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Kunst & Design

Gesicht wahren

Teil 2 des Fotoprojekts „İnsanlar | People“ über Kunst im Schatten von Repression

Die Dortmunder Künstlerin Alexandra Breitenstein porträtiert in ihrem Fotoprojekt „İnsanlar | People“ Kreativschaffende aus Istanbul, deren künstlerische Existenz ein täglicher Kampf ist. Um Anonymität zu gewährleisten, arbeitet sie mit experimentellen, fotografischen Techniken wie Langzeit- und Mehrfachbelichtungen. Dies ist der zweite Teil einer Serie, in dem zwei Künstlerinnen aus Istanbul ihre Erinnerungen an den Putschversuch 2016 beschreiben. Zum ersten geht’s hier.

L., Künstlerin und Sängerin

Foto: Alexandra Breitenbach

Während des Putsches war ich auf einer Party in Tarlabaşı und habe eine Menge Gras geraucht. Deshalb haben wir erstmal wie die Irren gelacht, als wir die Neuigkeiten gehört haben – aber innerlich hatten wir wirklich Angst. Die Türkei hat sich seitdem offensichtlich nicht zum Besseren verändert, die Welt geht den Bach herunter. Ich denke die Wurzel alles Schlechten was gerade passiert, liegt darin, dass wir nicht dazu in der Lage sind, selbstlos zu sein.

Der Feind: Unsere Laster Wir als Individuen, als die kleinste Einheit, sind besessen von uns selbst. Wie Tiere sind wir Sklaven unserer primitivsten Bedürfnisse: Essen, Sex, Familie, Macht, Geld und Wissen. Aber wir sollten uns viel mehr danach sehnen, die Bedeutung unseres Lebens zu erforschen. Wir sind Teil der Natur und alles existiert mit- und füreinander. Ich denke, dass es ziemlich normal ist, das sich all das in großen Ereignissen manifestiert, wie dem Putsch. Deshalb konzentriere ich mich gerade eher auf mich selbst.

Ich möchte herausfinden, was meine schlechten Angewohnheiten sind – und die Veränderung bei mir selber anfangen.

Aus diesem Grund interessiere ich mich nicht wirklich für den Putsch, oder überhaupt für Politik. Ich sehe das ‚große Ganze‘ nicht. Denn es besteht aus vielen kleinen Teilen und ich bin einer davon. Ich möchte erst mich selber kennen, denn nur dann werde ich das große Ganze wirklich verstehen. Aber natürlich komme ich in Berührung damit, auch wenn ich es nicht will.

Nach der Pfeife tanzen Jemand von den Behörden rief mich an, sie wollten ein Kunstwerk, dass das ganze Blut und Erdoğan’s ‚legendären Ruf nach Demokratie‘ darstellt, so einen Scheiß halt. Sie fragten mich, ob ich eine Statue entwerfen könne, weil sie jetzt überall Monumente aufstellen wollen. Sie sagten mir, dass sie die Geschichte neu schreiben, und das sie ihre eigene, unverwechselbare Kunst möchten. Sie gestalten nun ihre eigene Welt, in der wir nach ihrer Pfeife tanzen. Aber das ist schon ok, denn nur, wenn die Kacke am dampfen ist, werden wir etwas verändern.

O., Künstlerin und Galeristin

Foto: Alexandra Breitenstein

Während des Putschversuches war ich in Europa, ich habe dort während meines Kunststudiums gelebt. Mein Vater befand sich zu dem Zeitpunkt in der Nähe der Brücke, ich konnte ihn stundenlang nicht erreichen. Ich hatte solche Angst um ihn. Und selbst wenn ich sofort nach Istanbul hätte kommen wollen, hätte ich nicht gekonnt, denn alle Flüge wurden gestrichen.

Weiterziehen? Ich habe fast vier Jahre lang in Italien gelebt. Bevor ich nach Europa gefahren bin waren gerade die Gezi-Proteste in Istanbul. Ich war da, demonstrieren, mit der Situation klarkommen und alles. Es hat sich so schlimm angefühlt zu wissen, das dein eigenes Land nicht an deiner Seite ist. Als ich nach Italien gekommen bin, war alles anders, die Menschen waren freundlich, Ich habe mich zu Hause gefühlt, sogar mehr als in der Türkei. In einem anderen Land nochmal neu anzufangen, hat mich an etwas anderes denken lassen: Du findest dich selbst eher in einem anderen Teil der Welt.

Als ich dann zurück in der Türkei war, hatte ich erst Angst raus zu gehen, weil es so gefährlich geworden war. Aber je öfter du es einfach machst, desto schneller gewöhnst du dich dran.

Das Schlimmste an all dem ist, dass man sich an die schlechten Ereignisse gewöhnt – Sie werden zur Normalität. Aber das sollte nicht so sein.

Ich denke nicht, das wir Angst haben sollten – denn das wollen sie erreichen. Sie wollen alle deine Gefühle ausradieren – so, dass du ihr Roboter wirst. Das ist das Schlimmste daran. Wir müssen diese Gefühle bekämpfen.

Doch sie sind an der Macht also brauchst du besonders als Künstler viel Mut, um deine Gefühle in deiner Arbeit auszudrücken. Ich versuche positiv zu denken – sobald du anfängst negativ zu denken, kommen die negativen Dinge zu dir. Ich habe deshalb einen Ort in der Türkei eröffnet, an dem die Menschen sich sicher und vereint fühlen können (Anmerkung der Redaktion: eine Galerie für moderne Kunst).

Auf der Strecke bleiben.

Ich weiß nicht, wie die Zukunft der Türkei aussehen wird. Wenn du dir vor Augen führst, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, ist es nicht einfach, optimistisch zu bleiben – aber ich versuche, nicht die Hoffnung zu verlieren. Während der Gezi-Proteste hatten wir ein bisschen Hoffnung, dass sich die Dinge zum Guten ändern. Aber stattdessen wurde alles schlimmer. Die Probleme sind überall. Sie beeinträchtigen dich in jedem Detail deines Lebens. Europa könnte uns in dieser Lage mehr helfen, stattdessen ignorieren sie uns oder machen alles komplizierter, zum Beispiel die Visa-Prozeduren.

Alexandra Breitenstein

In ihrem Projekt „İnsanlar | People“ portraitiert die Dortmunder Künstlerin Alexandra Breitenstein Personen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, z.B. KünstlerInnen, StudentInnen und AktivistInnen. Um die Anonymität zu gewährleisten, arbeitet sie mit experimentellen, fotografischen Techniken wie Langzeit- und Mehrfachbelichtungen. Kurze Interviews ergänzen die Fotografien und verdeutlichen, inwieweit die Menschen in ihrem täglichen, persönlichen Leben durch die staatliche und gesellschaftliche Repression beeinflusst werden. Neben zwei Ausstellungen in Dortmund ist das Projekt auch als mehrseitiger, englischsprachiger Folder erhältlich. Mehr Infos gibt’s hier.

 

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