So ziemlich jede Person mit türkischen Wurzeln kennt die Geschichte von Karagöz und Hacivat. Weltweit ist sie dagegen nicht allzu bekannt. Außer vor einem Jahr, da erlangte zumindest Hacivat plötzlich weltweite Aufmerksamkeit.
Hacivat mal ganz anders
Ihr glaubt, diese Nachricht wurde frei erfunden? Da muss ich euch enttäuschen – oder eher erfreuen: Ein solches Ereignis erlebte am 14. September 2018 die weltweite Gaming-Community. Zugegeben, von den damals über 200 Millionen aktiven Fortnite-Spieler*innen, die seitdem als Hacivat verkleidet in virtuellen Hunger Games ihren Spaß haben können, recherchierten vermutlich nur wenige die Hintergrundgeschichte der Figur.
Karagöz schaffte es gar nicht erst in das Spiel. Aber hey, Istanbul wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Und immerhin wurde der Hacivat-Verkleidung die Seltenheitsstufe „episch“ verliehen. Doch nun weg von dieser Anekdote und hin zum Wesentlichen: Worum geht es in dem allseits beliebten und bekannten türkischen Schattenspiel eigentlich?
Garantiert nicht langweilig
Karagöz und Hacivat sind zwei Protagonisten des Schattenspieltheaters, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite haben wir Karagöz, einen eher schlecht als recht erzogenen, dennoch durchaus liebenswürdigen, humorvollen und gewitzten Menschen. Aus seinem Geldmangel heraus hangelt er sich von einer undankbaren und schlecht bezahlten Aufgabe zur nächsten.
Er ist Analphabet und mit dem wenigen Geld, das er besitzt, verfolgt er Unternehmungen, die ohnehin keinen Erfolg haben. Seine Neugier, Taktlosigkeit, betrügerische Natur und Neigung zu unanständigen Bemerkungen führen zu zahlreichen kuriosen und lustigen Situationen. Auch vor gelegentlicher körperlicher Gewalt gegenüber anderen Menschen schreckt Karagöz nicht zurück.
Hacivat ist sein Nachbar und das sowohl charakterliche als auch gesellschaftliche Gegenteil des Karagöz. Er ist wohlerzogen und besitzt eine zumindest grundlegende Bildung. Er setzt mit Vorliebe seine Fähigkeit ein, in Gesprächen oder Diskussionen gehobene osmanische Ausdrücke zu verwenden, auch um sich aus manch kniffliger Situation zu befreien. Auch anstrengende Arbeiten überlässt er lieber Karagöz. So findet er sich in der Rolle des Arbeitgebers wieder, der sich, wenn auch nicht aus purer Überzeugung, an die gesellschaftliche Ordnung hält.
Für die Komödie nehme man: Multikulturalität, eine Prise Tradition und jede Menge Humor
In den Stücken, welche sich grob der spätosmanischen Zeit zuordnen lassen, werden verschiedene Themen präsentiert und mit viel Komik und Satire präsentiert. Dazu gehören Multikulturalität, vor allem auf sprachlicher Ebene entstehen kuriose Situationen, aber auch Gesellschaftskritik. Vor dem Hintergrund der Vielfältigkeit finden sich auch zahlreiche Nebencharaktere aus diversen religiösen und ethnischen Gruppen im Schattenspiel: Türk*innen, Kurd*innen, Albaner*innen, Araber*innen, Perser*innen, Griech*innen, Armenier*innen, Verrückte, Kriminelle, Trunkenbolde und sogar Fabelwesen.
Die Geschichte der Figuren selbst geht auf eine Legende von zwei Arbeitern beim Bau einer Moschee in der ehemaligen osmanischen Hauptstadt Bursa zurück. Die beiden, namentlich besagte Karagöz und Hacivat, sollen mit ihren Scherzen und Scherereien den Baufortschritt so sehr verzögert haben, dass sie auf Befehl des Sultans hingerichtet wurden. Weil sie jedoch bei den Bewohner*innen der Stadt beliebt waren und von ihnen vermisst wurden, sollte das Schattenspiel ihnen zu Ehren entstanden sein.
Tausendjähriger Zoff
Die Art der Darstellung erinnert an alte chinesische Schattenspieltraditionen. Auch ihre Stücke zeigten bereits verschiedene Aspekte, die sich im Karagöz-Theater wiederfinden, so wie sexuelle Anspielungen, politischer Humor in Verbindung mit Kritik an Herrschenden oder der herrschenden Klasse. Ihre Darstellungen dienen typischerweise zur Unterhaltung der einfachen Bevölkerung.
Seit wann Karagöz und Hacivat Jung und Alt begeistern, ist nicht eindeutig belegt. Eine Annahme besagt, dass die Geschichte erstmals nach dem Sieg Sultan Selims I. (1512-1520) über die Mamelucken in Ägypten uraufgeführt wurde. Laut einer anderen Theorie fand die erste Aufführung schon zur Regierungszeit Sultan Bayezids I. (1389-1402) in seinem Palast statt. Unbestritten ist jedenfalls, dass das Schattenspiel bereits ab dem 17. Jahrhundert weit verbreitet war. Es wurde unter anderem in vielen Kaffeehäusern nachts während des Monats Ramadan aufgeführt.
Seit 2009 steht das Karagöz-Schattenspiel auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes.
Im Zusammenhang mit dem Karagöz-Theater darf man auf keinen Fall die Puppenspieler*innen vergessen, auch Karagözcü, Hayalı oder Hayalbaz genannt. Diese sind absolute Multitalente: Sie sprechen alle Charaktere oder Tiere mit unterschiedlichen Stimmen, basteln ihre Figuren oft selbst und sorgen meist sogar für musikalische Untermalung der Vorstellung. Unter Umständen müssen die Darsteller*innen das Stück auch improvisieren und je nach Reaktion des Publikums Änderungen vornehmen.
Ikonenstatus? Check!
Hacivat und Karagöz sind seit Jahrhunderten beim Publikum beliebt, und auch wenn die modernen Medien diese Art der Darstellung weniger interessant für junge Menschen gemacht haben, wird sich daran so schnell nichts ändern – Karagöz und Hacivat haben die Unsterblichkeit schon längst erreicht. Unsterblich sind sie auch auf unseren Baumwolltaschen! Bedruckt in sechs leuchtenden Druckfarben stellen sie die beiden Streithähne dar. Perfekt geeignet für alle, die mit Stil ihre Bereitschaft zur Auseinandersetzung und guter Nachbarschaft zeigen wollen!
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Text: Christian Schütt
Bilder: Wikimedia Commons / Collage: Hannah Nieswand