die Jungfräulichkeit unbegründet sei und man die o.b.-Tampons problemlos verwenden kann, ohne das Jungfernhäutchen zu verletzen. Dabei sollte die Aufklärungsarbeit vorzugsweise im Familien- und Freundeskreis erfolgen.
Autorin: Dilek Kalın
Illustration: Yasmin Anılgan