Einmal um die Welt

Zu Gast bei Jean Molitor

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Keine Architekturepoche der Moderne konnte sich weltweit nachhaltiger behaupten als das Bauhaus – neben Produktdesign gilt sie sowohl innerhalb der Architektur als auch in der angewandten Kunst als Synonym für funktionale Entwürfe gepaart mit puristischer Ästhetik. Der Berliner Fotograf Jean Molitor geht auf allen Kontinenten den architektonischen Grundmustern des Bauhauses nach, stets im Begriff einen Zusammenhang der Formen und Bauten aufzuspüren und festzuhalten. Frisch zurückgekehrt aus der Welt, traf ich Jean in der Bauhaus Wohnstadt Carl Legien.

„Ein besonderes Juwel ist für mich
die Atatürk-Seevilla“

Du bist vor Kurzem aus Istanbul zurückgekehrt, wurdest du auf deiner Suche nach  Bauhaus fündig?

Im Rahmen meiner Arbeit habe ich bereits etliche Länder bereist um Bauhaus-Architektur aufzuspüren. Neben den USA habe ich europaweit und in einigen Ländern Afrikas viele Bauten fotografiert, die dem Bauhaus zuzuordnen sind. Die Begrifflichkeiten können sich natürlich länderübergreifend ändern, zumal die Grenzen zwischen dem Bauhaus und beispielsweise dem Funktionalismus bzw. Konstruktivismus für mich fließend sind. Istanbul ist diesbezüglich einzigartig, da viele Bauhaus-Architekten, durch die Nationalsozialisten mit  Berufsverboten belegt, im türkischen Exil eine neue Heimat fanden. Dort konnten sie im spannenden Umfeld einer gewachsenen Architekturgeschichte mit ihren Arbeiten das Stadtbild Istanbul’s nachhaltig prägen und bereichern. Ein besonderes Juwel ist für mich die Atatürk-Seevilla in Florya, ehemals als Sommerresidenz vom Präsidenten bewohnt, wurde sie 1935 vom türkischen Architekten Seyfi Arkan im Stil des Bauhauses entworfen. Heute wird die Villa als Museum genutzt und steht als stilles Refugium am Wasser vor den Toren der pulsierenden Metropole.

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Durch die Fotografie vor dem Vergessen bewahren

Über das Bauhaus wurde und wird bereits viel geschrieben, wie bist du auf dieses Thema gestoßen?

Meine Spurensuche begann 2009 in Bujumbura, der Hauptstadt Burundis. Eine befreundete Architektin bat mich, eine Reihe von Gebäuden als Dokumentation für die Nachwelt fotografisch festzuhalten, da viele dieser  meist leerstehenden Häuser vor dem Abriss standen. Ich befand mich frühmorgens mit den ersten Sonnenstrahlen auf den menschenleeren Straßen und stellte überraschend fest, dass viele der Bauten, stilistisch abgekoppelt von der regionalen Architektur, der europäischen Moderne und dem Bauhaus sehr nahe kamen oder gar direkte Vertreter waren. Am Ende meiner Reise konnte ich durch eine rege besuchte Fotografie-Ausstellung auf die Besonderheit des dortigen Architekturerbes aufmerksam machen und hoffe dadurch einige Bauten zumindest vor dem Vergessen bewahren zu können.

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„Die Bauten lassen sich oft wie ein Krimi lesen“

Wie kam der Bauhausstil bis nach Afrika?

Die kühne Funktionalität des Bauhauses ist sicherlich ein Grund, weshalb der Stil länderübergreifend adaptierbar ist und sich mit geringen regionalen Anpassungen weitestgehend von Raum und Zeit lossagen kann. Zudem haben sich Kunstschaffende und Architekten über Landesgrenzen hinweg auch zu jender Zeit bereits rege ausgetauscht und waren stark vernetzt. Renommierte Architekten wurden weltweit angefragt und entwarfen teilweise ganze Stadtviertel, wie beispielsweise in Indien oder den Kolonialländern. Bei näherer Nachforschung der Bauten lassen sich einige Verknüpfungen und Überschneidungen feststellen: Viele dieser Architekten kannten sich und waren zugleich auch Mentoren für andere. Sie beschäftigten in ihren Büros Mitarbeiter aus aller Welt, die, nach ihrer Rückkehr in ihre Heimatländer, dem Bauhaus treu blieben. Seyfi Arkan beispielsweise war Student und Mitarbeiter des Berliner Architekten und Hochschullehrers Hans Poelzig. Somit lassen sich die Vorgeschichten und Hintergründe der jeweiligen Bauten oft wie ein Krimi lesen und nachverfolgen.

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„Die Architektur steht für sich als Kunstwerk“

Gibt es besondere Merkmale deiner Fotografien?

Ich versuche mit meinen Fotografien über den Ansatz des reinen Dokumentierens hinauszublicken. Das impliziert beispielsweise die „Verfälschung“ einer Aufnahme zugunsten des abgelichteten Objekts – konkret versuche ich den nicht mehr vorhandenen Rohbau darzustellen indem ich störende Objekte, wie Klimaanlagen oder Stromkabeln, bei der Postproduktion überblende und das Bauwerk aus seiner Alltagswirklichkeit erhebe, so dass allein die Architektur für sich als Kunstwerk stehen kann.

Was bezweckst du mit deinem Projekt?

Neben meinen persönlichen Interesse und Anliegen wird das Projekt „bau1haus“ durch die Architekturfakultät der Beuth Hochschule für Technik Berlin unterstützt. Ziel ist es bis 2018 eine weltweite Sammlung von allerlei Bauten, die den Prinzipien des Bauhauses entsprechen, zusammenzutragen und stilistische Verknüpfungen darzustellen.

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Ein gelebtes Beispiel der Zeitlosigkeit

Die Siedlung Wohnstadt Carl“ wurde von den Bauhaus-Architekten Bruno Taut und Franz Hillinger 1928 entworfen. Welchen Stellenwert hat dieser Ort für dich?

Ich verbrachte einen Teil meiner Kindheit im Osten Berlins hier in dieser Wohnstadt. Mein Großvater lebte hier lange Zeit bevor die Siedlung grundsaniert und neben weiteren bedeutenden Siedlungsbauten in Berlin 2008 zum Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde. Anfänglich habe ich selbst den wichtigen Stellenwert der Siedlung verkannt: Durch die begrünten Innenhöfe und den U-förmigen Lageplänen ist sie eine Oase der Ruhe inmitten großer Hauptstraßen und hat sich dadurch seit jeher zu einem beliebten Wohnviertel, verwachsen mit architektonischer Historie und Charisma, etabliert. Ein gelebtes Beispiel der Zeitlosigkeit!

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Nachtrag für Interessierte

Beide Architekten prägten mit ihren Entwürfen (Hufeisensiedlung, Schillerpark etc.) nicht nur das Gesicht Berlins sondern auch Ankara’s. Durch die Nationalsozialisten in Deutschland mit Berufsverboten belegt, hatten sie im türkischen Exil bei der Neugründung und Aufbau der Hauptstadt eine bedeutende Rolle inne: Franz Hillinger führte zeitweise die Bauleitung des türkischen Parlaments, Bruno Taut realisierte wichtige Bildungseinrichtungen und erwies 1938 durch den Entwurf des Katafalks dem verstorbenem Staatsgründer die letzte Ehre und ist heute selbst in einem Ehrenriedhof in Istanbul begraben. 

Credits
Text: Hakan Dağıstanlı

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